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Suche nach GerechtigkeitSexueller Missbrauch als Kleinkind? Kölner erhebt schwere Vorwürfe gegen den eigenen Vater

Lesezeit 5 Minuten
EIn Teddy sitzt allein und traurig auf dem Boden. (Symbolbild)

Über 40 Jahre lang hat ein Kölner traumatische Erinnerungen aus seiner Kindheit verdrängt. Denn er sei von seinem Vater als Kleinkind sexuell missbraucht worden sein. (Symbolbild)

Die Erinnerungen an einen sexuellen Missbrauch als Kleinkind hatte ein Kölner lange verdrängt. Sein Leben geprägt haben sie trotzdem.

Lange konnte Thomas M. (Name von der Redaktion geändert) nicht verstehen, warum er das Gefühl hatte, flüchten zu müssen, wenn sich sein Chef bei der Arbeit in einem Ingenieursbüro von hinten über ihn beugte, um auf die Zeichnungen auf seinem Bildschirm zu schauen.

„Ich wusste gar nicht, was mit mir los ist“, dachte er sich in solchen Momenten. Denn Thomas M. verstand sich sehr gut mit seinem Chef. Er war der Mentor für den Kölner, fast schon wie eine Vaterfigur.

Inzwischen weiß er, warum solche Situationen in ihm Beklemmungen auslösten und er das Gefühl hatte flüchten zu müssen. Der heute 57-jährige Kölner wirft seinem eigenen Vater vor, im Kleinkindalter von ihm sexuell missbraucht worden zu sein. Wahrscheinlich sogar mehrfach, als er drei und vier Jahre alt war.

Traumatische Erinnerungen, die Thomas M. viele Jahrzehnte verdrängt hatte. Über Jahrzehnte waren nur Bruchstücke da. Ein prägnanter Erinnerungsfetzen begleitete Thomas M. sein ganzes Leben: Seine Mutter kam in das Arbeitszimmer, in dem er sich als kleines Kind mit seinem Vater befand.

„Ich konnte mich nur an das Gebrüll meiner Mutter und an Schmerzen erinnern“, erzählt der 57-jährige Kölner. Er dachte, dass das damals „nur“ eine mächtige Tracht Prügel gewesen sei. Gewalt durch die Eltern hat die Kindheit von Thomas M. geprägt.

Denn auch durch seine Mutter habe er jahrelang Missbrauch erfahren. Auch von ihr sei er geschlagen und erniedrigt worden. Seine Mutter ist bereits gestorben. Sein Vater, der jetzt über 90 Jahre alt ist, lebt in einem Seniorenheim.

„Das hat mein ganzes Leben bestimmt“

Mittlerweile weiß Thomas M. besser darüber Bescheid, was ihm damals angetan wurde. Detailliertere Bilder, wie er von seinem eigenen Vater sexuell missbraucht wurde, kamen bei einer logopädischen Behandlung im Jahr 2020 wieder hoch, zu der Thomas M. nach einer schweren Hirnhautentzündung musste. „Dann kamen auch die Erkenntnisse über Zusammenhänge und auch Erinnerungen zurück, die ich jahrelang nicht hatte“, sagt der 57-Jährige.

Diese traumatischen Erinnerungen an den sexuellen Missbrauch durch seinen eigenen Vater vor über 40 Jahren sind für ihn eine Erklärung für vieles. „Ich wäre heute woanders, wenn das nicht passiert wäre“, kann Thomas M. mittlerweile sagen. „Das hat mein ganzes Leben bestimmt“.

Ein Leben unter anderem bestimmt von Depressionen, Alkoholmissbrauch, Schlafstörungen und Panikattacken. Als Fünfjähriger habe er sich sogar versucht, das Leben zu nehmen – er wollte sich unter seiner Bettdecke ersticken. Später suchte sich Thomas M. Ablenkung in extremer Arbeit, exzessivem Sport oder zu schnellem Motorradfahren.

Seine Therapeutin habe inzwischen eine Posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert, erzählt er. Bis heute lösen die Erinnerungen bei ihm körperliche Reaktionen aus. Dazu reicht auch ein Fernsehbericht über sexuellen Missbrauch als Trigger aus.

