Immer mehr Schüler haben psychische Probleme. Was Schulen jetzt dringend bräuchten.
Mentale GesundheitPolitik lässt Schüler und Schulen im Stich – das wird sich rächen
Wer mit Lehrkräften oder Schülerinnen und Schülern spricht, den hat das Ergebnis des Schülerbarometers der Bosch-Stiftung nicht überrascht. Der Schulalltag ist zunehmend durch psychische Beeinträchtigungen von Kindern und Jugendlichen geprägt. Essstörungen, Panikattacken, Depressionen und Schulabsentismus gibt es inzwischen in jeder Schulform in jedem Klassenraum.
Das weiter unter Folgen der Corona-Pandemie zu verbuchen, ist Augenwischerei. Das klingt, als ob das von selbst wieder weg gehen würde. Aber das Problem wird bleiben: Weil die Multi-Krisen bleiben, weil Social Media in Endlosschleife Negativnachrichten auf die Handys von Teenagern spült. Wenn etwa die DAK in ihrem Report dokumentiert, dass die Zahl der psychischen Neuerkrankungen bei den 15- bis 17-Jährigen seit vor Corona um 51 Prozent gestiegen ist, spricht das eine deutliche Sprache. Auch die aktuelle Copsy-Studie, die jährlich das psychische Wohlbefinden von Jugendlichen und Kindern erfasst, bestätigt das: 21 Prozent der Befragten gaben Angstsymptome oder andere psychische Beschwerden an.
Kölner Schulen setzen in ihrer Not auf Selbsthilfe
Wenn Schulen nicht die Ressourcen und das Personal bekommen, sich darum stärker kümmern zu können, wird uns das um die Ohren fliegen. Wer psychisch beeinträchtigt ist, kann nicht gut lernen. Immer noch hat nicht jede Schule einen Schulsozialarbeiter oder eine Schulsozialarbeiterin. Immer noch gibt es die von der Bundesregierung versprochene dringend nötige Aufstockung der Kassensitze für Kinder- und Jugendtherapeuten nicht. Die Folge: Betroffene müssen fünf Monate auf eine Therapie warten.
In ihrer Not greifen die allein gelassenen Schulen zur Selbsthilfe. An einem von der Katharina-Henoth-Gesamtschule ins Leben gerufenen „Runden Tisch zur Förderung der psychischen Gesundheit“ sitzen regelmäßig Vertreter von inzwischen 15 weiterführenden Schulen zusammen. Sie treffen sich in ihrer Freizeit mit Experten, um sich auszutauschen, wo man Hilfe in Form von Präventions-Workshops findet und wie man die irgendwie durch Sponsoring finanziert bekommt.
Auch die Kölner Schülerinnen und Schüler haben das Thema selbst in die Hand genommen, weil ihnen niemand kurzfristig hilft und sie die Probleme selbst für so drängend halten. Mit der Bezirksschülervertretung haben sie bei der Stadt Köln für dieses Jahr ein kleines Budget erkämpft, mit dem sie zumindest einer begrenzten Zahl von Schulen Workshops für mehr mentale Gesundheit vermitteln konnten: Da lernte man etwa, wie man schafft, seinen Handykonsum zu regulieren, wie man entspannt oder was man tun kann, wenn es einem schlecht geht. Das Ziel solcher Workshops ist, Resilienz – also die psychische Widerstandskraft– zu schulen.
Jede Schule braucht eine Stelle für Schulsozialarbeit
Genau dieses Budget von 50.000 Euro wurde nun im Haushalt für das kommende Jahr gestrichen. Auch das Land Nordrhein-Westfalen setzt bislang keinerlei Signale, dass die Not verstanden wurde. Von multiprofessionellen Teams, die schon seit Jahren als Weg aus der Krise propagiert werden, können viele Schulen immer noch träumen.
Dabei braucht es jetzt zwingend für jede Schule mindestens eine Stelle für Schulsozialarbeit. Auch an jedem Gymnasium. Und ja: Das kostet Geld. Dass der Lehrplan entschlackt wird, damit Schulen aus dem Modus der Getriebenheit herauskommen, darum betteln Schulexperten wie Schulleitungen seit etlichen Jahren unisono wie die Rufer in der Wüste.
Einen Euro pro Schüler bräuchten sie, um solche Workshops für alle Kölner weiterführenden Schulen anbieten zu können, hat die Bezirksschülervertretung ausgerechnet. Stattdessen gibt es: nichts. Von nirgendwo. Welche Schlüsse sollen engagierte Jugendlichen da ziehen? Dass ihre Stimme nicht gehört wird. Und dass Kinder und Jugendliche mal wieder als Erste hinten runterfallen, wenn es eng wird. So nährt man Politikverdrossenheit.