Die neue Personalverordnung soll Entlastung bringen, sorgt aber für Unmut in den Kitas. Gesucht werden Fachkräfte, auch Quereinsteiger wie Hannah Platzer.
Personalnot in KitasKölner Tänzerin wird in Teilzeit zur Erzieherin
Draußen liegt ein Kind mit Wutanfall am Boden und wird gerade von einer Erzieherin freundlich hochgehoben. Drinnen zieht der Duft von frisch gekochtem Mittagessen durchs Haus. Im Büro von Sara Lucía Gómez Gutiérrez gibt es nicht nur Aktenordner, sondern auch eine Menge Kinderbücher. Der Raum sei Büro und Bibliothek, sagt die Leiterin der „Kita Rio“ in Ehrenfeld. Auf dem Ecksofa hinter einem der Bücherregale sitzt Hannah Platzer, angehende Erzieherin im Anerkennungsjahr, 38 Jahre alt, die schlanken Beine zum Schneidersitz verknotet.
Sie ist auf Umwegen in diesem Beruf gelandet, dessen Ruf in den letzten Jahren arg gelitten hat. Und sie ist ein Glücksfall für die „Kita Rio“. „Wer will denn noch Erzieherin oder Erzieher werden?“, sagt Gómez Gutiérrez. Es ist eine rhetorische Frage. Sie hat von ihrem Kita-Träger erst kürzlich die neue Personalverordnung für die Kindertagespflegeeinrichtungen in NRW zugeschickt bekommen, die Anfang Dezember in Kraft getreten ist.
Neue Personalverordnung: eine Fachkraft für 60 Kinder möglich
Sie sei erarbeitet worden, „um das System der frühkindlichen Bildung weiter zu stabilisieren und verlässlicher zu gestalten“, heißt es aus dem NRW-Familienministerium. Tatsächlich ist die Verordnung aus der Not entstanden. In den allermeisten Einrichtungen gibt es nicht mehr genug Personal, um die vorherigen Richtlinien noch durchgängig einzuhalten.
Nun kann es bei akutem Personalnotstand reichen, wenn nur eine ausgebildete Fachkraft für bis zu 60 Kinder in einer Einrichtung anwesend ist (statt zwei Fachkräften pro Gruppe) – und lediglich von sogenannten Ergänzungskräften ohne volle sozialpädagogische Ausbildung unterstützt wird. Das gilt für maximal sechs Wochen. Damit sollen Gruppenschließungen verhindert werden. „Das hilft den Familien, aber gut für die Bildungsarbeit ist das nicht“, sagt Gómez Gutiérrez.
Die Kita-Leiterin ist deshalb heilfroh, dass der Ruf ihrer Einrichtung offenbar noch gut genug ist, um Personal für freie Stellen zu finden. Und Menschen wie Hannah Platzer zu halten, die voller Überzeugung und mit großer Begeisterung ihre Ausbildung absolvieren. Aus Treffen mit anderen Kita-Leitungen wisse sie, sagt Gómez Gutiérrez: „Bei uns ist die Personallage noch Luxus.“ Das liege auch an mehreren Werksstudenten, die im Dienstplan für Entspannung sorgen.
Alleinerziehend als Künstlerin in der Pandemie: „Es gab keine Arbeit mehr“
Hannah Platzer hat Bühnentanz studiert und freiberuflich als Tänzerin gearbeitet. Dann bekam sie vor fünf Jahren eine Tochter. Es folgte die Trennung von deren Vater. Und plötzlich fand sich Platzer alleinerziehend in der Corona-Pandemie wieder. Es sei ihr gegangen wie vielen freiberuflichen Künstlern, erzählt sie: „Es gab keine Arbeit mehr für mich.“ Da sie als Tänzerin auch Projekte mit Kindern und Jugendlichen gemacht hatte und nach dem Abitur das Studienfach Erziehungswissenschaften ihr Zweitwunsch nach dem Tanz gewesen war, gefiel ihr der Gedanke an eine Erzieherinnen-Ausbildung gut.
