Ein Wettbewerb gibt Menschen mit geistiger Behinderung eine literarische Stimme. Ein 29-jähriger Kölner ist auch dabei.
Heilige Drei Könige aufs Korn genommenKölner mit Behinderung wird in besonderem Kalender zum Autor
„Glück ist wie ein Wunderland und schmeckt nach Pizza. Hört sich wie schöne Musik an und fühlt sich an wie eine Insel. Riechen tut Glück wie Gold. Riechen tut Glück wie Gold. Unglück schmeckt wie Spinat. Es ist rot und sieht aus wie nach einem Krieg. Es fühlt sich an wie eklige Sachen und hört sich an wie Raketen", schreibt Carola Berndt in ihrem Text „Glück und Unglück“. Berndt hat ihn für den diesjährigen „Wortfinder Wettbewerb“ geschrieben, einen literarischen Wettstreit, der sich an Menschen mit geistiger Beeinträchtigung und Demenzerkrankung richtet. Veranstalter ist der Bielefelder Verein Die Wortfinder.
Carola Berndt ist eine von 750 Autoren und Künstlerinnen, die dieses Jahr rund 1250 Texte und Zeichnungen eingereicht haben und vom Verein jüngst ausgezeichnet wurden. Die Arbeiten sind frei in ihren Formen und Themen, behandeln universelle Emotionen, Sehnsucht, Hoffnung; probieren sich an Sprachspielereien oder Rap-Texten.
Auch Marcel Meyer aus Köln hat sich beteiligt. Der 29-Jährige lebt bei seinen Eltern und arbeitet in einer Werkstatt. Dreimal die Woche ist er im Lino-Club in Köln-Longerich. Hier hat er auch seine erste Geschichte verfasst und die sofort beim Wortfinder-Wettbewerb eingereicht. Es ist eine alternative Erzählung von Maria und Josef, in der Meyer die Geschenke der heiligen drei Könige aufs Korn nimmt: „Ich finde die Geschenke doof! Ich hätte mich mehr über eine Playstation 4, einen Hund, eine Katze oder eine DVD von 'Willkommen bei den Louds' gefreut", heißt es in Meyers Geschichte. Sein Ansatz hat die Jury überzeugt. Begeistert erzählt Meyer davon, dass er bald zur Preisverleihung in Bielefeld fährt. Nach der kreativen Idee für seine neue Variante der Geschichte von Maria und Josef gefragt, erklärt Meyer: „Die ist mir einfach eingefallen, mir gefällt die Geschichte.“
Viele Autoren können nicht schreiben und diktieren ihre Texte Betreuern
Der Verein hat die Literaturveranstaltung 2011 gestartet. Jedes Jahr erscheinen die besten Texte und Zeichnungen gesammelt in einem Kalender. Die Gründerin und Vereinsvorsitzende Sabine Feldwieser arbeitete auch vor ihrer Vereinstätigkeit selbstständig mit Menschen mit Behinderung und bot Zeichen- und Malkurse an. Über den Kalender möchte sie erreichen, dass auch kognitiv beeinträchtigte Menschen literarisch wahrgenommen werden.
Bei den Texten selbst haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer freie Hand: Von Wortspielereien, philosophischen Gedanken und Liebeserklärungen bis hin zu Texten auf schweizerdeutsch sollen sie sich austoben können, erklärt Feldwieser. Die Autorinnen sollen die Möglichkeit bekommen, von sich zu erzählen; von ihren Lieblingsgefühlen oder auch Ängsten. Viele von ihnen könnten selbst gar nicht schreiben, sondern diktierten die Texte ihren Begleitpersonen.
Marcel Meyer bekommt so auch Unterstützung. Wenn er sich gegenüber Fremden ausdrücken will, hilft seine Betreuerin Dina Söns; und jetzt eben auch beim Schreiben. „Das war die erste Geschichte, die wir zusammen geschrieben haben“, sagt Söns. Bisher hätte sie mit Meyer gemeinsam immer Tagebuch geschrieben, wobei sie schreibt und er diktiert.
Wortfinder-Vereinsvorsitzende Sabine Feldwieser gibt manchmal kreative Ideen mit auf den Weg, sie sagt mit Blick auf Hemmnisse, dass sie helfe, enge Horizonte auch der Begleitenden zu weiten, der stehe dem freien Schreiben manchmal im Weg. „So geht es nicht immer nur um Schmetterlinge im Bauch“, scherzt sie.
In diesem Jahr hat der Verein den Teilnehmerkreis erweitert: Neben Menschen mit geistiger Behinderung waren auch Menschen mit demenzieller Erkrankung eingeladen, teilzunehmen. Die Gruppe von Menschen mit Demenz sei enorm präsent in der Bevölkerung, sagt Feldwieser, und bei Menschen mit Behinderung habe auch jeder gesagt „die können doch nicht schreiben“. Inzwischen ist die Resonanz überwältigend, sind ihre Schreibgruppen überrannt. Feldwieser steht mit ihrer Beobachtung nicht allein: „Auch skurille Wortaneinanderreihungen können hochspannend und literarisch wertvoll sein.“
Der Wortfinder-Kalender „Der Wind bläst auch ins Glück" für das Jahr 2024 ist Mitte September mit einer Auflage von 3200 Exemplaren erschienen und kostet 18 Euro.