Köln-Longerich – Herr Große-Sender, Sie waren von 2003 bis 2015 Honorarkonsul für die Mongolei, und wurden nun für Ihren zwölfjährigen Einsatz geehrt. Wie fing ihr Einsatz für das zentralasiatische Land an?
Ich war schon seit 1993 für die Mongolei im Einsatz, das entsprang einer persönlichen Initiative von mir. Die Mongolei musste damals „von jetzt auf gleich“ den Wandel zur Demokratie und zum Rechtsstaatsprinzip bewältigen – aber bisher kannte man dort nur das sowjetische, planwirtschaftliche System. Hinzu kam die große Abhängigkeit von China. Eigenverantwortung und Selbstständigkeit mussten komplett neu erlernt werden. Das Land brauchte einfach Hilfe. Als damaliger Landtagsdirektor von NRW habe ich mongolische Abgeordnete zu uns eingeladen, damit sie sehen konnten, wie politisch gearbeitet wird. Und die Gesetze mussten natürlich auf internationale Standards gebracht werden, weil die Mongolei der Welthandelsorganisaion WTO beitreten wollte. Es musste – ähnlich wie bei uns nach 1945 – geklärt werden, welches Recht aus der sowjetischen Vorherrschaft weiter gelten konnte.
Der Mangel war groß
Und der Mangel war groß: Damals wurde dort mit Robotron-Computern aus der DDR gearbeitet, und als die Produktion endete, gab es ein Problem mit Ersatzteilen. Mit der damaligen Landtagspräsidentin brachte ich dann mal persönlich zehn moderne PCs nach Ulan Bator. Ebenso kooperierte die mongolische Polizei mit der von NRW, und auch der Justizvollzug. Wir machten mehrere Tagungen.
Und dieser Prozess lief wahrscheinlich nicht immer reibungslos.
Ja. Das Problem, weshalb manches nicht funktionierte, lag im politischen Wesen der Mongolei begründet: Es war zwar ein demokratischer Staat, jedoch mit häufigen Regierungswechseln. Und anders als bei uns wurde bei einem solchen Wechsel nicht nur der Minister ersetzt, sondern auch die nachgeordneten Mitarbeiter. Es gab weniger Dokumentation, mit der sich die Nachfolger hätten einarbeiten können. Und dadurch sind viele Projekte gescheitert, die schon weit gediehen waren. Nichtsdestotrotz war es eine spannende Zusammenarbeit: Wir haben auch Schulungen in einer mongolischen Jurte gemacht, mitten in der Steppe.
Und 2003 nahmen Sie dann Ihre Konsul-Tätigkeit auf. Wie ergab sich das?
Vor allem war das durch den Umzug der mongolischen Botschaft nach Berlin bedingt. Solange sie in Bonn war, konnten die Mongolen in NRW alles vor Ort machen. Durch den Umzug tat sich ein Vakuum auf. Sie brauchten jemand, der die Kontakte lebendig hält. Und das war dann ich, da ich schon sieben Jahre das Kölner OB-Büro leitete und später Landesdirektor war.
Wie oft waren Sie selbst in der Mongolei?
Das habe ich nie genau gezählt, zeitweilig war ich ein- bis zweimal jährlich dort. Zunächst flog ich über Berlin und Moskau, später gab es auch saisonale Direktflüge der mongolischen Fluggesellschaft Miat ab Frankfurt/Main. Ich habe damals versucht, auch eine Verbindung ab Köln/Bonn zu etablieren, da hier ein Schwerpunkt der mongolischen Minderheit in Deutschland lebt. Das ist aber nicht zustande gekommen. Auch auf der Lebensmittelmesse Anuga wollten wir einen Stand mit mongolischen Produkten machen, das hat aber leider auch nicht geklappt. Bisher ist die Mongolei auf der vor allem Endverbraucher-orientierten „Grünen Woche“ in Berlin aktiv. Man muss wissen: Sie haben hervorragende Produkte, etwa den Wodka aus Korn, der sehr mild und bekömmlich ist.
Die beste Wolle der Welt
Oder die Kaschmir-Produkte: Die Wolle gilt aufgrund der klimatischen Bedingungen als beste der Welt, jedoch greifen die Chinesen alles ab, vermischen es mit eigener Produktion und senken dadurch die Qualität. Und das Fleisch! Es gibt 50 bis 60 Millionen Nutztiere im Land – Schafe, Ziegen, Rinder – und das alles in Freilandhaltung. Es ist aber schwer aufgrund der Agrargesetze, in die EU hinein zu exportieren.
Wie sieht die wirtschaftliche Lage in der Mongolei aus?
Die Mongolei gehört zu den zehn rohstoffreichsten Ländern der Welt, sie haben unter anderem Kupfer und „Seltene Erden“. Aber um die Rohstoffe aus der Erde zu bekommen, sind Milliarden-Investitionen nötig. Was die Entwicklung zudem schwierig macht, ist der fehlende Meereszugang. Man ist auf die Chinesen angewiesen, und alles muss per Lkw herübergefahren werden, weil es keine taugliche Güterzugverbindung gibt. Allgemein ist das Land abhängig von China und Russland; deshalb verfolgt die Mongolei eine Politik des „dritten Nachbarn“ in Gestalt von Japan, der EU und der USA.