Doch die herkömmliche Ausbildung am Berufskolleg hätte sie nicht absolvieren können. Sie hatte eine Tochter, sie brauchte ein Einkommen. „Und ich hätte es in Vollzeit auf keinen Fall geschafft“, sagt Platzer. Das Angebot des privaten Kölner Bildungsanbieters Elex war daher genau das Richtige für sie. Gefördert mit Bildungsgutscheinen des Jobcenters konnte Platzer hier in Teilzeit einen Vorbereitungskurs auf die sogenannte Externenprüfung zur Erzieherin machen.
Elex hat schon rund 300 Menschen für den Erzieher-Beruf qualifiziert
In ihrem Jahrgang habe es zwei Klassen mit jeweils 25 Auszubildenden gegeben. Sie seien zwischen 27 und 55 Jahre alt gewesen, stammten aus den verschiedensten Nationen und hätten ganz unterschiedliche berufliche Vorerfahrungen gehabt: Vom Koch über den Schreiner und die Konditorin bis hin zur Philologin sei eine bunte Mischung zusammengekommen.
Elex bildet seit zehn Jahren Erzieherinnen und Erzieher aus. „Wir haben bisher rund 300 Menschen für den Beruf qualifiziert“, sagt Detlev Wiener, der das Institut 2014 mit seiner Frau Monika gründete. Die nächste Informationsveranstaltung finde am 13. Februar statt und im kommenden Jahr gebe es erstmals auch berufsbegleitende Ausbildungslehrgänge für Ergänzungskräfte. Eine Finanzierung über das Jobcenter ist möglich, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt werden.
Die Agentur für Arbeit und das Jobcenter förderten die Ausbildung zur Erzieherin oder zum Erzieher sehr gern, teilte eine Sprecherin des Jobcenters Köln mit. Der Bedarf am Arbeitsmarkt sei schließlich hoch. Im November hieß es vonseiten der Stadt, dass in 70 ihrer 212 Kitas reduzierte Betreuungszeiten vorlägen und 300 Stellen (in allen Bereichen) vakant seien.
Unüberlegt vergibt das Jobcenter die Bildungsgutscheine für die Erzieher-Ausbildung aber nicht. Die Anforderungen an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer seien hoch, sagte die Sprecherin: „Das betrifft sowohl die formalen Zugangsvoraussetzungen als auch die erforderlichen Soft-Skills und vor allem die Motivation.“
Lebenserfahrung von Quereinsteigern steht bei den Kitas hoch im Kurs
Sara Lucía Gómez Gutiérrez aus der Ehrenfelder „Kita Rio“ weiß die Qualitäten von Quereinsteigern zu schätzen. Sie brächten oft Lebenserfahrung, Teamfähigkeit und Eigenverantwortung mit, alles nützliche Eigenschaften für den Job. „Das ist keine einfache Arbeit, sie ist körperlich und emotional sehr anstrengend“, betont Gómez Gutiérrez: „Der Beruf ist nicht attraktiv, wenn man keine Leidenschaft für die Sache verspürt.“
Platzer sieht das genauso. Für sie selbst sei der Beruf der Erzieherin einer, bei dem sie sich vorstellen kann, viele Jahre glücklich darin zu arbeiten. Und als ehemalige freiberufliche Künstlerin wisse sie das sichere Einkommen zu schätzen, auch wenn es höher sein könnte. „Wir sind nicht wegen des Geldes oder der Anerkennung hier“, sagt Gómez Gutiérrez. „Wir möchten die Kinder so gut wie möglich auf das Leben vorbereiten, als Menschen, das sie sich wohl mit sich selbst fühlen und einen guten Umgang mit anderen pflegen.“
Um das tun zu können, werden Erzieherinnen und Erzieher ausgebildet. Es sei eine intensive, schwierige Ausbildung, sagt Gómez Gutiérrez. Hannah Platzer stimmt ihr zu. „Und leider haben wir oft das Gefühl, dass unsere Expertise nichts wert ist“, betont die Kita-Leiterin. Das hat mit der Bezahlung zu tun. Mit der öffentlichen Anerkennung. Und nun auch mit der neuen Personalverordnung, die als Antwort auf den Mangel ausgebildetes Personal nicht mehr so wichtig nimmt. Detlev Wiener von Elex bezeichnet die Verordnung als „ersten Schritt in die falsche Richtung“.