Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

An Erben zurückgegebenKölner Künstler macht auf Flohmarkt Fund, der Lebensdrama erzählt

Lesezeit 4 Minuten
Bernd David (l.) und Ralf Goldschmidt mit dem wiedergefundenen Bild.

Bernd David (l.) und Ralf Goldschmidt, dessen Vater das Bild gemalt hat, mit den wiedergefundenen „Sonnenblumen“. 

Der Kölner Künstler Bernd David spürte, dass das Bild wichtig ist. Die Spur führte zum Wiedererbauer der Kölner Synagoge, der das KZ überlebte.

Das Bild fiel Bernd David sofort auf. Mit Freunden ging er über den Flohmarkt auf dem Nippeser Wilhelmplatz, wollte den Gästen mal ein bisschen kölsches Leben zeigen. Und da stand das Bild mit den Sonnenblumen. „Da bin ich hängengeblieben und habe es gekauft.“

Bernd David ist Künstler und hat viele Jahre als Sachverständiger bei einem Kölner Auktionshaus gearbeitet. „Ich habe rund 1300 Gemälde pro Jahr begutachtet“, erzählt er in seinem Atelier am Schillplatz. Sein Urteil über das Sonnenblumen-Aquarell: „Da war jemand am Werk, der etwas davon versteht. Und ein analytisches Verständnis von Formen hat. Ein Aquarell verzeiht keine Fehler, da muss jeder Pinselstrich sitzen. Und auch die kräftigen Farben sind gut gesetzt.“

Das Sonnenblumen-Bild von Helmut Goldschmidt

Das Sonnenblumen-Bild von Helmut Goldschmidt

Auf dem Passepartout des Bildes steht das Jahr 1942 und die Signatur H. Goldschmidt. Er könne anhand der Oberfläche eines Bildes datieren, wie alt es ist, sagt Bernd David. „Die Farbe ist wie eine Haut.“ Und bei den Sonnenblumen passt alles. Das Papier ist leicht bräunlich geworden, typisch für auf Karton aufgezogene Bilder der 20er, 30er und 40er Jahre. Den Stil ordnet er zwischen Expressionismus und Neuer Sachlichkeit ein.

Beweis stammt aus dem NS-Dokumentationszentrum Köln

Und da war da noch der jüdisch anmutende Name. Bernd David musste nicht lange forschen: Im Internet ist ein Architekt Helmut Goldschmidt aus Köln schnell zu finden. Er war Auschwitz-Überlebender und hat unter anderem die Kölner Synagoge wieder aufgebaut. David nahm Kontakt zum Kölner NS-Dokumentationszentrum auf. Ob es hier möglicherweise Unterlagen gebe, mit denen er die Signatur abgleichen könne – und somit nachweisen könne, dass das Bild wirklich von jenem Helmut Goldschmidt gemalt wurde.

Links die Postkarte, die Helmut Goldschmidt aus dem Zug warf, mit dem er nach Auschwitz transportiert wurde. Der Vergleich mit der Bildsignatur ergab, dass das Sonnenblumenbild tatsächlich von ihm stammt.

Links die Postkarte, die Helmut Goldschmidt aus dem Zug warf, mit dem er nach Auschwitz transportiert wurde. Der Vergleich mit der Bildsignatur ergab, dass das Sonnenblumenbild tatsächlich von ihm stammt.

Er wurde fündig: Sorgfältig archiviert ist im NS-Dok eine Postkarte, die Helmut Goldschmidt 1943 geschrieben hat. Der damals 24-Jährige war im elterlichen Haus in Klettenberg von der Gestapo verhaftet worden und wurde in einem Zug nach Auschwitz deportiert. Auf der Fahrt schrieb er eine Postkarte an seine Eltern. Es gelang ihm, sie aus dem Waggon zu werfen, vielleicht durch eine Schlitz in der Holzwand. Die Karte wurde von Unbekannten gefunden und erreichte tatsächlich seine Eltern. Darauf steht: „Meine lieben Eltern! Bin gerade auf der Fahrt nach Auschwitz. Ich glaube nicht, daß wir uns nochmals sehen, aber ich werde versuchen, den Mut nicht zu verlieren. Bleibt gesund und mit innigen Grüßen und Küssen bin ich Euer unglücklicher Helmut. Hebt nur meine Sachen gut auf, solange ich noch am Leben bin.“

Die Frontseite der Postkarte, die Helmut Goldschmidt im Zug nach Auschwitz an seine Eltern schrieb.

