Im August 1991 war Rausch auf dem Höhepunkt, Nirvana noch nicht. Nirvana, die Band um den charismatischen Melancholiker Kurt Cobain, sollte auf dem Monsters-of-Spex-Festival im Tanzbrunnen vor Rausch spielen. Weil die Jungs aus Seattle vom Zoll gefilzt wurden, trudelten sie zu spät ein. Rausch aus Köln kam, sah, siegte. Die Leute seien ausgeflippt, sagt Peter Sarach, bei Nirvana sei es nicht so wild zugegangen, „die waren ja live nicht so toll“. Nirvana hatte keine Zeit zum Umbau, Dave Grohl drosch also auf Wolly Düses Schlagzeugfelle, auf der Bass Drum und den Verstärkern prangte der Rausch-Schriftzug. Für die Felle zahlte Nirvana später 200 Dollar. Zwei Wochen nach dem Auftritt veröffentlichte Nirvana das Album Nevermind und avancierte zur strahlendsten Götterbande der jüngeren Musikgeschichte. Auch Rausch blieb erst mal weiter angesagt. Kurt Cobain war drei Jahre später tot. Wolly und Peter sind irgendwie Teenager geblieben.
Peter Sarach und Wolly Düse sitzen in Düses Zimmer, das aussieht wie ein Kinderzimmer. Plastiktierchen und PC, Hochbett, ein Himmel aus Leuchtsternen und Lavalampe, Flachbildschirm. Sarach lümmelt auf einem Hocker, raucht einen Joint und trinkt Wodka-O, Düse sitzt mit einer Cola vor dem PC und streichelt sein Smartphone. Auf Düses Schreibtisch liegen Handyhülle, Stift, Notizblock, Feuerzeug und Zigaretten im rechten Winkel vor dem Bildschirm, die Fläche zwischen PC und Tastatur bildet ein Parallelogramm. „Wenn ich bei Leuten zu Besuch bin, hänge ich sogar deren Bilder gerade“, sagt Düse. „Du bist die Ordnung, ich bin der Irrsinn“, sagt Sarach. „So war es immer.“
Immer ist im Fall von Rausch die Ewigkeit von 25 Jahren. Dass sie nicht den frühen Rockstartod gestorben sind, wundert sie selbst. 1987 gründeten Düse, Sarach, Eddy van Helder, M.T. und R. Le Ukel die Band „Mush and the Room“, ein Jahr später benannten sie sich um in Rausch, um in der Folge ein bisschen Rockgeschichte zu schreiben. Bei einem Gig im Limelight in New York spielten sie die Toten Hosen an die Wand. Auf dem Bizarre-Festival spielten sie mit Iggy Pop, im Tanzbrunnen mit Sonic Youth und Nirvana. Vom „South By Southwest“ Festival in Austin brachten sie Texashüte mit, die zum Markenzeichen wurden. Auf dem Höhepunkt war es ein einziger Rausch: eine Million Mark pro Platte, ausverkaufte Hallen, Kohle, Groupies, natürlich immer Drogen, Pose, Provokation, Abstürze, das Leben feiern durch Fliegen und Fliehen. Aber auch: Perfektionismus, Anspruch.
Rausch habe auf jeder Hochzeit getanzt, sagt Heike Wester, die als „Rauschbüro“ die Auftritte der Band organisierte. Zum Beispiel bei dieser Ballnacht auf der Burg Schwertberg, Graf Michael Charles von Tyszkiewiczc, genannt „Gugu“, und seine Braut Luzie hatten geladen, „300 Gäste, alle piekfein, Diener in Livrees, die haben die Gäste mit dem Regenschirm aufs Klo geleitet, alles war stocksteif“, sagt Wester. Bis Rausch kam. Damen in Gucci-Kleidern seien zu Punkrock-Riffs auf dem Kopfsteinpflaster ausgerutscht, schlammbesudelt hätten sich die Adeligen in den Armen gelegen. Auf den Toiletten lagen Geldscheine auf dem Boden. Düse sagt: „Adelige sind auch nur Menschen, die gern wild feiern.“
Oder der Auftritt zum Wahlkampfauftakt der PDS 1998 auf dem Offenbachplatz, Gregor Gysi und Lothar Bisky sprachen, Rausch spielte, Sarach rief ins Mikro: „Ich wähle PDS, weil die PDS für die Legalisierung von Drogen ist. Sonst würde ich die nicht wählen.“ Bisky war stinksauer, der Band war es egal.
