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Coronakrise„Schulleiter werden allein gelassen – auch die Eltern üben Druck aus"

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Andreas Bartsch verlangt, engagiert gegen den Lehrermangel in NRW vorzugehen.

  1. Lehrerverbandschef Andreas Bartsch rügt im Interview unter anderem Yvonne Gebauers Corona-Strategie und fordert mehr Lehrerstellen.
  2. Außerdem spricht er über den Trend zum Gymnasium und die Abwertung anderer Schulformen. „Oft erleben wir hier übertriebenen Ehrgeiz von Eltern.“

DüsseldorfHerr Bartsch, Sie kritisieren die nordrhein-westfälische Bildungspolitik, weil sie keine ausreichenden Maßnahmen gegen Corona ergreife. Was läuft falsch?Andreas Bartsch: Was uns an den Schulen aktuell fehlt, ist ein Handlungskatalog, der festhält, was geschieht, wenn das Infektionsgeschehen explodiert. Die Schulleiter haben im Moment überhaupt keine Handhabe, sie werden wirklich alleine gelassen: Auch die Eltern üben Druck auf sie aus und wollen wissen, wie der Unterricht läuft, wenn die halbe Klasse nicht mehr in Präsenz da ist.

Bildungspolitik ist derzeit Corona-Politik. Doch welche wichtigen bildungspolitischen Themen werden derzeit durch die Corona-Krise so überlagert, dass sie nicht die gebotene Bearbeitung erfahren?

Wir stehen vor Wahlen in Nordrhein-Westfalen, und augenscheinlich beginnt nun der Überbietungswettbewerb, was Schule und Bildungspolitik betrifft: Der Spitzenkandidat der SPD, Thomas Kutschaty, twittert, er wolle NRW zum Bildungsland Nummer eins machen – das kennen wir von der vergangenen Landtagswahl, als es eine ähnliche Formulierung seitens der CDU gab. Ich wünschte mir, auch mit einem nüchternen Blick auf die Zahlen, dass wir für die Schulpolitik aus Corona lernen …

… da fällt einem als erstes die Digitalisierung ein.

Das ist ein wichtiger Punkt. Hier muss gemeinsam mit dem Bund noch einmal die Frage der Finanzierung geklärt werden. Da geht es um die Finanzhoheit des Bundes gegenüber den Ländern: Wollen wir wirklich, dass der Bund sich in Schulfragen einschaltet, oder wollen wir das nicht. Ich bin der Meinung, dass der Bund das kann, wenn es um Gebäude und Sachausstattung geht.

Es geht nicht um den Ausbau des Distanzunterrichts

Was ist das Ziel der Digitalisierung?

Es geht nicht um den Ausbau des Distanzunterrichts. Ziel ist es, im Präsenzunterricht mit den digitalen Geräten methodisch neu zu arbeiten. Wir haben das vor Jahren mit den elektronischen Tafeln begonnen, jetzt kommen die digitalen Geräte dazu. Im Übrigen haben wir dank dieser Technik die Möglichkeit, krank zu Hause gebliebene Schüler mit Unterricht zu versorgen.

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"Die Situation wird größtenteils sehr ordentlich bewältigt."

Was drängt noch auf die Agenda außer der Digitalisierung?

Kontinuierliche Einstellungen! Wir begehen in der Schulpolitik notorisch den Fehler, nur wellenförmig einzustellen: Wenn die Schülerzahlen steigen, wird eingestellt, wenn sie wie in der Mitte der 80er Jahre stagnieren, wird abgebaut – dann ist man nicht mehr auf die nächste Welle vorbereitet. Ich fordere eine Stellenbesetzungsquote von 110 Prozent – anders bekommen wir auch den Unterrichtsausfall nicht in den Griff.

Wo wirkt sich der Lehrkräftemangel am dramatischsten aus?

Vor allem im Grund-, Haupt- und Realschulbereich, dort fehlen Lehrerinnen und Lehrer in großer Zahl. Das hängt auch damit zusammen, dass es noch immer einen Numerus clausus für den Grundschulbereich gibt …

… das heißt, es studieren gar nicht genügend junge Menschen für dieses Segment.

Genau, sie können es gar nicht! Es zweites kommt hinzu: Man muss auch in diesem Bereich den Lehrberuf attraktiver machen. Wir brauchen Beförderungsstellen an Grund-, Haupt- und auch an Realschulen, denn es kann nicht sein, dass man mit dem Gehalt pensioniert wird, mit dem man 30 Jahre früher im Beruf begonnen hat.

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"Handwerk oder auch Verwaltung schrauben ihre Erwartungen mittlerweile so hoch, dass man nur noch Abiturientinnen und Abiturienten einstellt."

