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Ära geht zu EndeMusikhaus Tonger in Köln schließt nach 202 Jahren

Lesezeit 4 Minuten
Matthias und Astrid Hinz sind die letzten verbliebenen Festangestellten. Sie lernten sich am Arbeitsplatz kennen.

Matthias und Astrid Hinz sind die letzten verbliebenen Festangestellten. Sie lernten sich am Arbeitsplatz kennen.

Generationen kauften bei Tonger Noten, Instrumente und Zubehör. Nun schließt das Musikgeschäft endgültig.

Das Ehepaar Hinz hat schon ein paar Umzüge miterlebt. In den vergangenen 30 Jahren sind die nun letzten verbliebenen festen Mitarbeiter des Musikgeschäfts Tonger von der Breite Straße in die Brückenstraße und 2015 schließlich in die Zeughausstraße gezogen. Einen weiteren Umzug wird es nicht geben. Denn das traditionsreiche Geschäft wird Ende des Jahres schließen. Generationen kauften hier ihre Noten, Instrumente und anderes Musikzubehör.

Die Tonger-Ära, die vor 202 Jahren mit der Gründung des Notenhandels durch den Antiquitätenhändler Josef Tonger in der Straße Am Hof gegenüber vom Dom begann, ist dann endgültig vorbei. Über Köln hinaus gibt es schon keine Tonger-Filialen mehr. „Es ist ein komisches Gefühl, aber es war absehbar“, sagt Astrid Hinz.

Großhandel für Noten aus Bayern übernahm Tonger in Köln 2019

Der Mietvertrag für das Ladenlokal an der Zeughausstraße läuft zum Jahresende aus. Der Großhändler für Noten, die MGS Loib GmbH mit Sitz im bayerischen Reichertshofen, hat ihn nicht erneuert. Loib übernahm Tonger 2019, das Geschäft unter dem Vorgänger Thomas Giehl hatte 2018 Insolvenz angemeldet.

Gitarren hängen aufgereiht an der Wand, in einer Ecke stehen vereinzelt E-Pianos, Geigen baumeln in einer Vitrine. 898 Euro kostet ein Exemplar, ein anderes 349 Euro. „Im Internet findet man auch Geigen für 50 oder 100 Euro. Die Bereitschaft hier mehr auszugeben, ist nicht mehr unbedingt da“, sagt Astrid Hinz. Der Stellenwert von Musik habe sich verändert, sagt die Verkäuferin. Heute wissen Eltern nicht, ob die Kinder wirklich bei ihrem Instrument bleiben oder doch lieber etwas anderes ausprobieren wollen.

Außenfront des Musikhaus Tonger in der Zeughausstraße

Das Musikhaus Tonger an der Zeughausstraße schließt zum Ende des Jahres.

Trends gebe es zwar immer wieder. Die können mitunter auch einen Ansturm auslösen. Vor Jahren sei die Kistentrommel Cajon modern gewesen. Seit Jahren gibt es einen „Ukulele-Hype“, beobachtet Matthias Hinz. Doch Trends allein erhöhen nicht dauerhaft die Nachfrage.

Zu sagen, es liege einzig an der Internet-Konkurrenz, greife dennoch zu kurz, findet das Ehepaar. Die Gründe seien weitreichender: ein hoher Kostenapparat, der Rückgang des Fachhandels, ein Musiklehrer-Mangel und nicht zuletzt die allgemeine Wirtschaftssituation. Großhändler wie Thomann und Music Store bestimmten außerdem die Preise. Und Musikverlage verkaufen ihre Noten mittlerweile direkt an den Kunden. „Auch sie müssen gucken, wo sie bleiben“, sagt Astrid Hinz.

Mit Noten hat Tonger früher immer gute Geschäfte gemacht. Besonders ärgerlich sei, wenn Kunden die Beratung in Anspruch nehmen und dann doch online kaufen. Aber es gibt auch die treue Kundschaft. „Die kommen bewusst zu uns, auch wenn sie mal drei Tage auf die Bestellung warten müssen, und wollen uns unterstützen. Aber das reicht nicht“, sagt Astrid Hinz.

Sie arbeitet seit 31 Jahren bei Tonger. Zuvor absolvierte sie in Bensberg eine Ausbildung zur Musikalienfachhändlerin. „Heute heißt die Ausbildung nicht mehr so. Die Ansprüche sind auch inzwischen reduzierter. Zu Tonger wollte ich wegen des guten Rufs.“ Ihr Mann Matthias Hinz fing ein Jahr später bei Tonger an, die beiden lernten sich hier kennen, hielten ihre Beziehung zunächst jedoch geheim.

Ihr damaliger Chef habe damit später nie ein Problem gehabt, nur die Urlaubsplanung sei immer etwas kompliziert gewesen. Bis Januar dieses Jahres waren sie noch drei feste Mitarbeiter, dann konnte das Ehepaar auch mal gemeinsam freinehmen. Dieses Jahr machte Tonger dann fünf Wochen Betriebsurlaub im Sommer. Da zeichnete sich die Geschäftsaufgabe bereits ab.

Ehepaar Hinz im Musikhaus Tonger

Das Ehepaar Astrid Hinz und Matthias Hinz lernte sich vor rund 30 Jahren bei der Arbeit kennen. Sie wurden ein Paar.

Tonger: 2018 Insolvenz, 2020 dann die nächste Krise mit der Corona-Pandemie

Als Alfred Loib 2019 Tonger übernahm, konnte er noch nicht ahnen, dass auf die Insolvenz bald eine weitere Krise folgen würde: die Pandemie und damit der Lockdown, Umsatzeinbußen und das Online-Shopping, das weiter auf dem Vormarsch ist. „Wir gehen mit unserem Sortiment eher in die Breite. Wenn man spezifische Interessen bedient, kann sich ein Fachgeschäft wiederum lohnen“, sagt Astrid Hinz. Eine schickere Innenausstattung, prall gefüllte Regale und Tische, mehr Fachpersonal, eine größere Auswahl – könnte man durch solche Maßnahmen die Entwicklung umkehren? „Ich glaube nicht“, sagt Astrid Hinz.

Dem Ehepaar wurde ein Übernahmeangebot gemacht: Sie können in Aachen oder in Düsseldorf in den Musikgeschäften weiterarbeiten, die ebenfalls zu Loib gehören. Seit Anfang Oktober läuft an der Zeughausstraße ein Ausverkauf, es gibt 20 Prozent auf das Sortiment.


2022 wurde noch das 200-jährige Bestehen des Musikverlags Tonger gefeiert. Das Ehepaar Peter und Monika Tonger organisierte ein Festakt in seinem Haus in Rodenkirchen. 1835 waren die ersten Noten im Verlag erschienen. Der Verlag spezialisierte sich auf Karnevalslieder und populäre Chormusik. Der iMusikverlag und der Fachhandel gehen seit 1951 unternehmerisch getrennte Wege. Seitdem haben sie keine Verbindung mehr, außer dass sie Herkunft und Namen teilen. (gam)