Heimatmusik mit Rudi RumstajnEin Zigeuner auf der Suche nach Freiheit
Köln – Es ist vielleicht eine der ungewöhnlichsten musikalischen Verbindungen, die man zur Zeit auf Kölner Bühnen erleben kann. Ludwig Sebus, der 92-jährige Grandseigneur der kölschen Liedkultur, präsentiert mit dem Hobbymusikanten „Magic Flönz“ am Akkordeon und einem „stolzen Zigeuner“ an der Gitarre seine Lieblingslieder. Nach vielen Jahren mit Musikplaybacks haben ihn Her-bert Schmidt und Rudi Rumstajn noch einmal dazu überreden können, mit Live-Musikern aufzutreten. „Man kann so viel von Ludwig lernen“, sagt Rumstajn. „So viel Güte, Herz, Kraft, Charme und Offenheit. Die Stadt müsste ihn mehr ehren“, sagt der eine Heimatmusiker über den anderen. Als er Sebus kennengelernt habe, habe er ihn an Menschen erinnert, die er als Kind im Zirkus erlebt habe. Mit seiner Familie reiste er durch das Land, das mal Jugoslawien hieß. „Musik verbindet die Menschen.“
"Ne Ieeve Jung, un nit jefahrlich?“
Rudi Rumstajn, der auch als Boxtrainer beim Verein „Rhein-flanke“ mit benachteiligten Jugendlichen arbeitet, hat in unzähligen Bands gespielt, war als Straßenmusiker und Hochzeitsmusikant unterwegs. Das Projekt mit Ludwig Sebus ist eines von vielen. Mit der hochgelobten Band EleganCi, die es leider nicht mehr gibt, versuchte er es vor ein paar Jahren auch mit eigenen kölschen Texten. „Jläuvste, ich wör ihrlich? Ne Ieeve Jung, un nit jefahrlich?“ warnte er seine Zuhörer. Sie sollten ihre Brieftasche festhalten.
Da spielte er mit dem Klischee des fahrenden Zigeuners, vor dem nichts sicher ist. Doch wenn er sich selbst „Zigeuner“ nennt, hat das wenig mit Selbstironie zu tun. Während sich mancher den Kopf darüber zerbricht, ob man denn das Wort überhaupt benutzen darf, sagt Rumstajn: „Für mich ist das ein anderes Wort für »Freiheit«. Es befreit mich.“ Sich selbst „Zigeuner“ zu nennen, bedeute: „Lasst mich fliegen.“ Natürlich habe er Verständnis für diejenigen, die wegen eigener Erfahrungen nicht so genannt werden wollen. „Wenn sich aber jemand selbst so bezeichnen kann, finde ich das klasse. Wenn nicht, ist es auch okay.“
Zusammen mit seinen Mitstreitern wie Markus Reinhardt oder Jan Krauthäuser, die als „Zigeunerfestkomitee“ „Zigeunernächte“ und „Zigeunerfestivals“ organisieren, sorgt er so immer wieder für Kontroversen darüber, was denn die richtige Bezeichnung für die Volksgruppen der Sinti oder Roma ist. Auch deren bundesweit arbeitende Interessenvertretungen lehnen den Begriff „Zigeuner“ ab, weil er historisch belastet und bei vielen mit Ausgrenzung und Verfolgung verbunden ist.
Ein vielfältiges Stück europäische Kultur
Rumstajn setzt einen sehr selbstbewussten Auftritt dagegen, der keinen Zweifel aufkommen lassen soll: Hier präsentiert sich eine starkes und vielfältiges Stück europäischer Kultur, die an ganz vielen Orten zu Hause war und ist, sich immer wieder mit den verschiedenen Ausprägungen von Volksmusik verbindet und jede Form von Unterhaltungskunst aufnehmen kann.
„Romantisch und sentimental musste es sein“, erinnert sich der heute 52-Jährige an die Musik und die Lieder, die in seiner Familie früher gehört und gesungen wurden. Amerikanische, italienische und spanische Schlager hätten genauso dazugehört wie Folklore. Ob man das alles zur Gattung der Zigeunermusik zählen könne, sei schwer zu sagen. Überhaupt sei es schwierig, die Gattung zu definieren. „Vieles wurde von Nicht-Zigeunern zur Zigeunermusik erklärt, weil sie von Zigeunern gemacht wurde.“ So bleibt am Ende vielleicht nur der „theatralische Vortrag“ das Prägende der „Zigeunerkultur“. Das Typische für die Musik ist wohl vor allem, dass es nichts Typisches gibt.
