Darf man noch „Zigeuner“ sagen?Kölner Sinti wehren sich gegen Bevormundung
- Markus Reinhardt, Kölner Musiker, hatte zusammen mit Roggendorfer Sintes die Idee, ein Rheinisches Zigeunerfestival auf die Beine zu stellen, um ihre Kultur in Köln sichtbarer zu machen und ein Zeichen der kulturellen Stärke zu setzen.
- Jan Krauthäuser, unter anderem Veranstalter des Edelweißpiratenfestivals und Vorstand des neuen Vereins „Globale Musik Köln“ war von Anfang an als Unterstützer für die Organisation des Zigeunerfestivals mitverantwortlich
- Rudi Rumstajn ist als Kind und Jugendlicher mit seiner Familie im ehemaligen Jugoslawien als Schausteller unterwegs gewesen, bevor er 1985 mit seinen Eltern nach Deutschland kam.
Köln – Nach der Kritik an möglicherweise diskriminierenden Bezeichnungen und Kostümen im Karneval haben Sie sich öffentlichkeitswirksam mit dem Karnevalsverein „Ihrefelder Zigeuner“ verbrüdert. Haben Sie kein Problem mit Leuten, die sich aus Lust und Laune so benennen, ohne echte Bezüge dazu zu haben?
Markus Reinhardt: Das ist gar kein Problem. Im Gegenteil. Wir sind Kölner, das ist Karneval. Viele von uns verkleiden sich selbst als ungarische Zigeuner.Rudi Rumstajn: Der Kölner Karneval steht für Liberalität und Weltoffenheit. Macht das nicht mit Verboten kaputt!
Zurzeit wird heftig debattiert: Über Sprache und ihre diskriminierende Wirkung, über Wörter, die man nicht benutzen sollte, über Gendersternchen und Identitäten. Da wird auch die Forderung aufgestellt, dass die so genannte „kulturelle Aneignung“ aufhören müsse. Eine dominante Kultur dürfe nicht die einer Minderheit adaptieren.
Rumstajn: Das ist eine ganz schräge Diskussion. Mir tut weh, wenn man eine stolze Kultur und Tradition ignoriert und so tut, als wären wir alle arme Menschen, die man schützen muss. Ich bin nicht arm, ich wurde nicht diskriminiert. Bevormundet mich nicht!
Jan Krauthäuser: Es ist ein grundsätzliches Problem der ganzen Anti-Rassismus -Debatte, dass man Menschen auf ein einziges Merkmal reduziert. Man ist Zigeuner – und nix anderes. Und dann wird dieser Gruppe auch noch der Humor und die Intelligenz abgesprochen, selbst zu erkennen, wie etwas gemeint ist. Das ist die gröbste Form der Diskriminierung. Egal ob es um Verkleidungen, einen Vereinsnamen oder eine Bezeichnung geht: Die entscheidende Frage ist doch, mit welcher Absicht man etwas macht. Tust Du etwas mit Respekt oder tust Du es mit der Absicht, jemanden beleidigen zu wollen? Pauschale Verbote sind falsch.
„Wenn man das Wort wegnimmt, nimmt man uns unsere Identität“
Trotzdem gibt es starke Bestrebungen, den Begriff „Zigeuner“ verschwinden zu lassen. Die Befürworter sagen, er sei eine Fremdbezeichnung, die nach wie vor mit negativen Assoziationen verbunden ist und deshalb Ausdruck von Diskriminierung und Rassismus sei. Sehen Sie das anders?
Reinhardt: Als unsere Leute, die die Konzentrationslager und die Verfolgung der Nazis überlebt haben, zurückgekehrt sind, nannten sie sich weiter selbstbewusst und stolz Zigeuner. Wir haben das Wort selbst nie als negativ empfunden. In 25 Zeitzeugeninterviews mit Überlebenden, die wir für eine Zigeunerwagen-Ausstellung mit dem NS-Dokumentationszentrum gemacht haben, hat sich nur einer nicht als „Zigeuner“ bezeichnen wollen. Wenn man das Wort wegnimmt, nimmt man uns unsere Identität.
Aber Sie können nicht ignorieren, dass es auch Sinti und Roma gibt, die sich durch das Wort beleidigt fühlen…
Krauthäuser: Wenn jemand nicht Zigeuner genannt werden will, ist das in Ordnung. Dann wird er auch nicht so genannt. Aber es geht doch nicht, dass mir jemand verbietet, diejenigen so zu bezeichnen, die das selbst so wollen. Bei unserem Zigeunerfestival treten auch Musiker auf, die nicht „Zigeuner“ genannt werden wollen, für die aber der Begriff als Bezeichnung für eine vielfältige Kultur völlig in Ordnung ist. Diese hat sich über Jahrhunderte für eine große Gruppe von Fahrenden entwickelt. Da spielen ethnische Aspekte, aber auch Berufe, Musik und andere kulturelle Merkmale eine Rolle. Die Idee, dass man den Kulturbegriff „Zigeuner“ abschaffen muss, ist eine Konstruktion, eine Kampagne, die mehr Schaden anrichtet, als dass sie etwas nutzen kann.
