Kölner Strafverteidigerin Ulrike Tasic„Ich bin schon mit Steinen beworfen worden“
- Zu ihren Mandaten zählen Mörder und Vergewaltiger. Die Kölner Strafverteidigerin Ulrike Tasic hat im Laufe ihrer Karriere schon viel erlebt.
- Wie verteidigt man einen Menschen, der eines Sexualdelikts beschuldigt wird oder eines schweren Kapitalverbrechens wie Mord oder Totschlag?
- „Als Strafverteidiger sollte man moralische Aspekte möglichst nach hinten stellen“, sagt sie. Der Beruf sei „nichts für Weicheier”. Und dennoch sind ihr einige Fälle besonders in Erinnerung geblieben.
- Ein Interview. Teil 9 unserer neuen Serie „Verbrechen: Tätern auf der Spur.“
Die Kölner Strafverteidigerin Ulrike Tasic kämpft vor Gericht für Mörder, Betrüger oder Vergewaltiger. Schiefe Blicke nimmt sie dafür in Kauf, Beleidigungen auch, einmal wurde sie auf der Straße mit Steinen beworfen. Wie fühlt es sich an, fast immer auf der Seite des Bösen zu stehen? Gibt es Mandate, die sie ablehnen würde? Und wie denkt sie heute über ihre jahrelange Rolle als Rechtsanwältin in der TV-Sendung „Barbara Salesch“? -> Hier alle Folgen der Serie lesen!Wie viele Mörder haben Sie in den vergangenen Jahren verteidigt?Ich habe sie nicht gezählt. 30 oder 40 vielleicht.Fragen Sie die gleich bei der ersten Begegnung: Waren Sie es?
Nein, diese Frage stelle ich eigentlich nie, denn die Antwort bringt mich nicht besonders weiter. Ich verteidige so, wie der Mandant mir das vorgibt.
Wenn er sagt: Ich war es…
… dann versuche ich, das Beste für ihn rauszuholen. Und wenn er sagt: Ich war das nie im Leben – dann verteidige ich natürlich auf Unschuldig.
Die Wahrheit interessiert Sie nicht?
Die Rolle des Verteidigers ist gesetzlich so angelegt, dass er die Interessen seines Mandanten verteidigt. Für mich ist also wichtig zu erfahren, wie derjenige sich verteidigen will. Ob das dann auch die Wahrheit ist, steht in den Sternen.
Und wenn die Beweislage gegen ihn eindeutig ist?
Wenn das so ist und er sich trotzdem verweigert, bleibt mir nur, ihn weiterhin unschuldig zu verteidigen, aber ihn vielleicht dahingehend zu beraten, dass ich sage: Naja, nach meiner Einschätzung der Beweislage in der Akte und der ersten fünf Zeugenaussagen im Gerichtssaal sieht das nicht nach einem Freispruch aus. In letzter Konsequenz muss ich ihm klar machen, dass das Urteil höher ausfallen wird, wenn er kein Geständnis ablegt. Denn es ist ja oft so, dass es sich zugunsten des Angeklagten auswirkt, wenn er dem Opfer durch ein Geständnis die Aussage erspart. Vielleicht wird er das dann tun. Aber dann weiß ich immer noch nicht, ob er am Ende eingeknickt ist, weil er es tatsächlich war, oder ob es nur ein taktisches Geständnis war.
Angenommen, er hat Ihnen gegenüber die Tat gestanden, aber vor Gericht bestreitet er. Als Angeklagter darf er den Richter anlügen, dürfen Sie das auch?
Ich unterliege ja der Verschwiegenheitspflicht, dem Mandatsgeheimnis. Ich bin nicht befugt und werde das auch niemals tun, das, was der Mandant mir anvertraut hat, gegen seinen Willen im Gerichtssaal öffentlich zu machen.
Das kann dazu führen, dass Mörder und Vergewaltiger freigesprochen werden. Wie machen Sie das mit sich aus?
Als Strafverteidiger sollte man moralische Aspekte möglichst nach hinten stellen. Das gilt auch für die Frage, wie man überhaupt jemanden verteidigen kann, der eines Sexualdelikts beschuldigt wird oder eines schweren Kapitalverbrechens wie Mord oder Totschlag. Es ist nicht meine Aufgabe, jemanden nach seiner charakterlichen Eignung zu beurteilen, den zu mögen oder nicht zu mögen. Wenn ich jemanden verteidige, heißt das im Übrigen ja nicht, dass ich es auch gutheiße, was dieser Mensch womöglich getan hat.
Haben Sie Mitgefühl mit den Opfern?
Mitleid ist nicht der Hauptpunkt in meinem Beruf. Ich habe eine andere Rolle als Strafverteidigerin. Ich bin der Gegenpol der Staatsanwaltschaft: Die zieht an einem Ende des Stranges, ich am anderen. Und es ist ja auch ein Stück weit die Aufgabe meines Kontrahenten, des Staatsanwalts, die Belange des Opfers zu berücksichtigen, und das tut er ja auch.