Rausch und Kater wechselten sich ab. Die Jungs zogen nach Berlin und kamen zurück. Wechselten die Freundinnen wie die Plattenfirmen. Wobei eher Sarach die Groupies anzog, Düse bevorzugte feste Freundinnen. Sie kifften beim MTV-Interview und vermarkteten Hanf-Produkte, ihr Song „Suicide Is Alright“ stand auf dem Index. Rausch habe „zu viele Facetten verwirklichen wollen“, glaubt Heike Wester. Sie rutscht auf dem Parkettboden unter ihr Bett, um eine Kiste mit Bandfotos zutage zu fördern. Von allem zu viel ist letztlich zu wenig gewesen. Am besten seien sie live gewesen, „sie haben immer gespielt, als sei es im Kölner Stadion“. Wester ist den Jungs treu geblieben, als die fetten Jahre vorbei waren, hat Konzerte organisiert, Pressefotos geschossen, sich um die Promotion gekümmert.
„Das Geld haben wir verprasst“
Um die Jahrtausendwende ist es still geworden um Rausch. Sarach, Düse und Gitarrist Thorsten Dohle haben 1996 die Cowboys on Dope gegründet, sie treten in Clubs und Kneipen in ganz Deutschland auf, sammeln mit dem Hut Geld ein. Längst sind sie in bescheidene Appartements umgezogen, „das Geld haben wir verprasst“, sagt Düse. Die letzte Platte mit den Cowboys haben sie in Sarachs Wohnzimmer aufgenommen, mit einem Mikrofon. Die Scheiben verkaufen sie selbst, in Kneipen und Plattenläden. Heike Westers „Rauschbüro“ in der Südstadt ist längst aufgelöst. Ohne Plattenfirma, Manager und Promotionbüro wollen sie das Leben weiter von der lustigen Seite nehmen. Wolly Düse hat ein bisschen Babyspeck, er guckt und lacht durch die Rauchschlieren wie ein Abiturient. Peter Sarach sieht aus wie Günter Netzer in schlaksig, lange Haare, seitlich gescheitelt, Typ einsamer Wolf, Frauenschwarm, noch immer. Im Dunklen schimmern die grauen Haare blond. „Als Musiker ist man ewig jung“, sagt Sarach.
Peter Brings, Musiker: Wir haben zur selben Zeit angefangen mit Brings. Rausch fand ich musikalisch wahnsinnig gut. Wolly hätte fast mal als Schlagzeuger bei uns angefangen. Rauschmäßig hat jedes Klischee gestimmt, sonst wären sie viel erfolgreicher gewesen.
Rocko Schamoni, Künstler: Was? Rausch gibt’s noch? Wahnsinn. Wir waren früher beim selben Musikverlag. In Hamburg haben wir uns kennengelernt und herrlich verrückte Nächte durchgefeiert. Ihre Musik habe ich geliebt. Sehr empfehlenswert.
Uta Titz alias „Krazy“, Musikerin: Rausch! Meine Lieblingskollegen! Sie sind immer noch dabei und sie sind immer überzeugend – auf der Bühne, aber auch im richtigen Leben. Für mich sind sie echte Helden. Ich wünsche ihnen noch viele rauschende Jahre.
