Kölsche Band mit OrchesterAuf dem neuen Album „Alles Tutti“ trifft Brings Beethoven
Köln – „Wir sind am Endpunkt einer sehr langen Reise“, sagt Schlagzeuger Christian Blüm und strahlt zufrieden. „Alles Tutti“ heißt das neue Album von Brings, das am kommenden Freitag erscheint und jetzt im Domforum vorgestellt wurde. Es ist deshalb so besonders, weil es mit dem Beethoven-Orchester Bonn unter der Leitung von Dirk Kaftan eingespielt wurde.
„Da sind nicht nur beim Notenlesen zwei Welten aufeinander getroffen“, so Blüm. Bereits 2018 hatte der steirische Komponist Reinhard Summerer vier Brings-Songs für ein Konzert mit dem Orchester arrangiert, jetzt kamen weitere acht Stücke hinzu. „Das ist nicht die Klassikplatte einer Rockband“, sagt der Schlagzeuger, vielmehr sei es ein gemeinsames Werk, dass die Brings-Songs in einen neuen Kontext stelle, mal sinfonisch, mal rhapsodisch, mal als Filmmusik. „Wir sind total glücklich, dass dieses Baby jetzt auf der Welt ist.“
Dirigent Dirk Kaftan ist ebenfalls sehr angetan: „In der Musik gibt es nur gut und schlecht – ansonsten gibt es keine Grenzen“, sagt der Generalmusikdirektor der Stadt Bonn. Es sei nicht wie bei vielen Klassik-Rock-Alben so gewesen, dass man den Synthesizer durch ein Orchester ersetzt habe.
Echter Dialog
„Das war ein echter Dialog, der beiden Seiten großen Spaß gemacht hat“, so Kaftan, der die Tiefe der Brings-Songs und ihren poetischen Inhalt lobte. „Das Ergebnis ist authentisch, man merkt, dass es in der Region entstanden ist.“ Man wolle ein Orchester „in der Mitte des Lebens“ sein. Eine Reduzierung der kölschen Band auf Karneval will der Klassikmann nicht gelten lassen. „Musik gut zu machen, ist nie einfach, und die Arrangements waren echt fordernd.“ Das Orchester habe sehr von der Zusammenarbeit profitiert, beim Wechsel der Stile zwischen Frank Zappa und Dixieland müssten seine Musiker schon mal aus sich rausgehen.
Sänger Peter Brings unterstützt die Aussagen: „Das kennen die Orchestermusiker ja nicht, dass etwa bei »Hallelujah« die Leute auf die Stühle springen und mitsingen – das hat denen gut getan.“ Für das Konzert 2020 hatte man auch Klamotten getauscht – Brings im Frack, das Orchester im Schottenkaro-Look. „Brings und Beethoven, das sind zwei Welten“, sagt Peter Brings, „aber von den Menschen her ist das eine Einheit.“ Für den Sommer 2023 plant man deshalb auch eine Konzert-Reihe auf dem Roncalliplatz. „Auf den Termin fiebern wir hin“, sagt Brings feixend, „auch wenn es wohl regnen wird, wie ich uns kenne.“ Beim Stadionkonzert der Band 2011 hatte es wie aus Eimern geschüttet.
Den respektvollen Umgang der Musiker untereinander feiert Gitarrist Harry Alfter: „Da war ein russischer Geiger, der allen den Arsch abgespielt hat – Gänsehaut-Feeling!“ Das habe er dem Kollegen auch gesagt. Und selbst ebenfalls viel positives Feedback erhalten. Peter Brings jedenfalls würde in einem nächsten Leben Noten lesen können: „Wenn du siehst, wie die im Orchester »Liebe gewinnt« vom Blatt spielen, obwohl sie den Song noch nie gehört haben, kommen dir die Tränen.“
Weltpremiere mit Shostakovich
Besonders stolz ist der Frontmann auf eine Weltpremiere: Zum berühmten Walzer Nr. 2 von Shostakovich hat Peter Brings einen Text geschrieben, der, was nicht selbstverständlich ist, von den Rechte-Inhabern eine Freigabe erhalten hat: „Schlaf gut, mein Land“, eine Hymne für die Flüchtlinge dieser Welt und ihren Traum vom Glück. „Wer geht denn schon einfach von zu Hause fort, wer geht schon einfach in ein fremdes Land?“ fragt Brings und beschreibt die berstenden Träume poetisch: „Schlaf gut, mein Traum, von einem besseren Leben, zu hoch der Zaun, die Schafe sie können nicht fliegen.“ Das ist sehr anrührend.
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Der Aufwand bei den Aufnahmen war gigantisch, man hat etwa dreimal so viel Zeit gebraucht wie bei anderen Produktionen. Im Telekom-Forum in Bonn, in das normalerweise 2000 Besucher passen, wurde das Orchester Corona-konform im Saal verteilt. „Das ist nicht einfach, synchron zu spielen, wenn das Xylophon 40 Meter von dir weg ist“, erzählt Dirigent Dirk Kaftan. Hören tut man das nicht, aber eines ist auch klar: Ohne Pandemie und Sponsoren hätte es dieses Album nicht gegeben.
Und das wäre sehr schade. Denn „wir brechen nicht nur die Genres auf,“ sagt Peter Brings, „wir werden auch das Publikum aufbrechen, man hört anders zu.“ Und das lohnt sich, denn vom ersten Stück an, „Kölsche Jung“, geht Brings-mäßig so richtig die Post ab, und doch klingt vieles gänzlich überraschend, was auch der Produktion von Helmuth Rüßmann zu verdanken ist, dem der transparente Sound aller Instrumente am Herzen lag.
„Rään“ zwischen Star Wars und Pink Floyd
Großartig „Rään“, die novembergraue Ode an die Stadt, die mit Film-Ouvertüre-Elementen à la „StarWars“ und Pink-Floyd -Gitarrenanklängen die dunkle Seite des Mondes beschwört, bevor der Text einsetzt: „Dir is nix peinlich/ Und du läss nix us/ Weil mer em Lääve/ Alles mitmaache muß/ Du bis minge Rään/Du bis en Sintflot / Du bis minge Wind/ Du bis ne Sturm/ Du bes kalt wie Iss/ Un heiß wie Gloht/ Un immer dat Jeföhl/ Dat jeiht nit jot!“ Ja, so ist Köln.
Aber es tanzt auch rappend als „Et jeilste Land“ durch einen Streicher-Tornado, „Polka“ kommt als russischer Säbeltanz daher. Bei „Katharina“ gibt sich Altmeister Paul Shigihara an der Gitarre die Ehre, und „Liebe gewinnt“ kommt noch opulenter rüber als im Original, aus „Superjeile Zick“ wird ein 20er-Jahre-Swing. Der Hoffnung spendende Corona-Song „Mir singe Alaaf“ klingt am ehesten wie das Original. „Vielleicht e bissje stiller“ – wie gesagt, zuhören lohnt sich.Alles Tutti, Brings und das Beethoven-Orchester Bonn unter der Leitung von Dirk Kaftan, erscheint am 26. November.