AboAbonnieren

Autofrei glücklich30 Prozent der Kölner leben ohne ein eigenes Auto

Lesezeit 6 Minuten
imago Autofrei Symbolbild

Symbolbild

Köln – Wenn Johanna Regenhard morgens in Richtung Niehl an den sich stauenden Autos vorbeiradelt, fühlt sich das für sie richtig gut an: Keine Staus, keine nervige Parkplatzsuche und kein Reifenwechsel im Herbst. Die 37-jährige freiberufliche Journalistin lebt bewusst ohne eigenes Auto. „Für mich ist das keine Einschränkung, sondern eine große Freiheit, dass ich mit dem ganzen Stress nichts am Hut habe.“

Ihre Mobilität organisiert sie sich in Köln flexibel: Mal radelt sie, mal kombiniert sie das Bahnticket an der Ausstiegshaltestelle mit dem eine halbe Stunde gratis nutzbaren KVB-Leihrad, das sie vorher per App geortet hat. „Wenn ich mal was Schweres zu transportieren habe, dann rufe ich bei Lastentaxi Kölle an. Da habe ich für kleines Geld den Fahrer sogar gleich mit dabei.“

Und wenn es nach einer Party mal spät wird, sei sie auch nicht zu geizig, sich ein Taxi zu leisten. „Bei dem Betrag, den ich monatlich spare, weil ich kein Auto unterhalten muss, hängt das locker dran.“Regenhard gehört zu der stetig wachsenden Zahl von Kölnern, für die Autobesitz gestern war.

Für Johanna Regenhard ist das Leben ohne Auto ein Gewinn an Lebensqualität.

Das bedeutet nicht weniger Mobilität, sondern – auch dank diverser Apps auf ihrem Smartphone – die Kombination der wachsenden Zahl alternativer Fortbewegungsformen wie Fahrrad, Carsharing, ÖPNV, Leihräder oder seit neuestem das Elektro-Lastenrad Donk-EE. Multimodale Mobilität nennen das die Verkehrsforscher und setzen große Hoffnungen auf das Thema, um die unter dem Verkehr ächzenden Städte zu entlasten: In Köln verzichten nach Angaben der Stadt inzwischen 30 Prozent der Haushalte auf ein eigenes Auto, im Innenstadtbereich sind es sogar 50 Prozent. Tendenz steigend. „Da, wo es anders als im ländlichen Raum Alternativen gibt, verliert das Auto seine Anziehungskraft vor allem auf junge Leute“, stellt das Institut für Mobilitätsforschung fest.

Zugriff auf ein Auto reicht aus

Vielen Menschen um die 30 reiche es, Zugriff auf ein Auto zu haben. Das „Nutzen-statt-Besitzen-Prinzip“ setze sich auch beim Auto durch. Laut einer repräsentativen Umfrage im Rahmen eines Forschungsprojekts der Mercator-Stiftung können sich 50 Prozent der 18- bis 24-Jährigen vorstellen, auf ein eigenes Auto zu verzichten. Das Auto als Statussymbol hat laut der Jugendstudie „Trendscout“ in dieser Altersgruppe ausgedient und ist durch elektronische Konsumgüter wie Smartphones oder Reisen abgelöst worden. „Für meinen Bekanntenkreis kann ich das absolut bestätigen. Ich schätze, da haben so 70 Prozent kein eigenes Auto“, erläutert der Kölner Soziologie-Student Martin Widdig. „Du brauchst es in Köln auch wirklich nicht.“ Widdig bewältigt innerhalb Kölns alle Fahrten mit dem Rad und leiht sich für Urlaubsfahrten das Auto seiner Eltern. Das sei gut für die Umwelt und gut fürs Portemonnaie.

Student Martin Widdig schätzt, dass 70 Prozent seiner Bekannten ohne Auto leben.

Aber auch immer mehr Kölner Familien entscheiden sich für ein Leben ohne eigenes Auto, obwohl diesen das naturgemäß mehr Organisationstalent abverlangt als Singles. „Aber es funktioniert problemlos“, erzählt Niko Wiese (49), der mit seiner Frau Anahita und den Kindern Navid (12) und Bita (9) in Ehrenfeld lebt. 2003 seien sie mit diesem Modell in Köln noch Exoten gewesen. „Mittlerweile kennen wir jede Menge Familien im Veedel, die ihr Auto abgeschafft haben.“ Umweltbewusstsein, Parkplatzmangel, verstopfte Straßen seien die Motive. Neben Fahrrad und ÖPNV nutzt die Familie Carsharing. Die Cambio-Station liegt quasi vor der Haustür. „Es ist sogar meist ein E-Mobil frei.“

Der in den Städten boomende Carsharing-Markt zeigt, welches Potenzial das Modell hat, die unter Autos ächzenden Städte zu entlasten: 2017 waren nach Angaben des Bundesverbandes Carsharing gut 1,7 Millionen Kunden bei Carsharing-Anbietern registriert. Das ist eine Steigerung von 36 Prozent innerhalb eines einzigen Jahres. Unter den deutschen Millionenstädten ist Köln dabei der Spitzenreiter bei den Nutzern mit 1,15 Carsharing-Fahrzeugen je 1000 Einwohner, unter allen deutschen Städten belegt Köln Platz vier. Das Gros der Nutzer ist laut Bundesverband zwischen 25 und 44 Jahren alt. Für die sechs Carsharing-Anbieter sind in Köln 1150 Fahrzeuge unterwegs.