"Wir sind bedroht durch uns selber.“
Diese Kultur dürfe nicht verloren gehen, sagt er. „Wir können vielen was geben.“ Ihm geht es um mehr als Unterhaltung. „Wir leben in Zeiten, in denen man zusammenrücken und begreifen muss, was wichtig ist. Sonst schaffen sich die Menschen selber ab. Wir sind bedroht durch uns selber.“ Mit seinen Mitstreitern will er Bewusstsein schaffen, aber auch für ein selbstbewusstes Auftreten von Sinti und Roma werben.
Mit dem Musiker auf die Suche nach „Heimat“ zu gehen, ist nicht ganz einfach. Ein Satz wie „Heimat ist da, wo meine Freunde sind“ klingt schön einfach. Er habe im ehemaligen Jugoslawien viele Freunde gehabt. Doch als er diese wiedertreffen wollte, habe er schmerzhaft erlebt, was ein Bürgerkrieg anrichtet. Die Freunde waren keine Freunde mehr. Einige waren tot, andere im Gefängnis, wieder andere zu Feinden geworden. „Wie soll das noch Heimat sein?“ Ihm selbst blieb der Krieg erspart, nicht aber seine Folgen.
Als Schausteller durch Jugoslawien
Als er 1985 – sechs Jahre vor dem Ausbruch der ersten Jugosla-wienkriege – mit seinen Eltern nach Deutschland kam, habe er gar nicht aus Kroatien weggewollt. Seine Familie sei in Jugoslawien von Kirmes zu Kirmes gezogen, mit Karussells und Schießbuden. Seine Tante betrieb einen Autoscooter. Selbst Schausteller zu werden, sei durchaus eine Möglichkeit gewesen. „Das ist ein wunderschöner Job, bei dem Du das Leben genießen kannst.“ Diskriminierung habe er nicht erlebt. „Die Leute haben sich gefreut, wenn wir kamen. Wir haben Leben in die Provinz gebracht.“
Irgendwann habe sein Vater aber dort keine Perspektive mehr für die Familie gesehen und sei nach Deutschland ausgereist. Es war der zweite Versuch. Rudi Rumstajn hatte schon einmal als kleines Kind in einer deutschen Massenunterkunft für Flüchtlinge leben müssen. Damals kehrten alle zurück. Der Vater, der sich immer als Deutscher gefühlt habe, scheiterte auch beim zweiten Mal. Doch diesmal blieb der Sohn und wurde deutscher Staatsbürger. „Doch als was ich mich fühle, weiß ich heute noch nicht so richtig.“ Die Unruhe des Vaters, der in keiner Wohnung leben konnte und in einem Wohnwagen starb, ist Rumstajn nicht fremd. Das Herumreisen vermisse er, mit dem Klima in Deutschland werde er sich nie anfreunden, „andererseits habe ich mich aber auch verändert“.
"Eine feste Wohnung ist nicht das Wahre"
Dass er in Köln sesshaft wurde, hat mit Liebe zu tun – und damit, dass sein vielfältiges Engagement und die Musik das Herumreisen ersetzen können. „Eine feste Wohnung ist nicht das Wahre. Aber ich komme ja immer wieder raus, erlebe immer wieder etwas Neues.“ Mit dem Gedanken, dass „Heimat“ für viele etwas mit einem bestimmten Ort zu tun hat, kann er auch als Kölner und Begleiter von Ludwig Sebus nichts anfangen. „Ich identifiziere mich nicht mit einem Stück Erde. Ich könnte nach Afrika fahren. Wenn ich dort Freunde finde, ist das meine Heimat.“ Auch Besitz bedeutet ihm wenig. „Ich weiß, dass mir nichts gehört.“ Je älter er werde, desto besser könne er loslassen. „Ich sehne mich nach Befreiung.“
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