Köln – Pia Miranda spielt Fritz Weber: Sein Lied vom „Kölschen Jung“ ist zu einem brasilianischen „Choro“ geworden, einem Musikstil, der europäischen Unterhaltungsjazz mit afrikanischen und südamerikanischen Rhythmen verbindet. Wunderbar traurig klingt Mirandas Posaune zu dezentem Schlagzeug, Akustik- und Bassgitarre. Mit ihrem Quartett Gosto Delicado ist ihr eine der schönsten Interpretationen dieser Kölner Hymne gelungen. „Mi Lieblingswöödche heiß Kölle alaaf.“
Ein Deutscher, der in Frankreich lebt, einer aus Holland und ein Franzose, der zum Musikmachen nach Köln kommt, spielen mit einer gebürtigen Chilenin brasilianische Musik. Man habe die Seelenverwandtschaft zwischen Köln und Rio de Janeiro zeigen wollen, sagt die Band zu ihrem letzten Album „Alemanofônico“. Zwischen eigenen Kompositionen und südamerikanischen Klassikern findet sich neben Webers Klassiker auch „Der liebe Gott weiß, dass ich kein Engel bin“ von den Höhnern und „En unserem Veedel“, das Miranda singen darf.
Das etwas holprige Kölsch verzeiht man der Frau mit der bezaubernden Stimme leicht. Dass sie das Lied liebe, wie sie sagt, glaubt man ihr sofort. „Normalerweise kann ich das Lied gar nicht singen, weil ich dabei immer weinen muss.“
Das „Veedel“ ihrer Kindheit ist sehr weit weg. Groß geworden ist sie in La Serena am Pazifischen Ozean im Norden Chiles. In Mirandas Erinnerung ist dies nicht nur ein „Ort der Geborgenheit“. Es ist auch ein Ort in einem Land, das ein Diktator regierte. „Das Gefängnis war zwei Straßen entfernt. Immer wieder haben wir Schüsse gehört. Und abends durfte man nicht mehr auf die Straße.“
Auch als der Alleinherrscher Augusto Pinochet 1990 als Präsident abdanken musste, blieb er noch jahrelang einflussreich. Miranda glaubt, dass die Diktatur und eine Kultur des Verdrängens und Vergessens bis heute das Land prägen. „Chile ist nur sehr langsam wach geworden. Für viele ist Pinochet immer noch ein Held.“
"Köln ist unfassbar"
Den Kontakt zu ihrer Mutter hält sie über den Internet-Dienst Skype, alle zwei Jahre fährt sie hin. „Ich vermisse die Landschaft und die Familie. Wenn ich da bin, ist es schwer, zurückzukommen.“ Aber es sei über die Jahre immer leichter geworden. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich das, was ich hier in Köln mache, dort machen könnte.“
Sie schätzt die vielfältige musikalische Szene Kölns mit so „vielen ungewöhnlichen Musikern“. Folklore, Jazz, Pop, Klassik, elektronische Musik – „alles kann sich mischen. Köln ist unfassbar“. Auch zum Karneval gibt es viele Bezüge, „auch wenn es manchem kölschen Lied an Substanz fehlt“. Das hat sie nicht davon abgehalten, ihre Posaune auch schon mal im Rosenmontagszug zu spielen.
Vom guten Ruf der Hoschschule angelockt
Nach Köln lockte sie 1994 als damals 18-Jährige der gute Ruf der Kölner Musikhochschule. Ein Chilene, der mit dem Trompeter und Komponisten Markus Stockhausen gearbeitet hatte, habe sie auf die Möglichkeit des Auslandsstudiums aufmerksam gemacht. Sie bestand die Aufnahmeprüfung. Sich einzugewöhnen, war vor allem wegen der deutschen Sprache nicht einfach. Ein Kurs im Goethe-Institut habe nicht gereicht, um sich verständigen zu können. „Das erste Jahr hier war sehr hart.“
Im Studium habe sie dann sehr viel gelernt. Aber sie stellte auch fest, dass die Welt der klassischen Orchestermusik nicht ihre ist. Sie arbeitete mit dem Musiker Markus Stockhausen, dem Jazz-Bassisten Enrique Díaz und der Performance-Künstlerin Angie Hiesl, wirbelte mit Bands wie den „Chupacabras“ oder „La Papa verde“ über die Bühnen, spielte im Kunstsalon-Orchester von Klaus dem Geiger. Sie gehört zur Band, mit der Dellé, einer der drei Frontmänner der Berliner Erfolgsband Seeed, seine Solo-Alben einspielt und unterwegs ist.
Der Kontrast zur großen, lautstarken Kapelle mit Posaune ist ihre neue Liebe zum Cuatro, einer kleinen viersaitigen Gitarre. Damit bastele sie nun an einem Soloprogramm. Die Entdeckung dieses einer Ukulele ähnlichen Instruments steht ein wenig symbolisch für die Suche nach den eigenen Wurzeln. „Groß geworden bin ich mit europäischer Pop- und Rockmusik. Über meine kulturellen Wurzeln bin ich mir erst in Köln bewusst geworden.“
"Ich gehöre zu beiden Kulturen"
Über 20 Jahre habe sie sich gefragt, wo sie eigentlich hingehöre. Jetzt wisse sie: „Ich gehöre zu beiden Kulturen.“ Auch deshalb lernt sie nun deutsche Kinderlieder. Sie will mit dem Sohn ihrer Schwester, die auch in Köln lebt, nicht nur südamerikanische Kinderlieder singen. Zum Blick auf die Traditionen in Chile und Deutschland kommt ein buntes Mulitikulti-Gemisch aus der Familiengeschichte. Ein Urgroßvater stamme aus Wales, ein anderer wohl aus Spanien, und ihre indianische Oma sei 107 Jahre alt geworden. „So viel Buntes“ stecke in ihr. „Man weiß es nicht genau.“
Wie gut, dass es da die zwei Spitzen eines Bauwerks gibt, die beim Blick aus ihrem Wohnungsfenster in einem Dachgeschoss nahe des „Kwartier Latäng“ ein bisschen Verlässlichkeit garantieren. „Wenn ich den Dom sehe, bin ich zu Hause. Dieses Gefühl habe ich sonst nirgendwo auf der Welt“, sagt Pia Miranda auf die Frage, was für sie Heimat ist.
Zum ersten Mal ein Parlament mitgewählt
Die Posaunistin ist mittlerweile deutsche Staatsbürgerin geworden. Dafür den chilenischen Pass abgeben zu müssen, wie es in Deutschland verlangt wird, habe ihr „wehgetan“.
Auch diese Entscheidung mag etwas mit der Suche nach Identitäten zu tun haben, ihr sei es aber auch darum gegangen, endlich einmal das Parlament mitzuwählen. So war die vergangene Bundestagswahl 2017 für sie eine ganz besondere: Nach rund 42 Lebensjahren hat sie zum ersten Mal überhaupt an einer Wahl teilnehmen dürfen. „Ich war ganz aufgeregt“, sagt Erstwählerin Miranda.
Das Ergebnis der Bundestagswahl hat ihr weniger Spaß gemacht. Sie verstehe nicht, warum so viele Menschen rechtsextrem wählten. Pia Miranda glaubt, dass sich das Land in den vergangenen Jahren verändert hat. „Ich bin schockiert darüber, wie sich die Sprache wandelt, wie Menschen im Fernsehen oder in sozialen Medien miteinander umgehen.“ Einschüchtern lassen will sie sich nicht. „Ich gehe weiter selbstbewusst auf die Straße.“