Ist es Ihnen egal, wenn Sie dadurch im Gerichtssaal mitunter unsympathisch oder herzlos wirken?
Das macht mir nichts aus. Ich bin auch schon mal mit Steinen beworfen worden, weil es hieß: Wie kommen Sie dazu, so einen Abschaum von Menschen zu verteidigen?
Worum ging es da?
Um eine Brandstiftung in einer Obdachlosenunterkunft, mein Mandant hatte gezündelt. Das Feuer wurde gelöscht, es kam keiner groß zu Schaden. Aber mein Mandant war nicht sonderlich beliebt in dieser Unterkunft. Man bepöbelte mich vor dem Gerichtsgebäude. Ich habe mir über den Wachtmeister ein Taxi rufen lassen, damit ich schnell weg kam. So etwas erschüttert mich aber nicht. Ich kann das ja sogar verstehen. Ich vertrete eben oftmals Menschen, die nicht allen sympathisch sind. Wenn das Delikt bewiesen ist und der Angeklagte schuldig, ist das natürlich nicht liebenswert, was er getan hat, sondern es war ein dicker Fehler. Ein anderes Beispiel: Wenn Sexualstrafsachen verhandelt werden, sitzen im Zuschauerraum oft Mitarbeiter von Opferschutzverbänden. Manche strafen mich nicht nur mit Blicken, sondern sagen mir im Vorbeigehen auch Dinge wie: Haben Sie mal darüber nachgedacht, es wäre Ihre eigene Schwester, die hier vergewaltigt worden wäre, was würden Sie dann machen?
Was antworten Sie denen?
Ich tausche mich mit diesen Leuten dann nicht weiter aus. Ich bin nicht diejenige, die sie darüber aufklären will und muss, was meine gesetzliche Rolle ist.
Ein Kollege von Ihnen hat mal gesagt: Ich würde auch Hitler und Stalin verteidigen, es kommt nur darauf an, wer zuerst anruft. Gibt es Mandate, die Sie ablehnen würden?
Nein. Es gibt kein Delikt, bei dem ich grundsätzlich sagen würde: Das übernehme ich nicht, weil ich das mit meinem Gewissen nicht vereinbaren kann. Jeder Mensch hat das Recht auf eine Strafverteidigung, unabhängig davon, was ihm vorgeworfen wird. Ich möchte Menschen auch nicht von vornherein kategorisieren in den sympathischen und nicht so schlimmen Verbrecher auf der einen Seite und den schlimmen Finger auf der anderen Seite, bei dem meine Grenze des Erträglichen erreicht wäre. Das ist nicht das Selbstverständnis meines Jobs. Es gibt vielleicht Fälle, die ich nicht annehmen würde, weil sie einfach extrem viel Arbeit und Zeit erfordern. Nehmen Sie das NSU-Verfahren. So etwas bündelt Kräfte ohne Ende, da kommt man zu nichts anderem mehr, das würde ich mir schon genau überlegen.
Wie legt man sich als Anwalt ein dickes Fell zu? Kann man das trainieren?
Ich glaube, ich habe das von Natur aus. Ich habe bei Reinhard Birkenstock gelernt. Der war ja nun ein ganz pfiffiger Haudegen. Er hat immer gesagt: Strafverteidigung ist nichts für Weicheier. Und damit hatte er Recht. Wenn du einmal in diesem Bereich Blut geleckt hast, kommst du davon nicht mehr los. Dann machst du als Anwalt nie mehr eine Mietsache. Beim Strafrecht geht es ins tiefste Innere. Das Spannende sind die unterschiedlichen Menschen mit ihren unterschiedlichen Beweggründen und Schicksalen.
Was braucht ein guter Strafverteidiger noch – außer einem dicken Fell?
Einfühlungsvermögen. Man muss mit Leuten umgehen können. Meine wichtigste Quelle neben dem Aktenstudium sind ja die Angaben des Mandanten. Sich den Hintergründen zu widmen, erfordert Zeit und Zähigkeit. Manchmal will der Mandant selber nicht so an des Pudels Kern, da muss man dann weiterfragen, die Dinge ergründen. Das ist nicht immer angenehm, weil es häufig um die dunklen Punkte in seiner Vergangenheit geht. Und das sind nicht alles Komödien, und die gehen auch nicht immer gut aus. Da schlafe ich auch viele Nächte nicht gut mit. Nicht, weil ich plötzlich doch Bauchschmerzen hätte, weil ich das Mandat übernommen habe, sondern weil ich denke: Mein Gott, wie kriegen wir denn jetzt da die Kuh vom Eis? Was fällt dir noch ein?
Gibt es einen Fall, der Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?
