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Kuckelkorn zu rechter Feindesliste„Fühlt sich an, als würde man zum Freiwild erklärt“

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Christoph Kuckelkorn, Präsident des Festkomitee Kölner Karneval

Köln

Ist es das wert, was du da tust? Ist es das wert, dass du so ein Risiko eingehst? Christoph Kuckelkorn stellt sich diese Fragen laut selbst. Er bleibt einen Moment ruhig, sucht nach Worten. An der Wand eingerahmte Orden, daneben die Standarte des Festkomitees. Dessen Präsident sagt jetzt: „Ich bin der Meinung, es gibt gewisse Werte, gewisse Grenzen, die sind unverhandelbar. Und dann muss man sich auch dazu bekennen, wenn man in der Öffentlichkeit steht. Und mit den Konsequenzen leben.“

Die Aufgabe des Narren, so sehe er sie, sei, der Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten. Auch politisch. Gerade politisch. Und Kuckelkorn ist, wenn man so will, ja der Ober-Narr, mehr als 100 Karnevalsgesellschaften unterstehen ihm.

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„Fuck AfD“-Sticker auf dem Gürtel

2017 brachte er sie anlässlich des AfD-Parteitags in Köln für ein gemeinsames Statement und eine Großdemonstration im Grüngürtel zusammen. Für die Vielfalt, gegen die Ausgrenzung, die dem Rechtspopulismus so oft innewohnt. Da war er gerade einmal drei Wochen im Amt. Später trug er eine Karnevalssession lang einen Sticker auf dem Gürtel: „Fuck AfD“ stand darauf.

Vielleicht begannen sie da, ihn zu hassen.

Zwei Jahre später erfuhr Kuckelkorn aus den Medien, dass er auf einer „Schwarzen Liste“ der rechtsextremen Szene steht. „Der Tag der Abrechnung ist nicht mehr fern“ heißt es auf der Internetseite. Dort, so schreiben die anonymen Betreiber, würden Namen von Personen gesammelt, die „Nutznießer, Profiteure und Helfershelfer“ der „gegenwärtigen deutschfeindlichen, volksverräterischen Politik“ seien. Mit dem Ziel, „die Verräter am Deutschen Volk angemessen zur Verantwortung zu ziehen“. Über manche ihrer Gegner haben sie eine ganze Akte angelegt. Bei Kuckelkorn steht dort bis heute nur sein Name und die Funktion: „Karnevalspräsident“.

Kuckelkorn informierte sofort die Polizei

Es ist nicht so, als wäre Christoph Kuckelkorn gefährliche Situationen nicht gewohnt. Mehrmals schon, sagt er, gab es in seiner Amtszeit konkrete Drohungen gegen den Rosenmontagszug. Dazu kämen fast wöchentlich Briefe und Mails mit Anfeindungen gegen seine Person. Aus allen Lagern. Und einmal, erzählt Kuckelkorn, da besuchte er ein Schulhilfsprojekt in Rio de Janeiro, als plötzlich eine Schießerei in der Nachbarschaft losging, Kugeln durch die Wände flogen. Mit den Kindern lag er zusammen auf dem Boden, blieb anschließend noch den ganzen Tag dort, um ihnen beizustehen, die Eltern zu beruhigen.

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„Ich bin keiner, der wegläuft“, sagt Kuckelkorn. „Doch so eine Liste, das hat schon eine andere Qualität. Die ist für jedermann auffindbar. Es fühlt sich an, als würde man zum Freiwild erklärt. Was wenn morgen ein Glatzentrupp beschließt, die Namen darauf alle mal abzuarbeiten?“ Er habe damals sofort die Polizei informiert und mit seiner Familie gesprochen. Anschließend beschloss er zusammen mit dem Vorstand des Festkomitees, sich öffentlich quasi nicht zu äußern. Auch, um die Sache nicht noch weiter anzuheizen. „Wenn mir etwas passieren sollte, dann bin nicht nur ich betroffen“, sagt Kuckelkorn. „Dann ist auch der Karneval mitbetroffen. Beim Rosenmontagszug sind über eine Million Menschen. Daraus ergibt sich die Verantwortung, klug und besonnen zu reagieren.“

Ausstellung in Köln

Das Projekt „Menschen – Im Fadenkreuz des rechten Terrors“ ist eine Kooperation von elf Regionalmedien, darunter der „Kölner Stadt-Anzeiger“ in Zusammenarbeit mit dem „Weißen Ring e.V.“, unter der Leitung des gemeinnützigen Recherchezentrums „Correctiv“.

Das Herzstück des Projekts sind die Porträts von 57 Menschen, die auf sogenannten „Feindeslisten“ von Neonazis und Rechtsextremisten stehen oder standen. Sie werden in einer Wanderausstellung gezeigt, die vom heutigen Dienstag, 20. Juli, bis zum Freitag, 23. Juli, täglich von 11 bis 18 Uhr auf dem Kölner Ebertplatz zu sehen ist.

Außerdem erscheint am 29. Juli ein gleichnamiges Buch. Auch daran hat der „Kölner Stadt-Anzeiger“ mitgearbeitet. Es enthält neben den Porträts auch Recherchen zum Ausmaß und zur Komplexität des rechten Terrors in der Bundesrepublik.

Es sei ein tägliches Abwiegen, welche Position, welche Meinung er preisgibt, welche er für sich behält. Er würde gerne öfter, sagt er, manchmal müssten ihn seine Kollegen vor sich selbst schützen. Dann erzählt Kuckelkorn von seiner Ehefrau, die in Brasilien geboren wurde, deutsch mit hörbarem Akzent spricht. „Ich kannte das nicht, dass man im Kaufhaus steht und nicht beachtet wird, weil die Bedienung gemerkt hat, da spricht jemand vielleicht nicht perfekt deutsch. Das habe ich durch sie erlebt und das finde ich beschämend. Seitdem bin ich noch klarer in meinen Überzeugungen“, sagt er. Er wolle Vorbild sein, für einen Karneval und eine Gesellschaft, die Offenheit und Toleranz lebt.

Das ist ihm das Risiko wert.