Wie interessant ist die Mongolei für den Tourismus?
Die Mongolei ist ein wunderbares Reiseland. Wer Natur, Tiere und die Freiheit liebt, wer auch mal nach Kompass Auto fahren will, ist dort gut aufgehoben. Das Land bietet eben die große Freiheit, mit unzähligen Sehenswürdigkeiten und liebenswerten Menschen. Sie können damit rechnen, von Nomaden zu sich eingeladen zu werden. Inzwischen gibt es ein dichtes Netzwerk von Jurtencamps, man kann Trekking- und Pferdetouren machen. Dazu ist die Mongolei ein sehr sicheres Land, nach allem, was man weiß. Man will den Tourismus ausbauen, viel hat sich schon getan. Als ich 1993 mit meiner Frau erstmals hinreiste, gab es in ganz Ulan Bator kein Brot zu kaufen. Die Leute haben damals gehungert, und im Gästehaus der Regierung waren die Fenster mit Papier verhangen. Wir sind in die Steppe gefahren und hatten nur ein Stück Hammel, Lamm und Wasser dabei. Heute ist alles wesentlich besser; es gibt Hotelketten und alles zu kaufen, was man wünscht. Und es gibt wunderschöne Volksfeste.
Wie oft haben Sie als Konsul Mongolen konkret geholfen?
Zum Glück war das nicht so oft nötig. Es hat nur wenige Fälle gegeben, die wirklich dramatisch waren. Einen Studenten, der ständig Meldetermine und -Fristen verbummelte, konnte ich damals vor der Abschiebehaft bewahren und zur Ausreise bewegen. Und es gab ein schlimmes Ereignis, als ein Bus mit mongolischen Studenten an Heiligabend auf einer belgischen Autobahn in Brand geriet. Sie waren auf dem Weg nach Paris; sie konnten sich Gott sei Dank aus dem Bus retten, aber hatten außer ihrer Kleidung am Leib nichts mehr. Mit der Katastrophenhilfe wurde ich aktiv, um ihnen zu helfen und den Rücktransport zu organisieren.
Wie präsent ist die Mongolei in Köln und Deutschland?
Insgesamt sind die Mongolen sehr gut integriert und leben als nette Nachbarn in der Gesellschaft. Rund 25 000 Mongolen sprechen fließend Deutsch, da viele in der DDR studierten. Bis heute bin ich Beiratsmitglied der deutsch-mongolischen Gesellschaft in Bonn. Und ich freue mich natürlich immer auf das Sommerfest der Kölner Mongolenhorde; es freut mich, dass so viele Menschen hinpilgern.
DIE MONGOLEI
Die Dimensionen des Binnenstaates zwischen Russland und China sind kaum fassbar. Mit ihren knapp 1,6 Millionen Quadratkilometern ist die Mongolei so groß wie Deutschland, die Benelux-Länder, Frankreich, Spanien und Portugal zusammen – bei gleichzeitig nur drei Millionen Einwohnern, weniger als Berlin; wovon wiederum die Hälfte allein in der Hauptstadt Ulan-Bator (Ulaanbaatar) lebt. Das macht die Mongolei zum am dünnsten besiedelten Staat der Welt. Größtenteils dominieren Hochgebirge, Steppen und Wüsten das Landschaftsbild, was die mongolische Kultur und Geschichte als Nomaden- und Reitervolk entscheidend prägte. Das über Jahrzehnte kommunistisch regierte Land wandelte sich seit 1990, begünstigt durch den Zusammenbruch der Sowjetunion, zu einer Demokratie; heute gilt es als freiheitlichstes Staatswesen Zentralasiens. (bes)
ZUR PERSON
Heinrich A. Große-Sender (78), der mit 16 von der Realschule aufs Gymnasium wechselte, hat BWL und Jura studiert und arbeitete bis 1999 als Landtagsdirektor von NRW. Danach war er bei der Stadt Köln Amtsleiter für Angelegenheiten des Rates, der Bezirksvertretungen und der Ausschüsse; in Personalunion leitete er das Büro des Oberbürgermeisters. Bis heute ist er beim Bürgerverein Longerich aktiv. (bes)
STECKBRIEF
Meine Lieblingsorte in
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Der Grüngürtel natürlich, aber auch Alt-Longerich um den Kriegerplatz herum und der Altonaer Platz. Mein Lieblingslokal:
Ein bestimmtes Lieblingslokal habe ich nicht; wir haben mehrere schöne, und ein gutes Angebot an Restaurants und an Gelegenheiten für ein gut gezapftes Bier. Was mich am Veedel stört:
Zu wenige junge Menschen interessieren sich für die Belange des Stadtteils; die Bereitschaft ist nicht so da, sich für lokale Themen zu engagieren. Das Veedel ist für mich...
Mein Rückzugsort, da ich früher sehr viel in der Welt unterwegs gewesen bin. Meine Hobbys: