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Mehr als 4000 ToteEin Zeitzeuge erinnert sich an den Peter-und-Paul-Angriff in Köln

Lesezeit 6 Minuten
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KZ-Häftlinge räumen Anfang Juli 1943 in der Kölner Innenstadt Trümmer weg.

Köln – „Überall war Qualm und Rauch“, sagt Paul Brandt. Seine Stimme zittert ein wenig dabei. 87 Jahre wird Brandt in diesem Jahr. „Ein einziges großes Feuermeer, wohin man auch sah. Das Feuerwehrhauptgebäude brannte. Das Dom-Hotel brannte. Das Café Reichard brannte. Ich bin dann am Heinzelmännchenbrunnen vorbei zum Rhein gelaufen. Dort brannte es auch.“

75 Jahre ist das her. 75 Jahre, seit der damals knapp Zwölfjährige Kölns größten und folgenschwersten Luftangriff überlebte: den Peter-und-Paul-Angriff in der Nacht vom 28. auf den 29. Juni 1943.

Mehr als 4000 Menschen kamen laut Statistik ums Leben

4377 Menschen kamen laut Statistik der Stadt Köln bei der Katastrophe ums Leben, 230.000 verloren ihr Haus, ihre Wohnung, ihr gesamtes Hab und Gut. 6386 Wohngebäude, 24 Schulen und 43 Industrieanlagen wurden durch das Bombardement der britischen Royal Air Force komplett zerstört. Zwei Krankenhäuser und 17 Kirchen. Sechs Großbanken und eine Eisenbahnanlage. Es war eine Nacht des Schreckens, die sich tief eingebrannt hat in das kollektive Gedächtnis einer Stadt, die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs großflächig zerstört war.

Herr Brandt

Peter Brandt hat als Elfjähriger den Peter-und-Paul-Angriff miterlebt.

Auch Brandt kann sich bis heute nicht von den Erinnerungen lösen. „Ich bin froh, wenn ich jemandem davon erzählen kann“, sagt er. „Wir haben damals jede Nacht im Dom-Bunker übernachtet. Es gab ständig Fliegeralarm und wir hätten sowieso rausgemusst. Also haben wir gleich dort geschlafen.“ Auch die Nacht vor seinem Namenstag verbringt er mit der Mutter und der kleinen Schwester in dem riesigen Luftschutzbunker, bei dessen Bau zwei Jahre zuvor das römische Dionysos-Mosaik entdeckt worden ist. Die Familie wohnt in der Mariengartengasse. Bis zum Bunker auf dem heutigen Roncalliplatz sind es nur wenige Gehminuten.

Schwerer Angriff auf Sülz, Lindenthal und Ehrenfeld

Die Luftangriffe auf Köln haben in den vergangenen Monaten zugenommen. Bis Juni sind bereits knapp 200 Menschen zu Tode gekommen. Am 17. Juni erfolgt ein schwerer Angriff auf Sülz, Lindenthal, Ehrenfeld und einige Stadtgebiete im Rechtsrheinischen. Diesmal sind 147 Tote und 213 Verletzte zu beklagen. 401 Häuser sind komplett, 11 469 leicht zerstört.

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Bomber der Royal Air Force im Anflug auf Köln.

Es soll noch schlimmer kommen. Anfang März 1943 haben die Briten mit einem schweren Luftangriff auf Essen den „Battle of the Ruhr“, die Schlacht um das Rhein-Ruhrgebiet eingeleitet. Ziel ist, die Industriegebiete im Westen und die Infrastruktur der Städte zu zerstören. Dortmund, Wuppertal und Krefeld liegen bereits komplett in Trümmern, tausende Zivilisten sind im nächtlichen Bombenhagel der Royal Air Force gestorben.

Kölner fürchten Großangriff in naher Zukunft

Auch die Kölner fürchten einen Großangriff in naher Zukunft. Ihnen sitzt zudem noch der Schock von der „Nacht der tausend Bomber“ in den Knochen. In der Nacht vom 30. auf den 31. Mai 1942 waren bei dem ersten großflächigen Bombardement einer deutschen Großstadt unter anderem 110.000 Stabbrand- und 1044 Phosphorbrandbomben auf das Stadtgebiet niedergegangen. Mehr als 400 Menschen waren bei dem Angriff zu Tode gekommen, zigtausende Häuser und Wohnungen dem Erdboden gleichgemacht worden.

Paul Brandt ist längst an das Pfeifen und Heulen der Bomben, an das Zittern der dicken Bunkerwände bei einem nahen Einschlag gewöhnt. Acht Jahre war er alt , als der Krieg ausbrach. Der inzwischen Elfjährige hat zerstörte Häuser und Tote auf den Straßen gesehen. Sein Vater, der bereits im Ersten Weltkrieg Soldat war, ist kürzlich gefallen. „So war das damals eben“, sagt er heute.

