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Kölner MissbrauchsprozessVerteidiger von Priester Ue. lüftet Zipfel des Schleiers

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Prozess Ue Richter Kaufmann dpa

Christoph Kaufmann, Vorsitzender Richter im Missbrauchsprozess gegen Priester Ue.

Köln. – Gut zwei Monate läuft nun schon der Missbrauchsprozess gegen den ehemaligen Pfarrer Hans Ue. vor dem Kölner Landgericht. 19 Verhandlungstage, in denen – zumindest im öffentlichen Teil – eines bislang völlig unklar geblieben ist: Wie stellt sich der 70 Jahre alte Angeklagte zur Anklage, die ihn im Fall einer Verurteilung für zwei bis 15 Jahre hinter Gitter bringen würde?

Hätte er am Prozessbeginn gestanden, wäre es mutmaßlich nicht dazu gekommen, dass immer neue Opferzeuginnen sich bei der Justiz melden und von Taten sexualisierter Gewalt berichten, die der Angeklagte an ihnen begangen haben soll.

Hinweis auf beabsichtigtes Geständnis 2020

An diesem Donnerstag nun lüftet Ue.s Verteidiger Rüdiger Deckers zumindest einen Zipfel des Schleiers und gibt dabei zugleich den brisanten Hinweis auf ein mögliches Informationsleck oder gar eine fragwürdige Querverbindung zwischen Bistumsleitung und Staatsanwaltschaft.In den Akten der Kölner Ermittler zum Vorwurf dreier Nichten Ue.s, ihr Onkel habe sie in den 1990er Jahren in Gummersbach vielfach sexuell missbraucht, findet sich laut Deckers ein Schriftsatz der Verteidigung vom 20. Juni 2020.

Darin wird Ue.s „grundsätzliche Bereitschaft“ mitgeteilt, die ihm zur Last gelegten „Sachverhalte“ einzuräumen. Diese Ankündigung steht im Widerspruch zu allen bekannten Äußerungen Ue.s vorher und nachher – ob im privaten Umfeld, gegenüber den staatlichen Ermittlern oder seinen kirchlichen Vorgesetzten.

In Kirchenkreisen kursierten Gerüchte

Doch Ue.s Einlassung in den Ermittlungsakten scheint alsbald an kirchliche Ohren gedrungen zu sein. Das legen Aussagen des früheren Offizials (oberster Kirchenrichter des Erzbistums), Günter Assenmacher, sowohl im Kölner Missbrauchsgutachten von 2021 als auch jetzt vor Gericht nahe. Gerüchteweise, von woher auch immer, habe er zu einem ihm nicht näher erinnerlichen Zeitpunkt gehört, dass Ue. nun doch alles gestanden habe, berichtet Assenmacher. Das sei für ihn die Höhe gewesen, nach fast zehn Jahren beharrlichen und – wie er es formuliert – auch „imponierend“ begründeten Bestreitens aller Vorwürfe.

Leichtes Spiel mit erfundenen Opferberichten

Zwar hätten die Anschuldigungen der Nichten in sich plausibel und glaubwürdig geklungen. Doch gebe es nun auch die Möglichkeit erfundener Opferberichte. Mit einer einfachen Internetrecherche sei es heutzutage ein Leichtes, eine Missbrauchsgeschichte zusammenzuschreiben und auf diese Tour bei der Kirche Kasse zu machen. Den Nachweis für solch eine Fälschungsaktion kann Assenmacher auf Nachfrage des Vorsitzenden Richters Christoph Kaufmann nicht führen.

Aber das ist auch gar nicht sein Punkt. „Der Skandal ist doch, dass der Beklagte uns ins Gesicht gelogen hat“, sagt Assenmacher aufgebracht. Diese Meinung habe er sich im Lichte dessen gebildet, „was Sie hier alles zusammengetragen haben“, sagt Assenmacher an Kaufmann gewandt. Was klingt wie eine freundliche Verbeugung des Kirchenrichters vor der Strafkammer, eine Reverenz unter Kollegen sozusagen, markiert in Wahrheit eine wesentliche Erkenntnis dieses Prozesstags.

Zwei Rechtskreise

Es gibt da zwei Rechtskreise, den kirchlichen und den staatlichen – mit teils denselben Begriffen, scheinbar gleichen Prozeduren und manchmal ähnlichem Gewese. Doch wenn es hart auf hart gibt, rotieren diese Kreise so sehr aneinander vorbei, dass Menschen und Schicksale buchstäblich zwischen ihnen hindurchfallen.

Wie schon im ersten Teil von Assenmachers Befragung, die vor zwei Wochen aus Zeitgründen unterbrochen werden musste, verwendet Richter Kaufmann allerhand Mühe auf die Frage: Was hat die Kirche ab dem Jahr 2010, als Ue.s Nichten ihren Onkel angezeigt hatten, unternommen, um die Vorwürfe aufzuklären oder zu erhärten, das Umfeld des Geistlichen auszuleuchten, ein von ihm ausgehendes Gefahrenpotenzial festzustellen und Kinder in Ue.s Umfeld vor etwaigen neuen Taten zu bewahren.