Hanno Kahl, Produzent: Rausch war die talentierteste Kölner Band der letzten 25 Jahre und ein Lehrstück dafür, wie leicht eine junge Band den Boden unter den Füßen verliert. Mit Cowboys on Dope haben sie wieder ihren Platz in der Kölner Musikszene gefunden.
Heike Wester, in den 1990er Jahren Leiterin des „Rauschbüros“: Leider hat Rausch nie einen unverkennbaren Sound entwickelt. Düse und Sarach, das alte Ehepaar, haben aber trotz ihres nebulösen Ruhms immer weitergemacht, 25 Jahre lang. Chapeau!
Walter Pütz, Produzent: Ich war mit Rausch und der Band Selig 1996 in Austin/Texas. Leider hat es in den USA nicht geklappt. Die Jungs waren wild, charakterlich super, manchmal haben sie sich selbst im Weg gestanden. Ich habe sehr gern mit ihnen gearbeitet.
An seinem 50. Geburtstag im vergangenen Dezember schob Sarach Nachtschicht im Hotel. Als Nachtportier, die Musik wirft seit langem nicht mehr genug ab. Er hatte es sich „gutgehen lassen“, Bier getankt, Tüten geraucht, Pillen geschluckt, er war so dicht, dass sich Hotelgäste beschwerten, er seinen Job verlor. Vor seiner Wohnung brach Sarach zusammen, ein zuckender Baum auf dem Bürgersteig. „Im Krankenhaus haben sie die Diagnose Mischtoxikation gestellt und gesagt, ich sei gut gesund, meine Leberwerte blendend.“ Zu Hause noch ein Joint und zwei Bier, geschlafen wie ein Baby.
1987 gründen Peter Sarach, Wolly Düse, Eddy van Helder, Michael Trojahn und R. Le Ukel die Band „Mush and The Room“. Inspiriert von einem Treffen mit LSD-Guru Timothy Leary, benennen sich die Kölner 1988 um in „Rausch“. 1990 bekommen sie einen Vertrag bei Polydor und spielen bei vielen großen Festivals. Seit 1996 tritt die Band nur noch sporadisch auf, Düse und Sarach gründen die „Cowboys on Dope“. 2004 veröffentlichen Rausch ihr Best-of-Album „Flashback“. Offiziell aufgelöst haben sich Rausch nie.
Die Cowboys on Dope machen Musik für den neuen Film von Peter Thorwarth („Bang Boom Bang“). Im Film (Hauptrolle: Moritz Bleibtreu) spielen sie zudem abgehalfterte Rockstars.
Bei Wolly Düse (51) ist letztes Jahr das Herz ausgetickt, im Rausch, während eines Konzerts. „Es war eine richtige Herzattacke, ich habe unter Schmerzen weitergespielt“, sagt Düse. Zum Arzt ging er Wochen später. Das Krankenhaus behielt ihn da. Er bekam zwei Stents gesetzt, die die Venen weiten, inzwischen geht er ins Fitnessstudio, raucht und trinkt kontrollierter.
Die Party geht weiter
Ein Leben ohne Rausch? Nein, danke, meint Sarach. „Das Wort Rausch gibt es ja im Englischen so nicht, übersetzt wäre es vielleicht Rush, Ansturm, aber das ist nicht dasselbe“, sinniert der Musiker, der zweisprachig aufgewachsen ist, der Vater Deutscher, die Mutter Engländerin, Jugendjahre in Spanien. Und was ist das dann genau: Rausch? „Ein Bewusstseinszustand, in dem sich andere spirituelle Ebenen auftun“, sagt Sarach. Düse übersetzt profaner mit „Ekstase“: „Es geht nicht nur um Drogen, das hast du auch, wenn du auf einen Berg steigst, joggst oder wenn du Sex hast.“ Und eben beim Musikmachen.
