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Missbrauchs-ProzessErzbischof Heße sieht im Fall Ue. keine eigenen Fehler

Lesezeit 7 Minuten
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Stefan Heße, Erzbischof von Hamburg, im Kölner Landgericht. Er war als Zeuge im Missbrauchsprozess gegen Pfarrer Ue. geladen.

Köln – „Wenn Sie mich so anschauen“, sagt Erzbischof Stefan Heße. Vor dem Landgericht Köln ruht nicht nur der Blick des Vorsitzenden Richters Christoph Kaufmann auf dem 55-Jährigen, sondern der einer breiten Öffentlichkeit. Im Missbrauchsprozess um den ehemaligen Pfarrer Hans Ue. geht es auch um Frage, was Ue.s kirchliche Vorgesetzte getan – oder nicht getan – haben, um Vorwürfe gegen den mutmaßlichen Serientäter aus dem Jahr 2010 aufzuklären und weitere Vergehen zu verhindern.

Es geht also auch um Heßes persönliche Verantwortung. Denn im Oktober 2010, als das Erzbistum Köln über einen anonymen Hinweis von staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gegen Ue. erfuhr, war Heße Personalchef unter Kardinal Joachim Meisner – und damit unmittelbar mit dem Fall betraut. Deshalb ist er als Zeuge geladen, als erster deutscher Bischof überhaupt in einem Strafprozess wegen sexuellen Missbrauchs.

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Bischof Heße auf dem Weg zum Gericht

Vor Gericht schildert Heße, wie schnell und konsequent er reagiert, Ue. schon zwei Tage nach Bekanntwerden der Vorwürfe einbestellt und ihn beurlaubt habe. Mitsamt Urkunde, wie sich das gehört. Es sei ihm darum gegangen, „entschlossen zu handeln und den Beschuldigten aus dem Verkehr zu ziehen“. Gleich mehrfach schildert Heße, dass er geradezu entsetzt gewesen sei, als im weiteren Verlauf ausgerechnet die „Profis“ von der Staatsanwaltschaft das Verfahren eingestellt hätten. Der Grund war, dass Ue.s Nichten, die ihren Onkel des vielfachen Missbrauchs in den 1990er Jahren in Gummersbach beschuldigt hatten, von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machten. Mit einem solchen Ende habe er nicht im Entferntesten gerechnet, so Heße.

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Heße: Licht ins Dunkel bringen

„Das war ein absoluter Tiefpunkt für mich. Ich habe die Welt nicht mehr verstanden." Seine ganze Hoffnung auf Aufklärung sei „wie ein Kartenhaus zusammengebrochen“. Der Fall, so der Erzbischof weiter, sei einer der ganz wenigen gewesen, in denen die Tatvorwürfe noch nicht verjährt waren. Da die Kirche schließlich keine Polizei sei, habe er hier auf die staatlichen Ermittler gesetzt.

Auf Nachfragen des Richters räumt Heße ein, dass die Kirche nach der Verfahrenseinstellung 2011 keine eigenen Anstrengungen mehr unternommen habe – weder zur Begleitung der mutmaßlichen Opfer noch zur Prävention. Im Gegenteil: Auf Erlass Kardinal Meisners wurde Ue. ohne jede Auflage wieder an seiner damaligen Seelsorge-Stelle in Wuppertal eingesetzt. Auch Jahre später, als die Ermittlungen wieder auflebten und Kardinal Rainer Woelki Ue. erneut beurlaubte, erfolgte keine Information an die Geistlichen im Kreis Euskirchen, wo Ue. sich dann niederließ.

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Protestierende beim Missbrauchsprozess: Eine Demonstrantin mit einer Maske mit der Aufschrift "Dunkelziffer" vor dem Kölner Landgericht

Aus den Akten geht hervor, wie Ue. 2011 nach Einstellung des Verfahrens im Gespräch mit Heße und weiteren Bistumsvertretern gleichsam die Rollen vertauschte. Er schwang sich zum Ankläger eines „desaströsen“ Umgangs mit ihm auf, forderte die Übernahme seiner Anwaltskosten und fand rein gar nichts dabei, dass er sich in der Phase seiner Beurlaubung über die – wie er offenbar fand – schikanösen Auflagen hinweggesetzt hatte und als Seelsorger tätig geworden war. Hätte er das denn gedurft?, will der Richter von Heße wissen. Der Erzbischof verneint. „Dem hätte man ein Ende bereiten müssen“, fügt er tonlos hinzu.

Sorge um Presse und Öffentlichkeit

Ue. verlangte 2011 auch, sofort wieder als Seelsorger eingesetzt zu werden. Laut Akten lehnte Heße das vorläufig ab – wegen des Stands des Verfahrens und „wegen der Öffentlichkeit“. Ob das als Bedauern gegenüber dem Mitbruder zu verstehen sei, fragt der Richter, in dem Sinne: „Tschuldigung, geht nicht anders, wir stehen unter Beobachtung“.

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Christoph Kaufmann, Vorsitzender Richter der 2. Großen Strafkammer am Landgericht Köln

Heße schüttelt den Kopf und wiederholt seine Erklärung, „wir haben klar und konsequent gehandelt.“ – „Ja“, gibt der Richter zurück, „aber hier gibt es vielleicht einen Hinweis auf den Grund dafür.“ Die Sorge um Presse und Öffentlichkeit ziehe sich durch die Akten – im Gegensatz zur Sorge um die Opfer.

