Köln – Weniger Gewalt, weniger Diebstähle und deutlich weniger Raubüberfälle – in fast allen Bereichen ist die Jugendkriminalität in Köln im Vorjahr gesunken. Eine Zahl allerdings beunruhigt: 1605. So viele Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung zählt die Polizei in ihrer Statistik. Das ist ein Anstieg von fast sieben Prozent im Vergleich zu 2019 – und 22 Prozent gegenüber 2016.
Es ist das einzige Delikt mit kontinuierlichen Zuwächsen in den vergangenen Jahren. Die Dunkelziffer liegt nach Einschätzung des Bundesjustizministeriums etwa acht Mal so hoch. Am Dienstag wurden die neuesten Zahlen für Köln und die Hintergründe im Jugendhilfeausschuss des Stadtrates vorgestellt.
Viele Minderjährige verschicken Pornos als „Challenge“
Konkret geht es um das Verbreiten von Kinder- und Jugendpornografie durch Minderjährige und junge Erwachsenen. Mehr als 20 Prozent, fast jeder vierte Verdächtige, den die Ermittler identifizieren, ist inzwischen jünger als 21, fast alle sind männlich. Die meisten sind zwischen 14 und 18 Jahre alt.
Tatort sind vor allem das Internet und soziale Netzwerke. Kinder und Jugendliche lassen sich nach Erkenntnissen der Polizei zunehmend von pädokriminellen, erwachsenen Tätern in Chats auf perfide Weise überreden, ihnen Nacktaufnahmen zu schicken.
Damit werden die Minderjährigen nicht nur zu Opfern, sondern machen sich auch selbst strafbar: In dem Moment, wo sie die Bilder und Filme ins Netz einstellen oder via Messenger verbreiten, muss die Polizei formal auch gegen sie wegen Verbreitung von Kinderpornografie ermitteln, sofern die Versender älter sind als 14 Jahre.
Doch auch untereinander schicken sich Jugendliche vermehrt Missbrauchsdarstellungen – meistens „zum Spaß“ oder „um cool zu sein“, wie die Polizei im Ausschuss auf eine Anfrage der FDP mitteilt. Manchmal allerdings würden auch gezielt Bilder oder Filme aus früheren Beziehungen Online verbreitet, um der Ex-Partnerin oder dem Ex-Partner zu schaden „oder in der Würde zu verletzen“.
Susanne Müller, Kommissariatsleiterin bei der Kölner Polizei, hatte im „Kölner Stadt-Anzeiger“ kürzlich davon berichtet, dass Schüler vermehrt kinder- und jugendpornografisches Material, aber mitunter auch tier- und gewaltpornografische Darstellungen beim sozialen Netzwerk Tiktok hochladen und in ihrer Community verbreiten.
„Sie begreifen das als Challenge, als Mutprobe. Sie machen sich überhaupt keine Gedanken darüber, in welche Hände dieses Material geraten kann“, sagt Müller. Man müsse sich zudem fragen: „Was macht es mit den Kindern und Jugendlichen, dieses Material zu konsumieren? Was bedeutet das für ihre sexuelle Entwicklung?“ 70 Prozent aller Taten konnte die Polizei im Vorjahr aufklären.
„Digitale Kompetenz muss gesteigert werden“
Die Corona-Pandemie hat nach Einschätzung der Ermittler besonders negative Auswirkungen auf die Entwicklung der Fallzahlen. Zwar sei ein direkter Rückschluss mangels fundierter Erhebungen nicht möglich, aber: „Schulschließungen und mangelnde oder eingeschränkte Freizeitangebote und damit auch mehr Langeweile dürften zu einer deutlich extensiveren Nutzung des Internets und der sozialen Medien durch Kinder und Jugendliche und damit mehr Tatgelegenheiten geführt haben“, schreibt die Polizei in ihren Ausführungen für den Jugendhilfeausschuss.
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Nach Ansicht der Ermittler muss dringend die digitale Kompetenz von Kindern, Jugendlichen und Eltern gesteigert werden. Zwar könnten Minderjährige zunehmend mit Technik, Programmen und Apps umgehen, und schon Grundschulkinder nutzten eigene Smartphones. „Ein Gefühl für die Gefahren im Internet entwickelt sich aber kaum.“
Das Schulamt der Stadt verweist zum Beispiel auf die Arbeit des Schulpsychologischen Dienstes, das ratsuchende Schulen unterstütze, sowie auf Schulsozialarbeiter und Kooperationen mit Netzwerkpartnern, darunter die drei sozialen Träger „Deutscher Kinderschutzbund“, „Zartbitter“ und Lobby für Mädchen“. Das Thema, so fasst es das Schulamt für den Ausschuss zusammen, sei in Köln „sehr präsent“ und werde durch die Beratungsstellen „bereits gut abgedeckt“. In der Sitzung selbst signalisierte die Stadtverwaltung allerdings auch die grundsätzliche Bereitschaft, die Präventions- und Opferarbeit noch weiter zu intensivieren.