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Priester Ue.Dramatische Entwicklungen und neue, nicht verjährte Fälle

Lesezeit 5 Minuten
Priester Ue. FRANK

Priester Hans Ue. (Mitte) im Gespräch mit seinen Anwälten 

Köln – Zwischen den vier Wänden von Saal 142 im Kölner Landgericht ist schon so manche Tragödie verhandelt worden. Wenn diese Wände etwas empfinden könnten, würden sie in diesen Tagen dennoch besonders heftig beben.

Im Missbrauchsprozess gegen den ehemaligen Pfarrer Hans Ue. befragt die zweite große Strafkammer unter Vorsitz von Richter Christoph Kaufmann derzeit eine Reihe neuer Zeuginnen, die mutmaßlich auch zu Opfern des Angeklagten geworden sind. Sie alle entschlossen sich erst im Lauf des Ende November eröffneten Prozesses, ihre Geschichte vor Gericht zu erzählen.

Richter wird auf mögliches Opfer aufmerksam

Auf eine Zeugin wurde Kaufmann selbst, wie er zu Beginn des 18. Hauptverhandlungstags am Mittwoch (26. Januar) schildert, in der vorigen Woche aufmerksam, weil die Frau als Zuschauerin im Saal saß. Mit einem Mal habe sie „so bewegt“ gewirkt, dass Kaufmann sie fragte: „Haben Sie vielleicht hier auch etwas beizutragen?“ Die Frau nickte.

Prozess Ue Richter Kaufmann dpa

Christoph Kaufmann, Vorsitzender Richter im Missbrauchsprozess gegen Priester Ue.

Sie wird nun am morgigen Donnerstag (27. Januar) gehört. Schon vorher habe sie dem Gericht „ein Paketchen“ mit Briefen und Postkarten des Angeklagten übergeben, berichtet Kaufmann weiter, den Blick unverwandt auf Ue. gerichtet. Die Korrespondenz geht in Kopie an die Prozessbeteiligten.

Priester Ue. ist ein mutmaßlicher Serientäter

Eine weitere Opferzeugin wandte sich aufgrund von Medienberichten an die Justiz. Zur Gesamtzahl der Betroffenen will das Gericht sich bislang nicht äußern. Sie liegt mit hoher Wahrscheinlichkeit bei mehr als einem halben Dutzend, so dass bei Ue. von einem mutmaßlichen Serientäter auszugehen ist.

Fest steht, dass die Fälle von vier mutmaßlichen Opfern nicht verjährt sind. Wie der Sprecher der Kölner Staatsanwaltschaft, Ulrich Bremer, auf Anfrage erläuterte, könnten die Tatvorwürfe auf dem Weg einer sogenannten Nachtragsanklage noch in den laufenden Prozess eingeführt werden. Dem muss der Angeklagte allerdings zustimmen. Widrigenfalls würde die Staatsanwaltschaft gegebenenfalls eigene Ermittlungsverfahren einleiten und womöglich eine weitere Anklage erheben.

„Das ist krass“

In Justizkreisen gelten die jüngsten Entwicklungen als ungewöhnlich. „Das ist krass“, sagt ein exzellenter Kenner der Materie. Schon Nachtragsanklagen seien etwas eher Seltenes. Dass sich in einem laufenden Prozess weitere Geschädigte in so großer Zahl meldeten, komme sonst höchstens einmal bei Einbruchsserien oder Drogendelikten vor.

Auch WDR-Gerichtsreporter Markus Schmitz, der den Prozess gegen Ue. begleitet, zeigte sich verwundert. „Dass bislang unbekannte Betroffene im Saal sitzen und sich auf Nachfrage des Richters offenbaren, habe ich so noch nicht erlebt.“

Köln: Mutmaßliche Missbrauchsopfer werden unter Ausschluss der Öffentlichkeit befragt

Zum Schutz der Intimsphäre der Betroffenen, aber auch des Angeklagten ist die Öffentlichkeit bei den Befragungen der Opferzeuginnen durchgängig ausgeschlossen. Aus Kaufmanns Angaben zum Verfahren in öffentlicher Sitzung lassen sich aber einige Zusammenhänge erschließen.