Die Vorderseite der Postkarte, die Helmut Goldschmidt im Zug nach Auschwitz an seine Eltern schrieb.

Die Schrift auf dem Sonnenblumen-Bild und der Postkarte stimmen überein. Das Gemälde stammt wirklich von Helmut Goldschmidt. „Das war auch für mich sehr bewegend. Das ist unsere deutsche Geschichte“, sagt Bernd David. Er nahm Kontakt mit dem Sohn von Helmut Goldschmidt auf, der in Bonn lebt. Vor kurzem fand die Übergabe des Bildes an die Familie statt.

Helmut Goldschmidt rekonstruierte die Kölner Synagoge

Ralf Goldschmidt (69) sagt im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“: „Das ist wirklich eine Sensation, dass das Bild nach so vielen Jahrzehnten zurückkehrt.“ Dabei sei es der Familie gar nicht bekannt gewesen, dass der Vater auch gemalt hat. „Das hat er nie erwähnt.“ Aber er habe noch Kontakt zum ehemaligen Kindermädchen, die habe erzählt, dass der Vater Sonnenblumen sehr geliebt hat. Das Bild sei wohl nach der Deportation des Vaters in der Wohnung verblieben. Wie es auf den Flohmarkt kam, ist nicht mehr nachzuvollziehen. Der Vater starb 2005 in Köln, er ist auf dem Jüdischen Friedhof in Bocklemünd begraben.

Sein Leben verlief dramatisch: Schon 1933 musst er als Jude das Gymnasium frühzeitig verlassen, arbeitete dann später illegal in einem Architekturbüro. Wegen der Repressionen dachte er zeitweise an eine Auswanderung nach Palästina. Nach der Deportation nach Auschwitz wurde er auf Intervention seiner nicht-jüdischen Mutter ins KZ Buchenwald verlegt. Er wurde als „Mischling 1. Grades“ eingestuft und das hat ihm möglicherweise das Leben gerettet. Als Architekt arbeitete er an Planungen für eine Eisenbahnlinie mit. Außerdem war er ein begeisterter Jazz-Pianist und wurde mit der Leitung des Lagerorchesters betraut. Als Buchenwald am 11. April 1945 von den Amerikanern befreit wurde, waren die begeistert von dem Musiker, erzählt Ralf Goldschmidt. „Er hatte ein Willkommenskonzert arrangiert. Sie nannten ihn Glenn Miller.“

07.10.2024 Köln. Ein Jahr nach dem Überfall der Terrororganisation Hamas auf Israel: Die aktuelle Situation vor der Synagoge in der Roonstraße. Foto: Alexander Schwaiger

Helmut Goldschmidt rekonstruierte die Kölner Synagoge in der Roonstraße. Hier wird seit vielen Monaten an die von der Hamas genommen jüdischen Geiseln gedacht.

Nach dem Krieg arbeitete Goldschmidt als Architekt, baute Wohn- und Bürohäuser in Köln, gründete seine Familie. Auf Initiative von Konrad Adenauer rekonstruierte er von 1957 bis 1959 die Synagoge in der Roonstraße. Außerdem baute er Synagogen und jüdische Gemeindezentren in Münster, Wuppertal und Mönchengladbach.

„Ich habe gar nicht gewusst, dass ich Jude bin oder ein anderer Nicht-Jude. Wer hat sich dafür interessiert? Aber auf einmal war das so. Den Komplex, den man dadurch bekam, den bin ich bis zum heutigen Tag nicht losgeworden“, erzählte er später. Sein Sohn sagt, der Vater wäre entsetzt, wenn er wüsste, dass der Rechtsextremismus heute wieder erstarkt. „Das ist eine Katastrophe für die Überlebenden.“

Wo das Sonnenblumen-Bild einmal hängen wird, ist noch nicht entschieden. Ralf Goldschmidt will es möglicherweise an seine Söhne weitergeben, damit die Erinnerung in die nächste Generation übergeht.