Ja, der Fall des Tanklastunfalls auf der Wiehltalbrücke bei Gummersbach 2004 (Ulrike Tasic verteidigte damals den Verursacher, der Unfall gilt bis heute mit 30 Millionen Euro Schaden als teuerster Verkehrsunfall in Deutschland, d. Red.). Der Prozess war wegen des enormen Medieninteresses in den Kinosaal der Stadt ausgelagert. Für die Tatortbegehung ließ das Gericht die Brücke sperren, die Folge war ein Riesenverkehrschaos auf der A4. Wir haben uns alle an der Unglücksstelle versammelt, haben geschaut, wo der Lkw ins Tal gefallen war. Mein Mandant wurde zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt und noch im Gericht festgenommen. Ich hatte daraufhin Haftbeschwerde eingelegt. In der Cafeteria des Gerichts sprach mich der Kammervorsitzende an und sagte: Frau Tasic, mir liegt Ihre Beschwerde zur Entscheidung auf dem Tisch, wissen Sie, wo ich wohne? Er wohnte genau auf der anderen Seite des Tals und musste wegen der Sperrung und Sanierung der Brücke eineinhalb Jahre lang einen Umweg durchs Dorf fahren – und jetzt sollte er meinen Mandanten rauslassen.
Wie hat er entschieden?
Er hat ihn rausgelassen.
Gibt es andere Fälle, die Ihnen bis heute nachgehen?
Es gibt einen Fall, der lange zurückliegt, ein Tötungsdelikt eines Mannes an seiner Schwiegermutter. Er hatte sich schuldig bekannt, bekam eine mehrjährige Haftstrafe. Das Urteil war noch nicht rechtskräftig. Aber kurz nach dem Urteil hat er sich im Gefängnis das Leben genommen. In seinem Testament dankte er dem Richter und mir, seiner Verteidigerin, für das Engagement und das gerechte Urteil. Er brachte deutlich zum Ausdruck, dass er mit dieser Schuld nicht weiterleben könnte und seinem Leben ein Ende setzen wollte. Im Testament hat er dem Richter und mir seine Habseligkeiten zu gleichen Teilen vermacht.
Was war das?
Fünf Paar Socken, eine Zahnbürste und ein Wasserkocher. Wir haben das natürlich ausgeschlagen.
Ein Gerichtssaal ist ja immer auch eine Bühne. Müssen Sie in gewisser Hinsicht auch Showmensch sein?
Nein, ich glaube, Show hat mich – bis auf meine 16 Jahre beim Fernsehen – noch nie weitergebracht. Bei der Justiz sowieso nicht. Showrelevantes Auftreten im Gerichtssaal ist für Juristen uninteressant. Die sind Gottseidank sehr sachlich in ihrer Beurteilung.
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Bei Sat1 haben Sie von 2000 bis 2012 unter Ihrem Klarnamen eine Anwältin in der Gerichtsshow „Barbara Salesch“ gespielt, und danach bis 2016 im Nachfolgeformat mitgewirkt. Wie kamen die damals eigentlich auf Sie?
Die Kölner Produktionsfirma hat das Format aus den USA für den deutschen Markt konzipiert und hier vor Ort in den Gelben Seiten nach Fachanwälten für Strafrecht gesucht. Sie haben uns angerufen und gefragt, ob wir uns als Kanzlei vorstellen können, da mitzumachen. Man hat uns gecastet, wir mussten dafür fünf Sätze über uns in eine Kamera sprechen. Ich habe dann zwei Nächte darüber nachgedacht. Wir überlegten, ob das negative Auswirkungen haben könnte. Nicht, dass die uns dann bei der Justiz nur noch auslachen oder nicht mehr ernstnehmen würden. Wir sagten aber: Wir machen das. Sicher auch unter dem Marketingaspekt, dass uns die Sendung über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt machen würde. Wir sagten: Wenn das Format in eine Schmierenkomödie abdriften sollte, steigen wir aus. Aber ich habe das dann von Anfang bis Ende gemacht, bis Barbara Salesch sich 2012 zur Ruhe gesetzt hat.
Haben Sie negative Rückmeldungen bekommen? Die Kölner Rechtsanwaltskammer nannte das Format damals „rufschädigend“ für die Anwaltschaft.
Nein, wir wurden nicht schief angeguckt. Nie hat mich ein Richter, auch nicht im Vertrauen, mal zur Seite genommen und gesagt: Frau Tasic, ich dachte ja immer, mit Ihnen könnte man vernünftig umgehen, aber was Sie sich da jetzt im Fernsehen erlauben… überlegen Sie mal, ob das für Ihre Reputation das Richtige ist. Nicht annähernd. Kein Mensch. Aber natürlich war das auch Show, das war uns klar. Das Format bildete nicht eins zu eins den Anwaltsberuf ab. Einem großen Teil des Publikums war das aber nicht klar.
Viele Zuschauer denken bis heute, vor Gericht läuft es ab wie bei „Barbara Salesch“. Fühlen Sie sich mitschuldig daran?
(lacht) Ja, natürlich, ich fühle mich schuldig und mitverantwortlich. Ich war schließlich Teil dieser Show. Aber damit kann ich leben. Es war eine superschöne Zeit.
Das Gespräch führte Tim Stinauer