Innenstadt – Helmut Simon war 31 Jahre alt, als Manfred Wörner ihn in sein Büro auf der Bonner Hardthöhe zitierte. 1983 war das, Wörner war Bundesverteidigungsminister, er wollte sich von dem Kölner Kriminalpolizisten auf den neuesten Stand der Ermittlungen in der so genannten „Kießling-Affäre“ bringen lassen. „In Ihren Händen“, eröffnete der CDU-Politiker das Gespräch mit dem jungen Polizisten, „liegt der Kopf des Verteidigungsministers der Bundesrepublik Deutschland.“
Heute, 31 Jahre später, leitet Helmut Simon die Verkehrsdirektion der Polizei Köln. In wenigen Tagen wird er pensioniert. Aber auch in seiner Freizeit werden ihn seine alten Fälle nicht loslassen: Einmal im Monat führt der 61-Jährige Besuchergruppen durch die Innenstadt zu den Schauplätzen der spektakulärsten Verbrechen, in denen er ermittelt hat.
Die „Kießling-Affäre“
Die nächsten Führung „Das Böse in Köln“ mit Helmut Simon findet am Sonntag, 31. August, um 15 Uhr statt. Treffpunkt ist das Service-Center von Kölntourismus am Dom. Eine Karte kostet elf Euro.
Fünf Leser des „Kölner Stadt-Anzeiger“ können je zwei Tickets für eine Führung an einem der folgenden Termine gewinnen: 28. September, 26. Oktober oder 16. November. Rufen Sie am Samstag, 30. August, unter der Nummer 01379/88 54 16. Ein Anruf aus dem deutschen Festnetz kostet 50 Cent. (ts)
An diesem sonnigen Sonntag steht Helmut Simon vor einer Schwulenbar in einer Gasse der Kölner Altstadt, umringt von 21 Zuhörern. „Tom Tom“ hieß die Kneipe 1983, und angeblich verkehrte dort der damalige Vize-Oberbefehlshaber der Nato, Günter Kießling. Der Militärische Abschirmdienst (MAD) der Bundeswehr ging Gerüchten nach, der Vier-Sterne-General sei homosexuell, erpressbar und daher ein Sicherheitsrisiko.
Simon war Zivilfahnder, er sollte ein Foto von Kießling herumzeigen, verbunden mit der Frage, die jeder „Tatort“-Zuschauer zur Genüge kennt: „Haben Sie diesen Mann schon einmal gesehen?“ Der Wirt des „Tom Tom“ war sich nicht sicher, der Büffetier schon – und somit begann die Affäre, die die Öffentlichkeit monatelang in Atem hielt. Simon konnte das in diesem Moment nicht ahnen, denn er wusste selbst nicht, wer der hochdekorierte General auf dem Foto war; sein Vorgesetzter hatte es ihm nicht mitgeteilt, vielleicht weil er es selbst nicht wusste. Der MAD wollte den Kreis der Mitwisser so klein wie möglich halten.
Die Folgen: Kießling wurde entlassen. Erst Wochen später stellte sich heraus, dass die Gerüchte Unfug waren, der Büffetier hatte sich geirrt, Kießling war rehabilitiert. Verteidigungsminister Wörner war zwar angezählt, überstand den Skandal aber im Amt.
Staunend hört die Gruppe ihrem Stadtführer zu. Viele erinnern sich gut, sie haben die „Kießling-Affäre“ damals in den Medien verfolgt. Und nun erfahren sie Details aus erster Hand.
„Gar nicht wie ein Polizist“
Andere erinnern sich besser an die Entführung des elfjährigen Johannes Erlemann 1981, Sohn von KEC-Präsident Jochen Erlemann. Helmut Simon war damals Zielfahnder, zählte unter anderem einen Teil des Lösegeldes von drei Millionen D-Mark, das die Polizei nach der Verhaftung der Täter sicherstellte: insgesamt 1.693.900 DM, versteckt in zwei Propangasflaschen.
„Der redet irgendwie so normal“, wundert sich eine Teilnehmerin auf dem Weg zur nächsten Station am Rheinufer, „gar nicht wie ein Polizist.“ Sie meint das als Kompliment. Etwas weiter vorne verteilt Helmut Simon Präventionshinweise: „Passen Sie hier gut auf Ihre Handtaschen auf, und lassen Sie sich bloß nichts andrehen.“
Fast zwei Stunden dauert die Tour. Unterwegs erfahren die Teilnehmer unter anderem auch, wie 1984 die spektakuläre Geiselnahme in der Bank für Gemeinwirtschaft (im heutigen Domforum) zu Ende ging und wie nahe Simon und seine Kollegen bei der Fahndung nach einem Kölner Ganoven an ein Stasi-Mordkommando gerieten.
Und die Gruppe erfährt, wie Simon sich als Leiter der Verkehrsdirektion beinahe am „Ma’alot“-Kunstwerk auf dem Heinrich-Böll-Platz versündigt hätte. Parallel zum Hauptbahnhof ist in Höhe der Philharmonie eine Eisenbahnschiene in den Asphalt eingelassen. „Die wollte ich wegnehmen lassen, weil da oft Fahrradfahrer ausgerutscht sind“, erzählt Simon – bis man ihn aufklärte, dass die Schiene Teil des Kunstwerks ist.