Hunderte viermotorige Langstreckenbomber über Köln

Auch in der Nacht zum 29. Juni schläft er schnell ein. „Ich musste schließlich am nächsten Morgen zur Schule. Da musste man ausgeschlafen sein.“ Doch kurz nach ein Uhr nachts schreckt er hoch. „Irgendetwas war anders als sonst.“. Was genau das war? Brandt kann es nicht mehr sagen. Vielleicht bebten die Wände des Luftschutzbunkers heftiger als in den vorangegangenen Nächten. Vielleicht war das Dröhnen der Bomber lauter als sonst. Das Schreien der Menschen, die mit ihm im Bunker saßen, panischer. „Man konnte hören und fühlen, dass da etwas Besonderes passierte.“

Diskussionen und ein Friedhofsbesuch

Das NS-Dokumentationszentrum hat zum 75. Jahrestag des Peter-und-Paul-Angriffs auf Köln eine Veranstaltungsreihe gestartet.

Dienstag, 3. Juli, 18 Uhr: Rundgang über den Westfriedhof mit Karola Frings. Treffpunkt Haupteingang.

Dienstag, 10. Juli, 19 Uhr, NS-Dokumentationszentrum: Angehörige der „Zweiten Generation“ im Gespräch mit Martin Rüther.

Donnerstag, 19. Juli, 19 Uhr, NS-Dok: Lesung Dorothee Schmitz-Köster, „Der Krieg meines Vaters“.

Informationen über mehr als 3500 Opfer des Peter-und-Paul-Angriffs finden sich in der NS-Dok-Datenbank:www.kriegsgraeber.nsdok.de

Eine Stunde und 35 Minuten – von 1.10 Uhr bis 2.45 Uhr – dauert der verheerende Luftangriff. In mehreren Wellen und aus unterschiedlichen Richtungen überfliegen Hunderte viermotorige Langstreckenbomber des „Bomber Command“ das Stadtgebiet und werfen ihre tödliche Fracht ab. Die Maschinen sind bestens ausgerüstet mit modernen Radar- und Zielfindungssystemen. 67 Luftminen, 1084 Sprengbomben, 158 000 Stabbrand- und 4038 Phosphorbrandbomben und -kanister machen Kölns Innenstadt in diesen eineinhalb Stunden dem Erdboden gleich und zerstören für Jahre die Infrastruktur der Stadt. Die Häuser klappen unter dem Druck der gefürchteten Luftminen, die kurz vor dem Aufschlag explodieren, wie Kartenhäuser zusammen. Allein der Kölner Dom übersteht den Angriff relativ unbeschadet.

Die zerstörte Stadt

Paul Brandt gehört zu den ersten im Bunker, die sich am nächsten Morgen hinauswagen in die zerstörte Stadt. Die Mutter und die kleine Schwester bleiben zurück. Schon nach wenigen Minuten tränen seine Augen von dem beißenden Rauch, der wie eine schwere Wolke über Köln liegt. Die Mariengartengasse ist unpassierbar. „Ich habe noch versucht, über die Burgmauer zu klettern, aber das war nicht mehr möglich.“ Das Haus, in dem der Elfjährige wohnt, steht in Flammen. Die Familie Brandt hat ihr Zuhause verloren.

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Darunter ein Paar in der zerstörten Turmstraße.

Ein Schiff bringt sie zusammen mit anderen Ausgebombten nach Remagen. Nach drei Tagen geht es weiter nach Antweiler an der Ahr. Ende Juli kehrt Paul Brandt mit seiner Mutter und der Schwester zurück in das zerstörte Köln. In Nippes wird ihnen eine möblierte Wohnung zugewiesen. „Darin hatte ein altes Ehepaar gewohnt, das in die Riehler Heimstätten gezogen war“, erinnert er sich.

Köln ist 139 Mal das Opfer von Luftangriffen geworden

Köln kommt nicht zur Ruhe. Zwei weitere Großangriffe am 4. und am 9. Juli markieren das Ende des „Battle of the Ruhr“, der zigtausende Menschen im Rheinland das Leben kostet. Was am 29. Juni vom Bombenhagel verschont geblieben ist, wird in diesen beiden Nächten das Opfer des britischen Bombardements. Seit Beginn des Krieges am 1. September 1939 ist Köln 139 Mal das Opfer von Luftangriffen geworden – so oft wie keine andere deutsche Stadt.

Auch Paul Brandt soll ein zweites Mal sein Zuhause verlieren. Im Oktober 1944 wird die kleine Familie erneut ausgebombt.