Wie es ist, plötzlich Chef zu sein„Ich dachte, wir hätten das Schlimmste hinter uns“
- In unserer Serie „Wie es ist“ erzählen Menschen von einem außergewöhnlichen Schritt in ihrem Leben, einem außergewöhnlichen Hobby, einer Eigenschaft oder einem Beruf.
- In dieser Folge: Udo Schmitz, Schreiner und Firmenchef.
Köln – Ich habe mehr als 30 Jahre lang als angestellter Schreiner gearbeitet. Aber letztes Jahr im Februar wurde klar, dass mein Chef sterben würde. Er sagte mir und seinen anderen beiden Angestellten, dass er die Firma schließen würde. Ich war schockiert. Einige Tage später bot er dann an, dass einer von uns das Unternehmen übernehmen könnte. Was sollte ich tun? Mit Anfang 50 und einem lädierten Rücken noch einmal eine Anstellung suchen? Oder mit Anfang 50 den Schritt in die Selbstständigkeit wagen, obwohl ich keine Ahnung von Buchhaltung und Marketing habe?
Direkt nach dem Realschulabschluss, mit 17 Jahren, habe ich meine Ausbildung zum Schreiner begonnen. In dem Betrieb bin ich knapp 30 Jahre geblieben, bis mich ein schlimmer Bandscheibenvorfall außer Gefecht gesetzt hat. Wir haben nicht nur Möbel gemacht, sondern auch Fenster und Türen, große Balkontüranlagen, dreifach verglast, es mussten richtig Gewichte geschleppt werden. Da hat mein Rücken irgendwann gestreikt.
Ich liebe die Arbeit mit Holz
Die Ärzte meinten, als Schreiner könne ich nicht mehr arbeiten. Daraufhin wurde mir von der Rentenkasse nahegelegt, eine Umschulung zum Großhandelskaufmann zu machen. Die Firma war super, aber es ist nicht meine Welt, im Laden zu stehen und direkt zu verkaufen. Das bin ich nicht, das kann ich nicht. Ich bin Schreiner, ich liebe die Arbeit mit Holz, ich liebe es, wenn neue Möbel entstehen oder alte wieder schön werden.
Nach einem Jahr war klar, dass ich die Umschulung nicht abschließen würde. Ich bin morgens aus dem Haus, da lag meine Tochter noch im Bett. Abends konnte ich ihr noch einen Gutenachtkuss geben, dann war sie wieder weg. Ich hatte nichts mehr von ihr. Ich sollte für einen Job, in dem ich nicht glücklich werden würde, die Familie auf der Strecke lassen? Da habe ich gesagt: Nein. Das kann es nicht sein.
Alles war super. Bis zum Tod meines Chefs
Durch Zufall habe ich dann bei Ebay Kleinanzeigen die Stellenanzeige einer ganz kleinen Schreinerei gefunden. Der Chef hat mich genommen, das war perfekt, denn da wurde nicht mit so großen, schweren Sachen gearbeitet. Möbelbau geht noch gut mit meinem Rücken und macht mir unheimlich Spaß. Alles war super, ich konnte in meinem Beruf weiterarbeiten, ich war angestellt und glücklich. Bis zum Tod meines Chefs.
„Wie es ist“ – Schreiben Sie uns
Haben Sie auch etwas absolut Außergewöhnliches zu erzählen? Ein Hobby, das sonst keiner hat? Etwas, auf das Sie jeden Tag angesprochen werden oder etwas, das Ihr Leben auf den Kopf gestellt hat? Dann schreiben Sie uns mit dem Betreff „Wie es ist“ eine E-Mail an leserforum@kstamedien.de.
Weitere Menschen, die erzählen wie es ist
Ich habe mich mit meiner Frau beraten und dann entschieden, die Firma zu übernehmen. Was wäre die Alternative gewesen in meinem Alter und nach dem Bandscheibenvorfall? Ich könnte nicht wieder in einer normalen, großen Schreinerei arbeiten. Die Schlepperei schaffe ich nicht mehr. Die Firma lief gut, wir hatten mehr Aufträge, als wir annehmen konnten. Aber leider hatte mein Chef damals schon alle Accounts im Netz abgeschaltet, bei Etsy zum Beispiel, die Firma galt als geschlossen.
Wir mussten erstmal die ganze Bürokratie regeln
Bei der Kubix GmbH bauen wir Möbel rein aus Massivholz, ich verarbeite keine Spanplatten. Badezimmermöbel werden aktuell besonders nachgefragt, aber wir machen auch alles andere, bis hin zur Aufarbeitung alter Stücke. Der Anfang war schwer, wir mussten erstmal die ganze Bürokratie regeln, neue Räume finden und wieder bekannt machen, dass es die Firma noch gibt. Das hat einige Monate gedauert.
Ich habe einen der beiden Angestellten übernommen. Für die Buchhaltung habe ich stundenweise Hilfe, und mein Schwager kümmert sich um die Internet-Geschichten.
Ein Herz aus Holz
Bis ich mir zum ersten Mal ein kleines Gehalt auszahlen konnte, hat es ein Jahr gedauert. Das war im Mai. Da schien es, als laufe die Firma jetzt wieder richtig an. Ich dachte, wir hätten das Schlimmste hinter uns und es würde aufwärts gehen. Aktuell sind wir aber erneut bei nahezu null Aufträgen, mit der Familie leben wir wieder vom 30-Stunden-Erzieherinnengehalt meiner Frau. Klar, Energiekrise, die Leute überlegen dreimal, bevor sie Geld raushauen. Lieber erstmal zurücklegen und gucken, was noch auf sie zukommt.
Meine Frau sagt, ich habe ein Herz aus Holz. Dass ich hier meine Werkstatt einrichten konnte und sie führen kann, wie ich es für richtig und wichtig halte, ist sehr schön. Insofern war die Entscheidung richtig. Am Chefsein hängen aber eben auch sehr viele Probleme und Sorgen mit dran. Allein die Holzpreise haben sich, seit ich die Firma übernommen habe, mehr als verdoppelt. Da zu versuchen, eine Firma hochzukriegen, ist nicht einfach.
Udo Schmitz ist Schreiner und Firmenchef. Er lebt in Bergisch Gladbach und hat eine neun Jahre alte Tochter.