Ein besonders erschütternder Fall betrifft eine Familie, die Ue. freundschaftlich eng verbunden war und ihn 2010 just in der Zeit stark unterstützte, als er wegen damals laufender erster Ermittlungen vom Dienst als Priester beurlaubt war.

Fall Ue.: Töchter einer befreundeten Familie missbraucht?

Wie es sich nun im Prozess darstellt, soll Ue. sich etwa in dieser Zeit an einer oder beiden Töchtern der Familie vergangen haben, die damals elf und neun Jahre alt waren. Die zwei jungen Frauen wurden in der vorigen Woche vom Gericht gehört.

Zur Aussage der Jüngeren musste Ue. den Sitzungssaal verlassen, um eine direkte Begegnung zu vermeiden. Der Verhandlung konnte er in einem gesonderten Raum per Übertragung folgen.

Anklage im Jahr 2021

Dass auch die beste Freundin des älteren Mädchens von Ue. Anfang Januar 2011 missbraucht worden sein soll, ist bereits seit November bekannt. Die Staatsanwaltschaft erhob in diesem Fall Anklage wegen schweren sexuellen Missbrauchs. Diese Anklage wird zusammen mit dem Vorwurf dreier Nichten Ue.s verhandelt, dass ihr Onkel sie von 1993 bis 1999 als Minderjährige in Gummersbach viele Male missbraucht haben soll.

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Diese Anschuldigungen sind bereits seit 2010 bekannt. Die Kölner Staatsanwaltschaft stellte ihre Ermittlungen damals aber nach wenigen Monaten ein, weil die Nichten – offenbar auf Druck der Familie – von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machten. Verantwortliche des Erzbistums Köln unterließen vorschriftswidrig eigene Nachforschungen und eine Meldung des Verdachtsfalls nach Rom.

Woelki leitete 2018 Untersuchung ein

Erst 2018 kam ein kirchliches Verfahren in Gang, weil die Nichten auf Nachfrage des damaligen Interventionsbeauftragten des Erzbistums, Oliver Vogt, nun doch aussagebereit waren. Kardinal Rainer Woelki beurlaubte Ue. ein zweites Mal, leitete eine Untersuchung ein und entließ Ue. in der Folge aus dem Dienst des Erzbistums Köln.

Die Staatsanwaltschaft nahm ihrerseits die Ermittlungen wieder auf und erhob im Juli 2020 Anklage. Auch hier steht der Vorwurf des schweren sexuellen Missbrauchs im Raum. Bei einer Verurteilung droht dem Angeklagten eine Haftstrafe von zwei bis 15 Jahren.

Kölner Ex-Offizial setzt Zeugenaussage fort

An diesem Donnerstag setzt das Gericht die Anhörung von Prälat und Domkapitular Günter Assenmacher fort, dem ehemaligen Offizial (oberster Kirchenrichter) des Erzbistums Köln. Im ersten Teil der Befragung vor zwei Wochen ging es Richter Kaufmann vor allem um die Frage, welche Schritte Ue.s Vorgesetzte in der Kölner Bistumsleitung 2010 unternahmen, um möglichen Missbrauchsvergehen des Geistlichen auf die Spur zu kommen und weitere Taten zu verhindern.

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Prälat Günter Assenmacher ist Zeuge im Kölner Missbrauchsprozess gegen Priester Ue.

Während Assenmacher dafür „nach Aktenlage“ weder Anlass noch Möglichkeiten sah, hielt Kaufmann ihm in scharfer Form entgegen, dass es wenig Anstrengungen gebraucht hätte, um der Gefahr gewahr zu werden, die von Ue. ausging. Dafür, so der Richter, hätte man freilich mehr tun müssen, als nur in den Papieren zu blättern.

Dass Ue. stattdessen unbehelligt blieb und ihm somit um den Jahreswechsel 2010/2011 erneut Kinder aus seinem Umfeld zum Opfer fallen konnten, macht schaudern – oder mit Kaufmanns Worten: Es läuft einem eiskalt den Buckel runter.