Im offiziellen Sprachgebrauch hat sich längst durchgesetzt, von „Sinti und Roma“ zu sprechen. Die Bezeichnung muss nicht mehr erklärt werden. Was spricht dagegen?
Reinhardt: Wer glaubt, dass Diskriminierung aufhört, weil man den einen Begriff durch einen anderen ersetzt, täuscht sich. Rechtsextreme in Österreich haben Plakate geklebt, auf denen „Roma raus“ steht. Die haben die neuen Sprachvorgaben längst übernommen. Andere sprechen von „Roma-Klau-Kids“ oder „Roma-Clans“. Ist das besser?
„Sinti und Roma" ist ein künstlich geschaffener Begriff“
Auch Interessenvertretungen plädieren dafür, „Sinti und Roma“ anstelle von „Zigeunern“ zu sagen. Sprechen Sie denen das Recht ab, für Sie zu sprechen?Reinhardt: Diese Interessenvertretungen sind weder gewählt noch auf eine andere Weise legitimiert worden, für alle zu sprechen. Die Bezeichnung „Sinti und Roma“ ist ein künstlich geschaffener Begriff. Es gibt keine homogene Gruppe, auf die diese Bezeichnung zutrifft. Es gibt so viele verschiedene Stämme mit vielen Namen. Ich war viel unterwegs, aber ich kenne sie immer noch nicht alle.
Sind diese Vielfalt und die unterschiedlichen Erfahrungen der einzelnen Gruppen der Grund für den Dissens?
Rumstajn: Durch den Krieg in Jugoslawien sind viele Flüchtlinge hergekommen, auch viele Roma. Dass sie hier ihre Interessen formuliert haben, war sinnvoll. Aber ich habe das Gefühl, dass daraus eine politische Ideologie entstanden ist, die mit den Problemen der Leute nichts mehr zu tun hat. Die wollen arbeiten, ihre Kinder sollen die Schule schaffen. Die interessiert die Politik der Funktionäre nicht. Leider wird in manchen Initiativen gute Sozialarbeit mit politischer Bevormundung vermischt. Das ist nicht im Interesse der Leute, da gibt es nicht nur schwarz und weiß, sondern auch viele Zwischentöne.
„Wir machen die Menschen stolz“
Sie organisieren seit Jahrzehnten gemeinsam Konzerte und Partys, die Sie mit dem Begriff Zigeuner verbinden, so wie die großen Zigeunerfestivals. Ist das angesichts des stärker werdenden Drucks weiter durchzuhalten?
Krauthäuser: Bei unseren Festivals geht es um Begegnung und Festkultur. Wir präsentieren den kulturellen Reichtum einer großen Community, die sich nicht als Opfer darstellen lassen will. Wir wollen das Positive herausstellen, die Veranstaltungen machen die Menschen stolz – auch diejenigen, die tatsächlich unter schlechten Lebensbedingungen und Diskriminierung leiden.
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Kritiker werfen Ihnen auch vor, mit Klischees zu arbeiten. Der Bürgerrechtler Marko Knudsen hat das in einem Streitgespräch mit Markus Reinhardt „positiven Antiziganismus“ genannt, von dem Kulturtreibende, Musiker und Wahrsager leben würden. Verstärken Sie nicht mit positiven Klischees die rassistischen Stereotypen?
Reinhardt: Jede Pizzeria ist ein Klischee. Rockmusik, kölsche Musik, das Zigeunerleben – ohne Klischees gibt’s keine Kunst. Und an jedem Klischee ist auch etwas Wahres dran. Ich organisiere mit meinen Leuten eine Wallfahrt im Westerwald, wo sich Hunderte treffen. Nach der Kirche wird ein großes Feuer gemacht, alle holen ihre Musikinstrumente aus ihren Wohnwagen und dann wird gefeiert und getanzt. Ist das ein Klischee? Das ist das Leben!
„Freiwillig in ein autoritäres System“
Sie führen eine Auseinandersetzung mit Menschen und Organisationen, die eigentlich das gleiche wollen wie Sie: keine Diskriminierung, Kampf gegen Rassismus, gleiche Rechte… Diejenigen, die Sie kritisieren, wollen Gutes…
Rumstajn: …und spalten so die Gesellschaft. Ich zitiere gerne den Philosophen Slavoj Zizek: „Die gut ausgebildeten Vorkämpfer des politisch korrekten Sprechens feiern Buntheit, Vielfalt und die große Inklusion. In Wahrheit etablieren sie bloß eine neue Norm der Herrschaft – und diskriminieren Minderheiten, die wenig zu sagen haben.“ Es gibt verschiedene Meinungen – okay. Aber schlimm ist doch, wenn Leute, die eine unterschiedliche Meinung haben, nicht mehr miteinander sprechen. Ich frage mich, wohin sich diese Gesellschaft entwickeln will. Ein liberales Land begibt sich freiwillig in ein autoritäres System. Anstatt über Begriffe zu streiten, sollte man doch gemeinsam etwas bewegen.