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Kölner Gymnasial-Schulleiter„Wir müssten dringend Druck aus dem System nehmen“

Lesezeit 4 Minuten
Der Kölner Schulleiter Marcel Sprunkel.

Der Leiter des Gymnasiums Pesch, Marcel Sprunkel, zum Deutschen Schulbarometer. (Leiter).

Schulleiter Marcel Sprunkel sieht Schüler wie Lehrer am Anschlag. Er schreibt, was jetzt passieren müsste.

Als ich das aktuelle Schulbarometer mit der hohen Anzahl an Schülern mit psychischen Problemen gelesen habe, bin ich nicht vor Überraschung vom Stuhl gefallen. Es bildet genau die Realität im Schulalltag ab: Wir haben immer mehr Kinder, die wir versuchen, in therapeutische Unterstützung zu bringen. Und das wird wegen fehlender Plätze immer problematischer. Dabei hatte Schule schon immer mit Druck zu tun – in einer Entwicklungsphase, die ohnehin sehr herausfordernd für Jugendliche ist.

Zu dem Druck im System Schule kommt aber jetzt ein unglaublicher Druck auf der Gesellschaft: in den Familien mit Sorgen um die wirtschaftliche Situation, mit Ängsten um Krieg und Klimawandel. Das transportiert sich alles in Schule rein.

Jede Schule braucht Schulsozialarbeit

Der Beratungsbedarf nimmt enorm zu. Wir haben an unserer Schule das Glück eine Sozialarbeiterin zu haben und eine Sonderpädagogin. Multiprofessionelle Teams sind eigentlich unabdingbar – für jede Schule. Auch für die Gymnasien. Genauso wie Schulverwaltungsassistenzen, die mehr Freiraum für das pädagogische Arbeiten der Kollegen ermöglichen würden. Die dürfen wir uns zwar besorgen, aber nur auf Kosten von Lehrerstellen. Das überlegt man sich dann dreimal.

Wir müssen uns da fragen, an welchen Ventilen wir drehen können, um Druck rauszulassen. Wie lange reden wir schon darüber, dass die Lehrpläne entschlackt werden müssten: Weniger ist einfach mehr und die gesellschaftlichen Herausforderungen werden größer. Das Schulbarometer hat nochmal bestätigt, wie wichtig Wohlfühlen und das Gesehenwerden für das Lernen ist. Beziehung und Atmosphäre sind das Fundament. Aber schauen Sie sich die Klassengrößen an gerade in Köln. Als Lehrer kann ich sagen, ab einer Klassengröße von 24 zählt jedes weiter Kind gefühlt doppelt.

Auch in den Lehrerkollegien herrscht riesiger Druck

Die Klassenlehrerstunden sind wichtig, weil ich die Kinder da anders kennenlerne und Zeit habe. Aber so eine Stunde, in der ich Probleme thematisiere, nimmt mir dann die Zeit für meine Englischstunde weg. Lehrkräfte müssten eigentlich so viele Baustellen bewirtschaften, aber sie müssen ja trotzdem das Kurrikulum erfüllen.

Da muss man dann täglich neu die Entscheidung treffen, ob ich jetzt über ein aktuelles Problem spreche, obwohl nächste Woche eine Klassenarbeit ansteht. Diese Entscheidung zerreißt die Lehrkräfte. Viele gehen kräftemäßig in die Knie, weil sie daran leiden. Es ist ein Riesendruck im System – auch in den Kollegien. Es wäre toll, wenn es von den Ländern eine ganz klare Vorgabe gäbe, dass die Klassenlehrerstunde fest in die Stundentafel verankert wird und zwar für alle Stufen bis zur 10.

Der geschützte Raum der Schule ist glaube ich noch wichtiger geworden in den letzten Jahren. In meiner Jugend hatten wir ganz andere Rahmenbedingungen: Die Grenzen fielen, alles war plötzlich möglich, die Zukunft stand im positiven Sinne offen. Heute dagegen erscheint alles düsterer und viele wollen sich die Nachrichten am liebsten gar nicht mehr angucken.

Zusammenhalt in der Schule wird wichtiger

Deshalb wird Zusammenhalt in der Schule noch wichtiger, schöne Erlebnisse, Exkursionen – und nicht noch stärker dieser Druck. Auch Demokratiebildung ist zentral und wird immer wichtiger. Aber dann müssen wir auch irgendwann mal priorisieren, was das Wichtigste ist in der Schule und was danach kommt. Wobei mir auch wichtig ist, festzuhalten, dass die Herausforderungen unserer Gesellschaft nicht einzig in der Schule gelöst werden können.

Ich wünsche mir eine bessere Personalausstattung, damit die sehr guten Kolleginnen und Kollegen, die wir zuhauf in unseren Schulen haben, nicht so überlastet sind. Ich kann auf vieles nicht reagieren im Alltag, weil so oft auf Kante genäht ist. Ein Weg wäre auch systemisch mehr Experten-Unterstützung von außen in Schulen reinzuholen.

Mehr Experten von außen in die Schulen holen

Warum kann es nicht ein Expertengremium geben, das den Schulen Angebote macht oder Expertise bündelt? Etwa: Hier haben wir einen tollen Workshop entwickelt zur Demokratiebildung, zur Polarisierung der Gesellschaft oder zur mentalen Gesundheit. Sucht euch einen Termin aus. Das macht Sinn, damit wir das aus unseren limitierten Personalbudgets nicht alles individuell basteln müssen. Es würde Luft schaffen für pädagogisches Arbeiten und die Kinder könnten bei solchen Experten-Workshops richtig was mitnehmen. Solche Formen der Kreativität im Mangel würde ich mir wünschen.