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Kölner Reaktionen auf MissbrauchsgutachtenMeurer vergleicht Kirche mit Clanstrukturen

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Franz Meurer Kirche

Franz Meurer

Köln – „Das schlimmste ist, dass wir es im System Kirche nicht selbst hinkriegen, auf die Opfer zuzugehen“, sagt der Vingster Arbeiterpfarrer Franz Meurer zum am Donnerstag veröffentlichten Missbrauchsgutachten, das 75 Pflichtverletzungen von acht Verantwortlichen der katholischen Kirche feststellt - bei dem seit Wochen in der Kritik stehenden Erzbischof Rainer-Maria Woelki aber kein juristisch relevantes Vergehen feststellt.

Verloren gegangenes Vertrauen lasse sich „nur ganz, ganz langsam aufbauen. Damit wird man beschenkt, das lässt sich durch kein Gutachten wiederholen.“ Dass viele Menschen enttäuscht aus der Kirche austreten, findet Meurer schade, aber nicht wesentlich. „Es gibt auch Wiedereintritte. Und ob jemand Kirchensteuer zahlt, hat nichts mit seiner Gläubigkeit zu tun. Ich war immer schon gegen die Kirchensteuer, Geld kann alles kaputt machen. Es geht darum, das Evangelium zu leben.“

„Menschen wollen stolz sein auf ihre Bischöfe“

Die Frage, ob Kardinal Woelki wieder Vertrauen aufbauen könne, beantwortet Meurer mit einem Augenzwinkern. „Normale Menschen wollen stolz sein auf ihre Bischöfe und Prälaten. Meine Mutter hat mal gesagt: Es wäre schon gut, wenn die Pfarrer schöne Männer wären, dann hätte man was zu gucken.“ Ob die Menschen je wieder stolz Woelki sein könnten? „Die Kirche lebt nicht durch gute Bischöfe. Sie lebt von unten, in den Gemeinden: Es geht – gerade auch in Krisenzeiten wie diesen – darum, zu sehen, wem es schlecht geht: Und diesen Menschen beizustehen, ihnen zu helfen. Wir müssen uns darum kümmern, dass Menschen nicht zu fünft auf zwei Zimmern leben, dass junge Geflüchtete Laptops bekommen, dass sie teilhaben können. Das passiert zur Zeit.“

Das war immer Meurers Ansatz: Nächstenliebe fängt vor der Haustür an. Aber nochmal, wie er die Zukunft seines langjährigen Weggefährten Rainer-Maria Woelki sehe? „Je mehr er seine eigene Schuld anerkennt und betont, desto eher gewinnt er an Glaubwürdigkeit“, sagt Meurer. Zuletzt habe der Kardinal als Vorsatz für die Fastenzeit gesagt, er wolle öfter mit Menschen sprechen, die anderer Meinung seien, Gemeinschaft mit ihnen finden: „Das ist der richtige Weg. Eins sage ich immer wieder: Woelki hat sich nie angepasst, und ich halte ihn nach wie vor für eine ehrliche Haut. Aber das Bischofsamt überfordert heute jeden, auch ihn.“

Der Kardinal und Meurer kennen sich seit der Kindheit: Sie sind beide in der Bruder-Klaus-Siedlung groß geworden, aufs Hölderlin-Gymnasium in Mülheim gegangen und gelten als vertraut, wenn auch in vielen Ansichten weit voneinander entfernt.

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Vergleich mit Clanstrukturen

Das Bischofsamt müsse wie die gesamte katholische Kirche neu organisiert werden, so Meurer. Es braucht eine tiefgreifende Reformierung. „Ich habe in der Zeitung ein gutes Zitat gelesen: Ein eigenes Recht gibt es nur noch in Clanstrukturen und in der Kirche. Das funktioniert so aber nicht mehr.“ Eine Kirche, die systemisch in den 1950er Jahren verharrt, sei nicht zeitgemäß, so Meurer. „Es ist klar, dass sich viele Menschen von ihr abwenden. Aber ich bin froh, dass in der Kirche sehr viele vernünftige Menschen arbeiten, die dazu beitragen, dass die Reform stattfindet – und das, was Kirche ausmacht, jeden Tag gelebt wird.“

Post fordert zu Übertritt in die evangelische Kirche auf

Derweil im Erzbistum stündlich mehrere Menschen aus der Kirche austreten, ließ die evangelische Lutherkirche am Donnerstagabend über das Medium Facebook verlauten: „Aus gegebenem Anlass eine Anleitung zum Kirchenübertritt: 1. Macht einen Termin beim Kölner Amtsgericht und erklärt dort Euren Austritt aus der katholischen Kirche. 2. Besucht unseren Pfarrer Hans Mörtter – zack, damit tretet ihr in die evangelische Kirche ein. 3. Wir freuen uns über neue Gemeindemitglieder!“ Dazu wurde der Hinweis gepostet, dass man „immer kritisch, fröhlich, frech und sexy“ sei.

Der augenzwinkernd gemeinte Beitrag erboste einige Leserinnen und Leser und wurde wenig später als Satire gekennzeichnet. Pfarrer Franz Mörtter sagte dazu: „Fakt ist, dass gerade viele Menschen enttäuscht aus der katholischen Kirche austreten. Ich finde das falsch. Tretet nicht aus und wascht Eure Hände in Unschuld und Selbstgerechtigkeit! Sucht stattdessen die katholischen Gemeinden in unserer Stadt, die eine fantastische Arbeit für Menschen machen! Kirche, Gemeinde, das sind nicht die Kardinäle, Bischöfe ..., sondern die Menschen an der Basis, die einfach wunderbar sind. Ohne diese Gemeinden wäre unsere Stadt sehr arm“.

Evangelischer Superintendent: „Krise hat nicht nur katholischer Kirche geschadet“

Auch der Superintendent der Evangelischen Kirche in Köln, Bernhard Seiger, äußerte sich zur Veröffentlichung des Kölner Missbrauchsgutachtens: „Es ist gut, dass die Gutachten des Bistums Köln zum Thema Missbrauch durch Priester, das seit Monaten so viele Menschen bewegt, nun endlich veröffentlicht werden. Dieser Prozess, der sich nun über viele Monate hinzog, hat nicht nur der katholischen, sondern allen christlichen Kirchen geschadet.“ Es sei „eine Tatsache, dass in der katholischen Kirche wie auch – in anderer Weise – in der evangelischen Kirche, aber auch in Sportvereinen, Schulen und anderen Organisationen, Kinder und Jugendliche bittere Erfahrungen von Grenzüberschreitungen erlebt haben und körperlich und seelisch verletzt wurden“. Bei der Aufarbeitung dieser Fälle komme es darauf an, „die Perspektive der Opfer einzunehmen und ihnen und dem erlittenen Leid die nötige Aufmerksamkeit zu geben“.

Ebenso gehörten „Schuldeingeständnisse und eine finanzielle Anerkennung des erlittenen Leids“ dazu. Kirchen und alle Organisationen stünden in der Verantwortung, durch Präventionsmaßnahmen und Schutzkonzepte all jene, die Kinder und Jugendliche betreuen, „für die Gefahren von Grenzverletzungen zu sensibilisieren“. Die vier Evangelischen Kirchenkreise in Köln würden „sehr viel" dafür tun und stellten „nach Kräften sicher, dass heute und in Zukunft Kinder und Jugendliche in kirchlichen Angeboten geschützt werden“.