Die Unterschiede der Schulformen führen immer mal wieder zu teilweise harten Strukturdebatten. Kommt so etwas wieder auf uns zu, wäre eine solche Diskussion gar sinnvoll?

Wir haben über Jahre diese kriegerischen Auseinandersetzungen erlebt. Die linken Parteien und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft haben seinerzeit unter Johannes Rau extrem hart für eine Einheitsschule gekämpft – gegen eine gegliederte Schulform, und am Ende lief es immer auf die Zweigliedrigkeit von Gesamtschule und Gymnasium hinaus. Ich wünsche mir eine solche Debatte nicht wieder. Es gab nun über viele Jahre hinweg eine Art Moratorium, weil wir alle eingesehen haben, dass diese Debatte zu nichts führt. Auch weil der Strukturbereich zu 80 Prozent bei den Kommunen liegt.

Unter Umständen positionierten sich Gemeinden gegeneinander?

Ich habe das selbst erlebt in meiner Zeit in der Kommunalpolitik in Nettetal, wo wir uns für ein gegliedertes Schulwesen ausgesprochen hatten. Plötzlich hatte aber die kleine Nachbargemeinde mit 10 000 Einwohnern eine Gesamtschule, und dann stellten wir fest, dass Schülerinnen und Schüler aus Nettetal nach Brüggen fuhren, um dort auf die Gesamtschule zu gehen. Irgendwann haben wir uns entschieden, auch in Nettetal eine Gesamtschule zu bauen. Ein Beispiel dafür, wie die Kommunen untereinander wetteifern und sich als autonomes Gebilde sehen, das auch nicht im Sinne einer Regionalschulpolitik denkt.

Gegliedertes Schulsystem als Favorit

Was denken die Eltern?

Es gab im vergangenen Jahr eine Umfrage, die ergab, dass sich 60 Prozent der Eltern ein gegliedertes Schulsystem wünschen, damit sie wählen können.

Ist der Trend zum Gymnasium nicht zu übermächtig?

Das ist unsere Sorge. In den Städten, in den Zentren von Nordrhein-Westfalen liegen die Zahlen bereits jenseits von 50 Prozent. Das liegt aber auch an den Ansprüchen. Handwerk oder auch Verwaltung schrauben ihre Erwartungen mittlerweile so hoch, dass man nur noch Abiturientinnen und Abiturienten einstellt. Da ist etwas in den vergangenen Jahren nicht richtig gelaufen. Für manche hat der Mensch erst mit dem Abitur eine gewisse Wertigkeit, mittlerweile geht es oft sogar Richtung Universitätsabschluss – wer das nicht leistet, scheint keine Chance in dieser Gesellschaft zu haben. Dabei gibt es unterschiedliche Begabungen, und diese müssen auch unterschiedlich gefördert werden. Oft erleben wir hier übertriebenen Ehrgeiz von Eltern.

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Kommen wir noch einmal auf Corona zurück: Auf vieles wird gezeigt, was schiefläuft, aber gibt es auch Grund zu sagen, dass anderes sehr gut funktioniert?

In unserem Präsidium sitzen fünf Schulleiter, und die sagen, auch übereinstimmend mit Abfragen der Verbände, dass die Situation größtenteils sehr ordentlich bewältigt wird. Natürlich ist sie mit großem Stress verbunden: Zum Teil verbringen Schulleiter ihre Wochenenden damit, Infektionsketten zu verfolgen, es gibt das Informationsbedürfnis der Eltern, dem man nachkommen muss. Aber das wird aufgefangen. Auf der anderen Seite müssen wir unabhängig von Corona dafür sorgen, dass die Schule bessere Rahmenbedingungen vorfindet.

Die von der Politik geschaffen werden müssen?

Stichwort Entbürokratisierung: Lehrerinnen und Lehrer sind Fachleute für den Unterricht, und diesen Job müssen sie wieder in vollem Umfang machen dürfen. Die andere Arbeit, ob es sich dabei um Verwaltung handelt, um Organisation, Kontakt zur Kommune oder sozialpädagogische Fragen, ob das IT ist oder psychologische Betreuung – das sind alles Dinge, für die Lehrkräfte nicht in erster Linie ausgebildet sind und die durch weitere Kräfte bewältigt werden sollten. Unterm Strich kommt das alles den Schülerinnen und Schülern zugute.

Bartsch

Andreas Bartsch

Zur Person

Andreas Bartsch ist Präsident des Lehrerverbands Nordrhein-Westfalen. In diesem Verband haben sich die drei weiterhin eigenständigen Organisationen Philologen-Verband Nordrhein-Westfalen, Verband der Lehrerinnen und Lehrer an Wirtschaftsschulen in NRW und Verband der Lehrerinnen und Lehrer an Berufskollegs in NRW zusammengeschlossen.