Ex-Offizial Assenmacher: Es tut mir leid

Es tue ihm aus heutiger Sicht leid, dass damals vieles unterblieben sei, was spätere Opfer und deren Beschädigung hätte verhindern können, erklärt Assenmacher auf Kaufmanns Frage nach seiner Bilanz. „Aber keiner von uns kann die Uhr zurückdrehen.“

Und was hier das konkrete Tun und Unterlassen im Fall Ue. betrifft, variiert Assenmacher erneut dutzendfach Sätze wie: Nicht meine Zuständigkeit. Nicht meine Aufgabe. Nicht mein Horizont. Nicht mein Interesse von Amts wegen. Dass sein Name im Missbrauchsgutachten des Kölner Strafrechtlers Björn Gercke, dessen Ergebnis 2021 zu Assenmachers Entpflichtung führte, so häufig genannt sei, erwecke ein „völlig falsches Bild“. – „Welche Aufgabe hatten Sie denn dann überhaupt?“, will Kaufmann wissen.

Von Woelki zurückgezogenes Gutachten

Das erste Gutachten zum Missbrauchsskandal in Köln, das Kardinal Rainer Woelki 2020 als nicht veröffentlichungsfähig ansah, gibt eine Antwort auf diese spitze Frage. Die Studie der Münchner Anwaltskanzlei WSW attestiert Assenmacher eine Schlüsselposition in der Bistumsleitung und nennt ihn die maßgebliche Autorität in allen kirchenrechtlichen Angelegenheiten. Zu Assenmachers Rolle im Fall Ue. bemerken die WSW-Gutachter, es sei für sie nicht ersichtlich, wie er eine etwaige Gefahrenlage beurteilen wollte, da Ue. sich doch keiner fachlichen Begutachtung unterziehen musste.

„Utopische Vorstellung“

Als Ue. nach einer zeitweiligen Beurlaubung in den Jahren 2010/11 vom damaligen Kardinal Joachim Meisner umstandslos wieder als Krankenhaus-Seelsorger in Wuppertal eingesetzt wurde, sei er damit „außerhalb des gefährdeten Kreises“ geworden. Diese Einschätzung, so Assenmacher, sei eine „Präsumtion“ gewesen, eine schlüssige Annahme, die – wenn überhaupt – der Personalchef des Erzbistums hätte überprüfen müssen, jedoch nicht er.

Es sei eine „utopische Vorstellung, dass ich jede Woche am Generalvikariat vorüberlaufe und frage, 'ist was für mich zu tun'? So läuft das nicht in einer kirchlichen Verwaltung“, sagt Assenmacher und setzt an Kaufmann gerichtet hinzu: „Bei Ihnen doch auch nicht.“

Was im Staate anders läuft

Was im Staate anders läuft, arbeitet Kaufmann an einem anderen, nicht unwichtigen Detail heraus: Dass Ue. in der Zeit seiner Beurlaubung 2010 gegen bischöfliche Auflagen – wie etwa die Nichtausübung priesterlicher Dienste – verstieß und sich dessen vor seinen kirchlichen Vorgesetzten sogar noch brüstete, blieb folgenlos. Assenmacher bemerkt dazu, er hätte so etwas – wenn involviert – sehr wohl „als ahndenswert erachtet". Er wisse aber nicht, „ob das ein Echo gehabt hätte". Im Klerus, fährt er fort, gebe es „allerhand Spezies“, solche und solche. Folglich auch solche wie Ue. Soll heißen: Es habe es in der Personalabteilung am Willen gefehlt, Ue. zu sanktionieren?, hakt Kaufmann nach. „Das muss man schließen.“

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Wie prekär ungeprüfte Schlüsse, Annahmen und „Präsumtionen“ sein können – auch das führt Kaufmann dem Kirchenrichter auf dem Zeugenstuhl dann noch fast lehrbuchartig vor. Als Assenmacher das Krankenhaus als einen Arbeitsplatz ohne signifikantes Missbrauchsrisiko charakterisiert, fragt Kaufmann erst allgemein nach der Kinderstation, um dann wieder blitzschnell und konkret auf den Fall Ue. zuzusteuern: „Es gab Gerüchte an der pädiatrischen Station in Wuppertal. Es soll etwas aufgefallen sein. Es gab Warnungen von Mitarbeitern: 'Der Mann muss vor sich selbst geschützt werden.' Und: 'Das ist doch gar kein Priester.'“

Dekret mit strengen Auflagen für Priester Ue.

Heute, mehr als zehn Jahre später, ist dem Priester Ue. zumindest die Amtsausübung in der Öffentlichkeit per Dekret vom 4. April 2019 untersagt. Er dürfe lediglich in seiner Wohnung die Messe feiern und nicht die Beichte abnehmen, teilt das Erzbistum auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ mit. Das von Kardinal Woelki eingeleitete kirchenrechtliche Verfahren ruht auf Weisung des Vatikans bis zum Abschluss des Strafprozesses. Zur Frage nach Gehaltskürzung wollte sich das Erzbistum aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen nicht äußern. Vor Gericht berichteten Zeugen aber von Ue.s eigener Darstellung, die Kirche habe ihm die Mittel entzogen.