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Kommentar zum Urteil im „Insulin-Prozess“Mildere Strafe für versuchten Mord?

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Die Angeklagte mit den Verteidigerin Jürgen Graf und Jens Schiminowski (r.) im Landgericht.

Köln – Lebenslange Haft für eine 42 Jahre alte Immobilienmaklerin wegen versuchten Mordes an ihrem Schwiegervater – mit diesem Urteil der 5. Großen Strafkammer endete vergangene Woche nach 55 Verhandlungstagen der so genannte Insulin-Prozess vor dem Landgericht Köln. Die Richter sahen es als erwiesen an, dass die Angeklagte einen zur Tatzeit 80 Jahre alten Arzt aus dem Kölner Westen mit einer hohen Überdosis Humaninsulin töten wollte.

Der lebenslustige und rüstige Senior, der nicht an Diabetes litt, hat den Anschlag als „Vollpflegefall“ überlebt und benötigt heute eine 24-Stunden-Betreuung. Der Vorsitzende Richter Peter Koerfers sagte in seiner Urteilsbegründung, der inzwischen 82 Jahre alte, hochgradig demente Internist sei „nur noch eine Hülle seiner selbst“, und es bestehe keinerlei Aussicht auf Wiedererlangung seiner kognitiven Fähigkeiten.

Köln: Prozessbeobachter überrascht

Als wesentliches Motiv für ihr „perfides Verbrechen“ attestiert die Kammer der Frau, sie habe sich für die „jahrelange Ablehnung und Zurückweisung“ durch ihre Schwiegereltern rächen wollen. Zwischen ihr und ihrer verstorbenen Schwiegermutter habe „offene Feindschaft“ geherrscht. „Der Geschädigte hat zwar deutlich mehr Zurückhaltung an den Tag gelegt, hat die Angeklagte aber ebenfalls spüren lassen, dass er sich eine andere Partnerin für seinen Sohn gewünscht hätte.“

Prozessbeobachter zeigten sich überrascht, dass das Gericht als Haupttriebfeder für die Giftattacke nicht Habgier ausgemacht hat. „Gewinnstreben war nicht das primäre Motiv“, befand die Kammer. Die Angeklagte hatte vergeblich versucht, den begüterten Arzt zu einem „Häusertausch“ zu drängen. Er sollte seine Villa für sie, ihren Ehemann und die gemeinsamen zwei Kinder räumen und in ein schlichteres Haus umziehen, das ihm ebenfalls gehört.

Aufgewandte „kriminelle Energie“

Das Gericht betrachtet die Tat als „beendeten Mordversuch“, weil die Angeklagte „keinerlei Rettungsversuche“ unternommen habe. In der mündlichen Urteilsbegründung des Vorsitzenden Peter Koerfers ließ allerdings aufhorchen, dass die Kammer die Möglichkeit einer so genannten Strafrahmen-Verschiebung zumindest erwogen habe. Darunter ist der häufigste Fall der „Strafmilderung“ zu verstehen. Hierbei tritt nach Paragraf 49 Strafgesetzbuch an die Stelle einer gesetzlich vorgeschriebenen lebenslangen Freiheitsstrafe eine „Freiheitsstrafe von nicht unter drei Jahren“.

Grundsätzlich wird nach deutschem Recht versuchter Mord wie Mord mit lebenslanger Freiheitsstrafe geahndet. Gegen eine mögliche Strafmilderung im Insulin-Prozess spreche, so das Gericht, die von der nicht vorbestraften Schwiegertochter aufgewandte „kriminelle Energie“, darunter die „Spurenbeseitigung erster Klasse“.

Mordmerkmal Heimtücke

Es ist denkbar, dass ihre Anwälte in der Revision beim Bundesgerichtshof (BGH) geltend machen könnten, das Landgericht Köln habe Milderungsmöglichkeiten zu Unrecht verworfen. Der Große Senat des BGH für Strafsachen hat 2015 grundsätzlich festgestellt, dass es „außergewöhnliche Umstände“ gebe, die das „Ausmaß der Täterschuld erheblich mindern und deshalb die Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe unverhältnismäßig erscheinen lassen“. Dazu zählt Karlsruhe „in großer Verzweiflung“ und aus „gerechtem Zorn“ aufgrund „schwerer Provokationen“ begangene Taten.

Ausdrücklich bezieht sich die Option, von lebenslang abzusehen, auf Taten, „die auf einen vom Opfer verursachten und ständig neu angefachten, zermürbenden Konflikt oder auf schweren, den Täter immer wieder heftig bewegenden Kränkungen durch das Opfer beruhen“. Das gelte ausdrücklich auch, wenn – wie im Kölner Fall – das Mordmerkmal Heimtücke festgestellt worden ist. Manche Juristen verlangen als Voraussetzung für eine heimtückische Tötung außer dem Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers einen „besonders verwerflichen Vertrauensbruch“ im Verhältnis zwischen Täter und angegriffener Person.

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Dass der BGH seine Position zur Gewährung strafmildernder Umständen offenkundig überdenkt, hängt auch mit Bestrebungen zur Reform der Ahndung von Tötungsdelikten zusammen. Langfristiges Ziel ist, die Unterscheidung von Mord und Totschlag aufzuheben. Bislang kommt eine „Strafrahmen-Verschiebung“ in der Regel meist nur in Betracht, wenn eine Tat im Versuchsstadium stecken geblieben ist.

Revisionen wegen „Versagung“ der theoretisch möglichen Haftverkürzung bleiben bislang oft erfolglos. So befand der BGH 2019 ein Urteil des Landgerichts Aschaffenburg für rechtlich einwandfrei, das einen Angeklagten zu lebenslanger Haft verurteilt hatte, der eine Frau vergewaltigt und durch Stichverletzungen schwer verletzt hatte. Sie habe nur durch „glückliche Umstände“ überlebt. Maßgeblich für das Urteil war die „besondere Nähe zur Tatvollendung, die konkrete Gefährlichkeit des Versuchs und die eingesetzte kriminelle Energie“.

Für den Erfolg einer Revision entscheidend ist, dass der BGH Rechtsfehler der Vorinstanz bemängelt. Anhaltspunkte dafür sieht die Verteidigung im Insulin-Prozess darin, dass das Gericht bei der Feststellung, wie viel Insulin dem Arzt verabreicht wurde, „naturwissenschaftliche Fakten ignoriert“ habe.