Ohne Auto spart man viel Geld

Neben dem wichtigen Faktor der Schonung von Umwelt und eigenen Nerven spart das Leben ohne eigenes Auto ziemlich viel Geld: Der ADAC hat ausgerechnet, dass schon ein Mittelklassewagen wie der VW Golf 500 Euro im Monat über die gesamte Lebensdauer gerechnet kostet. Von so einem Betrag könne die Familie Jobtickets kaufen, bei Bedarf Carsharing nutzen, im Urlaub einen Mietwagen mieten und dennoch Geld sparen, erläutert Wiese. „Schließlich bezahlen wir beim Carsharing nur, wenn wir tatsächlich fahren.“

Familie Wiese-Parastar organisiert das Familienleben mit Carsharing und Fahrrädern.

Für die Stadt Köln bietet dieser gesellschaftliche Trend viel Potenzial, um den überfüllten öffentlichen Raum von Autos zu entlasten und nebenbei das Stickoxid-Problem zu lösen. In Klettenberg und Sülz ersetzt laut einer Erhebung der Stadt bereits jetzt ein Carsharing-Auto 18 private Pkw.

„Wir brauchen keine autofreien Städte, nur alle möglichen Wege, die anderen Verkehrsmittel attraktiver zu gestalten“, konstatiert der Verkehrsplaner Steffen de Rutter. Die Bundesregierung hat hierfür in diesem Monat neue Chancen geschaffen: Mit dem Carsharing-Gesetz. Um noch mehr Menschen für den Verzicht auf ein eigenes Auto zu gewinnen, können die Kommunen künftig mit einem vereinfachten Verfahren speziell reservierte und kostenlose Parkplätze für Carsharing-Autos schaffen – vergleichbar mit reservierten Stellplätzen etwa für Taxen. Die Stadt möchte diese Chance nutzen und prüft derzeit, in welchem Stadtteil testweise kostenlose Carsharing-Parkplätze eingeführt werden könnten.Neben der Förderung des Carsharings soll auch der Radverkehr gestärkt werden. „Da sehe ich noch viel Luft nach oben“, findet Radfahrer Widdig. Es seien zwar immer mehr Radler unterwegs – in Ehrenfeld sogar anteilig mehr als Autofahrer – aber die Radwege seien vielfach in desolatem Zustand und zu schmal. Auch das erstellte Radverkehrskonzept werde zu schleppend umgesetzt.

Das mag der Fahrradbeauftragte der Stadt, Jürgen Möllers, so nicht stehen lassen. Voraussichtlich im November werde ein Projekt in der Ulrichgasse im südlichen Teil der Nord-Süd-Fahrt fertiggestellt. Dann wird es dort statt drei nur noch zwei Spuren für Autos geben. Eine Spur wird dem Radverkehr zugeschlagen. Es ist das erste Mal in Köln, dass der Autoverkehr auf einer vielbefahrenen Straße zurückgedrängt wird. Ein Pilotprojekt zwischen Zülpicher Platz und Schaafenstraße, das auf den Ringen eine für Radfahrer reservierte Fahrspur vorsieht, geht im Oktober in die politische Beratung.

Wie viel man ohne Auto sparen kann

Wissen Sie, wie viel Sie für Ihr Auto im Monat ausgeben? Der ADAC hat das in einem Kostenvergleich ermittelt. Bei diesen durchschnittlichen Berechnungen wird zugrundegelegt, dass das neue Auto fünf Jahre gefahren wird und in dieser Zeit 75 000 Kilometer zurücklegt. Das entspricht einer jährlichen Laufleistung von 15.000 Kilometern.

So ermittelt der ADAC als Summe aus Wertverlust, Fixkosten (Versicherung, Steuer), Betriebskosten (Kraftstoff) und Werkstattkosten für einen Skoda Octavia Kombi 627 Euro monatlich. Ein Golf 1.0 kostet 508 Euro, ein VW Passat je nach Modell 626 bis 842 Euro im Monat. Das entspricht Kilometerkosten von 40,6 bis 64,6 Cent. Mehr Infos gibt es unter www.adac.de/infotestrat/autodatenbank/autokosten/.