Akribische Vorbereitung Heßes

In der dreistündigen Befragung wird Heßes akribische Vorbereitung deutlich. „Ich habe gestern nochmal in den Akten nachgelesen.“ Mit diesem Satz leitet er viele Antworten ein. Mit weitergehenden Erinnerungen kann er umso weniger aufwarten. Eines weiß er jedoch nach eigenen Angaben „hundertprozentig sicher“: Ue. habe in einer internen Anhörung keineswegs ein Geständnis abgelegt, sondern vielmehr alle Vorwürfe weit von sich gewiesen. „Das war seine Strategie, vom ersten bis zum letzten Gespräch“, betont Heße.

Verdacht der Vertuschung bestritten

Er tritt damit vehement dem Verdacht der Vertuschung entgegen, den ein Aktenvermerk seiner Sekretärin nährt. Darin steht nicht nur, dass Ue. „hier alles gesagt“ habe, sondern auch, dass anstelle eines Protokolls der Anhörung nur handschriftliche Notizen angefertigt werden sollten, weil die Unterlagen sonst „beschlagnahmefähig“ wären.

Die Entstehung dieses brisanten Vermerks, der zudem seine Paraphe (Namenskürzel) trägt, erklärt Heße als Ergebnis eines Telefonats der damaligen Justiziarin mit seiner Sekretärin. Er könne dem Inhalt keine besondere Aufmerksamkeit gewidmet haben. Der Richter konzediert, dass „alles gesagt“ nicht heißen müsse, „alles gestanden“. Zudem, beteuert Heße: Einer Vernichtung von Akten hätte er niemals zugestimmt. Und die weiteren Aktenbestände zeigten doch auch, dass dort nichts fehle.

Zudem habe er persönlich die kirchenrechtlich vorgeschriebene Praxis des Erzbistums gestoppt, Missbrauchsakten nach Ablauf bestimmter Fristen zu schreddern. Die vorschriftswidrig unterbliebene Weiterleitung des Falls Ue. nach Rom erklärt er mit einer entsprechenden Auskunft der Justiziarin und des damaligen Offizials (Leiter des Kirchengerichts), Günter Assenmacher, auf deren Expertise er sich voll und ganz verlassen habe.

Momente höchster Anspannung

In dieser Phase der Befragung wirkt Heße, der den Gerichtssaal mit locker geschlungenem schwarzen Schal betreten und seinen schwarzen Parka lässig auf dem Zeugentisch abgelegt hat, hoch angespannt.

Deutlich lockerer wird Heße erst im letzten Teil seiner Aussage, als es eher allgemein um den Umgang der Kirche mit Missbrauch geht. Auf Richter Kaufmanns Frage nach der persönlichen Verantwortung verweist Heße auf sein Rücktrittsgesuch vom März 2021. Damals hatte ihm das „Gercke-Gutachten“ des Erzbistums Köln insgesamt elf Pflichtverletzungen in den rund 140 von ihm behandelten Missbrauchsfällen zur Last gelegt. Der Papst nahm Heßes Gesuch nicht an und befand, die begangenen Fehler seien unabsichtlich und nicht mit Vertuschungsvorsatz passiert. „Die Entscheidung des Papstes macht es nicht einfacher“, sagt Heße, der sich nach wie vor heftigen Vorwürfen unter anderem von Opfervertretern ausgesetzt sieht.

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Demonstranten vor dem Kölner Landgericht

Auch am Dienstag demonstriert ein Aktionsbündnis vor dem Landgericht für eine umfassende Aufklärung. Die Aktivisten haben symbolisch leere Aktenordner mit den Namen verschiedener Bistümer und Bischöfe aufgestellt sowie weitere Ordner auf einen Stapel Brennholz gelegt.

Von Heßes Auftritt erwarteten sie sich ein Mindestmaß an Einsicht in eigene Fehler, sagt Jens Windel von der Betroffenen-Initiative im Bistum Hildesheim. Dies sei die Voraussetzung dafür, dass Heße in den norddeutschen Bistümern, für die er als Erzbischof zuständig ist, die weitere Aufklärung des Missbrauchs federführend betreiben könne. „Andernfalls ist er dazu einfach nicht befähigt.“

Keine persönliche Schuld bekannt

Heßes Aussagen dürften das Zutrauen in diese Befähigung nicht eben verstärkt haben. Gewiss, er spricht von Fehlern und notwendigen Korrekturen. Für das Lernen der Kirche und ein konsequentes Handeln gebe es „viel Luft nach oben“. Aber an keiner Stelle in Heßes ausführlichen Erklärungen zu Versäumnissen fällt hier das Wort „ich“.

Diese Haltung deckt sich mit Heßes Angaben gegenüber Gercke, passt aber auch zum Befund der Münchner Rechtsanwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl. Diese kommt in ihrem von Kardinal Woelki 2020 zurückgezogenen und nur bedingt zugänglichen Gutachten zum Ergebnis, Heße sehe sich bis heute nicht zu einer selbstkritischen Reflexion seines damaligen Handelns als Personalchef des Erzbistums in der Lage. Auch werfen ihm die Gutachter Defizite und Mängel in der Opferfürsorge vor.

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Dass die Opfer zur damaligen Zeit nicht auf dem Schirm der Bistumsgewaltigen waren, lassen Heßes Antworten auf Kaufmanns Fragen erkennen. Beschränkungen des Kontakts zu Kinder und Jugendlichen? Psychiatrische Begutachtung von Ue.? Kontrollen? Warnungen? „Dazu habe ich in den Akten nichts gelesen“, sagt Heße kleinlaut. „Ich auch nicht“, gibt der Richter zurück.

Zu allem, was seit 2015 in Köln passiert sei, könne er ohnehin nichts mehr beitragen, sagt Heße. „Ich bin ja seit sieben Jahren weg.“ - „Würden Sie sagen: Zum Glück?“, fragt Kaufmann. Nun, erwidert Heße, es sei viel passiert seitdem. „Die Kirche lernt viel – und macht viel.“