„Da muss das Denken abgestellt werden: Wenn wir jedes Mal über die Noten nachdenken würden, die wir spielen, könnten wir gar nicht mehr spielen. Es geht ja um den Flow.“ Rausch und Flow, Musik und Applaus, Drogen und Sex, alles, was kickt und knallt. Sarach ist im Geiste der Beat-Generation aufgewachsen, seine Helden hießen William S. Burroughs und Jack Kerouac, Poeten und Junkies. Außerdem hat er ein Lied über den „Club 27“ geschrieben, Hendrix, Morrison, Cobain, all die Rockstars, die mit 27 gestorben sind, „was für ein Spinner, sich zu erschießen, der Cobain“, sagt Düse. Er selbst ist bei allem Exzess ziemlich bodenständig geblieben. Sarach nicht so, aber er kommt erstaunlich gut klar, meistens.
Es war Anfang der 1990er Jahre, als sie den Rausch zum Prinzip machten. Als sei das ein Zustand, den man flugs wieder vergessen könnte – wenn man ihn sich nicht immer wieder auf die Fahnen schreibt. Schon der Name der ersten Band „Mush and the Room“ bedeutet zwar wörtlich übersetzt „Störgeräusch und der Raum“, lässt aber eine Vorliebe für „Magic Mushrooms“ erkennen: Pilze, die ähnlich wirken wie LSD.
Die große Ernüchterung musste kommen. Vielleicht sei das immer wieder bediente Prinzip „ein bisschen zu viel gewesen“, sagt Düse.
Mit das Bekannteste, was von Rausch blieb, ist ihre Kampagne „Keine Macht den Doofen“, eine Replik auf die Aufklärungskampagne „Keine Macht den Drogen“ der 1990er Jahre. T-Shirts mit dem geänderten Spruch waren bald Kult. „Wir haben sogar eine Klage an den Hals bekommen“, sagt Sarach. Während andere den Spruch auf T-Shirts druckten und massenweise verkauften, „haben wir keinen Cent gesehen“, Sarach und Düse vergaßen, sich den Spruch patentieren zu lassen.
Die Party geht weiter. Karnevalsfreitag 2013 spielen Düse, Sarach und Dohle im Low Budget. Bier und Rauch wie immer, die Fans sind mit den Cowboys ein bisschen knittrig geworden. Sarach raucht draußen und erzählt, dass er vor ein paar Tagen auf einer Beerdigung gespielt hat, eine Bekannte, um die 50, Gesang direkt am Sarg. An der Kasse sagt er, dass vielleicht noch eine rothaarige Freundin von ihm komme. Nach dem ersten Lied ist auf Sarachs Gitarre kein Saft mehr, minutenlang fuchtelt er am Kabel, Düse raunzt ihn an und spielt mit Dohle ein Solo. „Soll ich dem noch die Kabel hinterherschleppen?“, fragt Düse in der Pause, als Sarach verschwunden ist. Düse trägt das Hemd in der Hose, Sarach zieht es lieber aus. Die Ordnung, der Irrsinn.
Es ist Musik, die direkt in die Vene geht, die Leute bewegen sich wie im Bann. Sarach trinkt eine Whiskeymischung, sein Gesicht ist ausgezehrt, der sehnige Körper ganz Gesang. Irgendwann erklimmt er die Theke, legt sich hin, wickelt das Gitarrenkabel um den Bizeps und imitiert einen Schuss. Dann springt er in die Menge und lässt sich auf Händen tragen. Wie früher. Smells like teen spirit.
Düse und Sarach brauchen heute keine Zauberpilze mehr, kein Heroin und kein LSD. Auch wenn Sarach sagt: „Es gibt nichts Schlimmeres als Musiker, die behaupten, jetzt nehm ich keine Drogen mehr, jetzt mach ich gute Musik. Rocker, die das sagen, lügen.“
Weitere Soundfiles unter: Alles über Rausch, Cowboys on Dope online
Nächste Auftritte der Cowboys on Dope: 29. Mai, Underground 30. August 2013, Blue Shell