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„Nach mir kommt keiner mehr“Holocaust-Überlebender lässt in Köln seine Geschichte lebendig werden

Lesezeit 3 Minuten
Der Holocaust-Überlebende Ivar Buterfas-Frankenthal spricht in der Lise-Meitner-Gesamtschule in Porz-Finkenberg zu Schülerinnen und Schülern.

Der Holocaust-Überlebende Ivar Buterfas-Frankenthal spricht in der Lise-Meitner-Gesamtschule in Porz-Finkenberg zu Schülerinnen und Schülern.

Ivar Buterfas-Frankenthal hat den Holocaust überlebt und fährt seit 30 Jahren als Zeitzeuge durch Deutschland. Jetzt machte er Station in Köln- Finkenberg.

Was hatte sich Ivar Buterfas-Frankenthal auf die Schule gefreut. Seinen ersten Schultag erwartete er voller Freude und Spannung. In die Schule zu gehen hieß für ihn, mit vielen Kindern in Kontakt zu kommen. Nichts schien ihm reizvoller. Doch die Freude währte nicht lange. Alle Schülerinnen und Schüler waren auf dem Schulhof versammelt.

Buterfas-Frankenthal sollte vortreten. „Hör zu, Du kleiner Judenbengel, Du nimmst sofort Deine Sachen aus der Klasse und machst Dich auf dem schnellsten Wege nach Hause“, hörte er den Schulleiter sagen. Er brauche auch nicht mehr wiederzukommen. Buterfas-Frankenthal, damals sechs, wusste nicht, wie ihm geschieht. Den Worten des Schulleiters folgten Schimpfworte der anderen Kinder.

Terror der NS-Zeit am eigenen Leib erfahren

Jetzt ist Buterfas-Frankenthal wieder in einer Schule. In der Lise-Meitner-Gesamtschule in Finkenberg erzählt der gebürtige Hamburger seine Geschichte. Eine Geschichte geprägt von Hass, Angst und schrecklichen Erlebnissen. „Das ist das letzte Mal, dass ihr jemandem Fragen stellen könnt, der das miterlebt hat“, sagt Buterfas-Frankenthal. „Nach mir kommt keiner mehr.“

Buterfas-Frankenthal ist mittlerweile 91 Jahre alt. Er hat am eigenen Leib den Terror der NS-Zeit erfahren. Seine Lebensgeschichte beginnt am 16. Januar 1933 in Hamburg – zwei Wochen vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Wie seine Geschwister gilt Buterfas-Frankenthal als „Mischling ersten Grades“, als „Halbjude“.

Vater wird ins KZ gebracht, Familie musste ins Judenhaus

Der jüdische Vater ist einer der ersten, der im Lager Esterwegen in Norddeutschland und später ins KZ gebracht wird. Die christliche Mutter bleibt mit der Familie zurück. Buterfas-Frankenthal berichtet, wie er und seine Familien ins sogenannte Judenhaus musste. Er erzählt, wie ihn andere Kinder mit Zigaretten verbrennen, ihn „rösten“ wollen, als seine Mutter ihn losgeschickt hatte, für ein paar Groschen Kuchenrinde beim Bäcker zu kaufen.

Buterfas-Frankenthal spricht auch von Flucht, Versteckspiel und der ständigen Angst, gefunden und deportiert zu werden. Und auch von der Zeit nach dem Krieg, in der es bis zum Jahr 1964 gedauert hat, seine deutsche Staatsangehörigkeit zurückzubekommen.

Mehr als 1500 Mal hat er in den vergangenen 30 Jahren auf Veranstaltungen seine Geschichte und die seiner Familie erzählt. Als Mahner gegen das Vergessen wurde er mehrfach ausgezeichnet. Er hat Morddrohungen erhalten. Sein Haus ist vielfach gesichert.

Buterfas-Frankenthal warnt vor der „gefährlichen“ AfD

Und doch lässt er sich nicht davon abbringen, weiter seine Geschichte zu erzählen. Seine Stimme ist angegriffen und dennoch spricht er laut. „Du bist heiser“, sagt seine Frau Dagmar zu ihm. Sie sitzt auf dem Podium an seiner Seite und hält Bilder ihres Mannes aus alten Tagen in eine Kamera. Das Bild wird für die Schülerinnen und Schüler auf eine Leinwand geworfen.

„Die schreckliche Zeit ist verdrängt worden, und dadurch, dass wir alles verdrängt haben, besteht eine riesige Gefahr, die euch die Zukunft stehlen kann“, sagt Buterfas-Frankenthal in der Lise-Meitner-Gesamtschule. Er nennt in diesem Zusammenhang die AfD. Die Partei hält er für „ganz gefährlich“. Gerade beim Stichwort „Remigration“, bei der Vertreibung von Millionen von Menschen aus Deutschland, fühle er sich an die NS-Zeit erinnert, sagt er.

Ivar Buterfas-Frankenthal will aufklären, mahnen, erinnern. Damit sich das, was er und andere in der NS-Zeit erleben mussten, nicht wiederholt. „Ihr seid die Erwachsenen von morgen“, sagt er in Richtung der Schülerinnen und Schüler in Finkenberg. Sie, die jungen Menschen haben es in der Hand, die Zukunft entsprechend zu gestalten.

Und deswegen wird er trotz seines Alters weiterhin unterwegs und Mahner gegen das Vergessen sein. Denn nach ihm kommt keiner mehr, der das miterlebt hat und dem Fragen gestellt werden können. Wie es am Ende auch die Schülerinnen und Schüler der Lise-Meitner-Gesamtschule in Finkenberg getan haben.