„Das kann einen treffen wie ein Blitz“, sagt der Kölner. Schlagartig überkommen ihn dann eine Reihe von Gefühlen: Thomas M. schnürt es den Hals zu, er bekommt keine Luft, Gänsehaut am ganzen Körper, einen Tunnelblick und seine Ohren werden taub. „Ich habe das Gefühl losheulen zu müssen, kann es aber nicht.“

Wegen des sexuellen Missbrauchs hat er starke Bindungsängste

Seit dem sexuellen Missbrauch habe er aber vor allem starke Bindungsängste. „Bis heute habe ich das Gefühl, ohne Familie groß geworden zu sein – ich hatte keinen, zu dem ich hätte Vertrauen aufbauen können“, sagt der Kölner, „auch zu meiner Frau nicht.“ Er vergleicht sein Vertrauen mit einem Häuschen aus Streichhölzern. Instabil. Jede noch so kleine Meinungsverschiedenheit löst starke Verlustängste aus. Oft fühlte er sich von anderen Menschen isoliert.

Immer wieder hat Thomas M. versucht, etwas gegen seine Schwierigkeiten zu tun. Vor allem auch für seine Frau, mit der er seit 27 Jahren verheiratet ist, und seine inzwischen erwachsenen Söhne. Der 57-Jährige hat es mehrfach mit Therapie versucht – jedoch war nie klar, wo er ansetzen muss.

In einem letzten persönlichen Gespräch im Winter 2022 habe sein Vater den sexuellen Missbrauch sogar zugegeben. Ein Moment, in dem sich der 57-Jährige „paralysiert“ gefühlt habe.

Eine richtige Entschuldigung habe Thomas M. aber nie bekommen. „Mein Vater hat mit mir geredet, als ob ich nur ein Kumpel wäre und war am Jammern, was er doch für ein schreckliches Leben hatte.“ Er hatte den Eindruck, dass sein Vater dieses einschneidende Erlebnis als Lappalie abtun wollte. Dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ stand der Vater von Thomas M. nicht für ein Gespräch zur Verfügung.

Thomas M. will kein Opfer mehr sein

„Das letzte Wort ist aber noch nicht gesagt“, meint Thomas M. – er will seinen Vater auf Schadensersatz verklagen. Doch hier fangen weitere Probleme an.

Schon zweimal seien die Anwälte abgesprungen, erzählt der 57-Jährige. Er vermutet, dass es an der Komplexität seines Falls liege. Obwohl ein Anwalt durchaus Erfolgschancen in einem Verfahren gesehen hatte: Nach dem Strafrecht sei die Tat zwar schon verjährt, im Zivilrecht gebe es allerdings Urteile, die erst nach Bekanntwerden des Missbrauchs die Verjährungsfrist rechnen – im Falle einer psychischen Traumatisierung und daraus resultierenden Verdrängung von Erinnerungen also auch erst Jahre später. Die Logopädin und die Therapeutin von Thomas M. haben dazu auch Stellungnahmen angefertigt.

Es ist ein langwieriger Prozess, der für Thomas M. zu einer hohen finanziellen Belastung wurde. Obwohl er seit 2004 eine allumfassende Rechtsschutzversicherung besitze. Die Kosten übernimmt sie allerdings nicht – weil das Schadensereignis vor dem Abschluss der Versicherung lag, so die Begründung. Das war auch der Grund, warum sich M. an den „Kölner Stadt-Anzeiger“ gewendet hat.

Es sind viele Strapazen, die Thomas M. auf sich nimmt. Aus pragmatischer Sicht könnte er auch abwarten, bis sein über 90-jähriger Vater stirbt und versuchen, einen Abschluss zu finden. Das will der 57-Jährige jedoch nicht.

„Da ist dieses Gefühl, ein Opfer zu sein, das will ich loswerden“, sagt Thomas M. Er wünscht sich endlich Gerechtigkeit – für sich selbst: „Über 40 Jahre hat das mein Leben geprägt, doch jetzt ist es genug.“