Wie verteidigt Burkard Blienert das neue Cannabis-Gesetz? Was hält er von schärferen Maßnahmen gegen Vapes und Alkoholkonsum ab 14?
Mocro-MafiaDrogenbeauftragter wirft Reul „strukturelles Versagen“ vor
Herr Blienert, das von Ihnen mit auf den Weg gebrachte Cannabis-Gesetz ist seit rund fünf Monaten in Kraft. Schon vorher gab es reichlich Kritik – vor allem von Justiz und Polizei. Aktuell sorgt eine Anschlagsserie infolge eines Drogenkriegs in Köln und Nordrhein-Westfalen für Aufsehen, an der auch niederländische Drogenbanden der sogenannten Mocro-Mafia beteiligt sind. NRW-Innenminister Reul macht auch das Cannabis-Gesetz dafür verantwortlich, dass sich niederländische Drogenbanden in NRW ausbreiteten. Was sagen Sie dazu?
Burkard Blienert: Diese Logik kann ich nicht nachvollziehen. Eines der zentralen Ziele unserer neuen Cannabispolitik ist es ja gerade, den Cannabismarkt soweit wie möglich aus den Fängen der organisierten Kriminalität zu befreien. Und dieser Markt ist nun einmal da, ob wir wollen oder nicht. Insofern halte ich die Aussage für billige Polemik, um von einem strukturellen Versagen abzulenken. Herr Reul schafft es schlicht nicht, die oft organisierten Kriminalitätsstrukturen hinter diesen Anschlägen aufzuklären. Mit dem Cannabis-Gesetz können Konsumierende Cannabis legal, etwa aus den Cannabis-Clubs und im Eigenanbau, erhalten. Für Drogenhändler ist das kein attraktiver Markt.
Sie machen sich schon seit mehr als zehn Jahren für eine Cannabis-Freigabe stark. Warum?
Weil Gesetz und Realität schon sehr lange weit auseinanderklaffen. Mehr als viereinhalb Millionen Menschen in Deutschland konsumieren regelmäßig Cannabis. Der Erstkontakt mit Haschisch oder Marihuana findet häufig schon mit zwölf oder 13 Jahren statt. Ein reines Verbot von Cannabis gegen eine so weit verbreitete Droge reicht schlicht nicht aus, genauso wenig hilft ein solches Verbot gegen den Schwarzmarkt. Und Prävention und Jugendschutz ist das schon gar nicht. Das haben wir auch bei anderen Drogen in der Geschichte gesehen. Mit dem neuen Cannabis-Gesetz durchbrechen wir das Prinzip, vor diesen gesellschaftlichen Realitäten die Augen zu verschließen und senden gleichzeitig die klare Aussage: Drogen haben in den Händen von Kindern und Jugendlichen nichts zu suchen.
Es gibt Konsumverbotszonen in der Nähe von Schulen, Erwachsene dürfen auch nicht im Beisein von Minderjährigen kiffen. Das klingt als Maßnahme zum Jugendschutz eher naiv. Was tut die Bundesregierung denn konkret, um über die Gefahren von Cannabis-Konsum aufzuklären?
Die Bundesregierung hat das Geld für Aufklärung fast verdoppelt – auf insgesamt 19 Millionen Euro. Wir fahren eine groß angelegte Aufklärungskampagne. Inzwischen werden Präventions- und Interventionskonzepte verstärkt von Schulen nachgefragt, vielmehr als noch vor wenigen Jahren. Wir fördern solche Programme, etwa das Präventionsprogramm „Fred“, das in Nordrhein-Westfalen entwickelt wurde, und den „Grünen Koffer“ als Cannabisprävention.
Die Polizei befürchtet, die jetzt erlaubten Anbau-Vereinigungen mit bis zu 500 Mitgliedern, die an jedes Mitglied pro Monat bis zu 50 Gramm Cannabis abgeben dürfen, könnten von kriminellen Strukturen unterwandert werden – oder diese könnten ein Interesse daran haben, die legalen Plantagen zu zerstören.
Dafür sehe ich bisher keine Indizien. Ich gehe vielmehr davon aus, dass der legale Anbau – im kleinen Maße mit drei Pflanzen ja auch für Privatleute – zu einer spürbaren Verringerung der Zahl der illegalen Plantagen führt.
Der Ausgang scheint offen zu sein – ähnlich wie die Hoffnung der Regierung, dass sich der Konsum durch die Cannabis-Freigabe reduzieren könnte. Wie erklären Sie sich dann, dass niederländische Drogenbanden offenbar nach Deutschland expandieren?
Wir erleben gerade eine Kokainschwemme durch südamerikanische Drogenhändler, die auf dem europäischen Drogenmarkt Fuß fassen. Gleichzeitig steigt der Preis für Heroin, weil die Taliban in Afghanistan die Mohnfelder zerstören. Das sind alles Faktoren, die Druck auf die organisierten kriminellen Strukturen ausüben und dazu führen, dass europäische Drogenhändler – unabhängig vom Cannabis-Gesetz – neue Absatzmärkte suchen, teils auch mit neuen Drogen wie synthetischen Opioiden. Deutschland gilt dabei wegen seiner zentralen Lage als Drehscheibe.
Dass sich der illegale Drogenhandel verändert, kann man auch in Köln beobachten. Crack spielt in der Szene eine immer größere Rolle, Experten warnen außerdem vor der Ausbreitung von synthetischen Opioiden wie Fentanyl, das deutlich stärker wirkt als Heroin. Was kann dagegen getan werden?
Crack übt unheimlich viel Druck auf unser bestehendes und eigentlich gutes Suchthilfesystem aus. Es wird häufig direkt nach dem Erwerb konsumiert, seine Wirkung schlägt sofort durch, hält aber auch nicht lange an. Der Suchtdruck ist immens hoch. Darauf sind die Drogenhilfeeinrichtungen selten bis gar nicht ausgelegt. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir die Konsumräume und ihr Personal besser auf diese Droge vorbereiten können. Wir brauchen mehr Expressrauchräume – für einen schnellen Durchlauf. Aber wir brauchen auch eine andere Ansprache, weil die Crackkonsumierenden oft dehydriert und total unterernährt sind.
Was könnte Abhilfe schaffen?
Niedrigschwellige Suchthilfeeinrichtungen sind für Crackkonsumierende meist der einzige Zugang zu Hilfe. Auch deshalb muss der Ausbau von Drogenkonsumräumen vorangetrieben werden. Insgesamt geht es darum, das Hilfs- und Präventionssystem zu stärken. Das ist auch wegen Fentanyl wichtig, weil wir sehen, dass die Droge in Deutschland ankommt, wenn auch sehr langsam. Dennoch wollen wir vorbereitet sein.
Mit Forderungen nach Ausgaben für Drogenkonsumräume und Prävention durchzudringen, ist bei der angespannten Haushaltslage fast unmöglich, oder?
In vielen Kommunen ist es tatsächlich so, dass Suchthilfe und Prävention die ersten Sparmaßnahmen sind. Aus meiner Sicht ist das falsch, jeder eingesetzte Euro spart am Ende rund 17 Euro an Reparaturkosten. Wir sollten alles dafür tun, damit wir unser gutes Suchthilfesystem nicht weiter gefährden. Wie schnell sich Fentanyl oder andere synthetische Opioide ausbreiten können, hat sich vergangenes Jahr in Irland gezeigt. Da gab es völlig aus dem Nichts 80 bis 90 tödliche Überdosierungen in nur einer einzigen Woche. Die Befürchtung ist, dass sowas nur ein Vorgeschmack von dem ist, was passieren könnte.
Die beliebteste Droge in Deutschland ist und bleibt der Alkohol. Kürzlich hat die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) ihre Einschätzung geändert und sagt nun: Auch in Maßen ist Alkohol ungesund. Welche Konsequenzen ziehen Sie daraus?
Deutschland ist im internationalen Vergleich ein Hochkonsumland; Alkohol ist hier inflationsbereinigt günstiger als vor 20 oder 30 Jahren. Seit vielen Jahren wird Deutschland von der Weltgesundheitsorganisation angemahnt, endlich etwas zu unternehmen. Über einen höheren Preis haben wir ein Instrument, mit dem wir gegensteuern könnten. Aber wir müssen auch über die leichte Verfügbarkeit, die Sichtbarkeit von Alkohol und über die Werbung dafür sprechen. Das gilt im Übrigen genauso für Tabak. Das machen wir in der Koalition auch. Jedoch müssen wir deutlich zulegen, um die Gesundheit tatsächlich zu schützen und wirklich mehr für den Jugendschutz zu tun.
In Deutschland dürfen Jugendliche in Begleitung ihrer Eltern ab 14 Alkohol trinken. Gesundheitsminister Lauterbach möchte das gern verbieten ...
... ich halte dies, genauso wie Karl Lauterbach, für ein falsches gesellschaftliches Signal. Die Gesundheitsministerkonferenz hat einen Antrag für ein mögliches Verbot auf die Tagesordnung gesetzt. Ich hoffe sehr, dass wir eine entsprechende Gesetzesänderung erreichen.
Viele fordern auch höhere Steuern auf Alkohol, ähnlich wie in Skandinavien. In einem Land, in dem Bier und Wein kulturell stark verankert sind, scheint das schwer durchsetzbar.
Ich finde es wichtig, dass ich als Drogen- und Suchtbeauftragter der Bundesregierung seit zwei Jahren genau diese Dinge benenne und öffentlich anspreche. Das hatten wir in den Jahren zuvor nicht so deutlich gehabt; ich nehme meine Rolle an dieser Stelle sehr ernst.
Rauchen wird bei Jugendlichen wieder beliebter, nach Corona ist die Zahl junger Raucher gestiegen. Vor allem sogenannte Vapes, also elektronische Zigaretten, finden reißenden Absatz. Wie blicken Sie auf diese Entwicklung?
Aktuell scheint sich die Tendenz wieder leicht umzukehren, trotzdem ist das eine besorgniserregende Entwicklung. Wir müssen über ein Verbot von Aroma-Stoffen sprechen. E-Zigaretten – vor allem Einweg-E-Zigaretten – sind oft eine Vorstufe zum Tabakrauchen und eben auch gesundheitsschädlich. Neben einem Werbeverbot für alle Tabakprodukte braucht es aus meiner Sicht außerdem klare Verbote für Einweg-E-Zigaretten. Da geht es nicht nur um Jugend, sondern auch um Umweltschutz. Mein Appell an die Koalitionspartner ist, über ihre gelben Schatten zu springen, um hier endlich deutlich Stellung zu beziehen.
Zur Person: Burkard Blienert (58) ist seit Januar 2022 Beauftragter der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen. Schon während seiner Zeit als Bundestagsabgeordneter zwischen 2013 und 2017 hatte der SPD-Politiker „Eckpunkte einer sozialdemokratischen Drogenpolitik“ erarbeitet und darin ein Ende des Cannabis-Verbots gefordert. Er ist Mitglied des deutschen Vereins von Law Enforcement Against Prohibition, einem Verein, der sich für eine Liberalisierung der Drogenpolitik einsetzt.