Porz-Elsdorf – Den Anrufer drückt Bernhard Cullmann weg, die Frau vom Tante-Emma-Laden ist ihm gerade wichtiger. Der Fußballweltmeister von 1974, der sich nicht als Weltmeister betrachtet, weil er im Endspiel nicht zum Einsatz kam, will Frau Zimmermann am Handy vorwarnen, dass der „Kölner Stadt-Anzeiger“ gleich kommen will. Zimmermanns Kolonialwarenladen liegt einen Steinwurf entfernt vom Eigenheim der Cullmanns in der Hermann-Löns-Straße in Elsdorf. Bei Frau Zimmermann holen die Cullmanns Brötchen.
Das Handy klingelt wieder. Cullmann arbeitet als Spielerberater und hat gerade Hochsaison; er lässt es klingeln. Beim Eintreten in den Tante-Emma-Laden muss er sich ducken. „Den Bernd erkenn’ ich am Türaufmachen“, sagt Franziska Zimmermann, deren Miniaturgeschäft an einen Puppenladen erinnert. „Der ist immer so stürmisch, dass ich Angst um den Holzrahmen kriege.“ „Immerhin eine, die mich noch dynamisch findet“, flachst Cullmann, lässt sich auf einen Stuhl fallen und umfasst ein Einkaufskörbchen. „Stimmt aber nicht ganz, dass du immer so dynamisch bist“, sagt Zimmermann. „Wenn der FC verloren hat, ist dein Gesicht so lang, dass du fürs Rasieren zehn Pfennig mehr zahlen musst.“ Cullmann fasst sich ans Kinn: „Dann wär ich ja arm. Ans Leiden habe ich mich doch längst gewöhnt, Franziska!“ Bernhard Cullmann, der meistens Bernd und von Freunden Culli genannt wird, mag es trocken – und beschaulich. Um in Elsorf bleiben zu können, hat er 1976 sogar ein Angebot des FC Bayern ausgeschlagen. Dabei sollte Cullmann dort Libero-Nachfolger von Franz Beckenbauer werden. „Ich bin eben Kölner, Porzer und Elsdorfer. Damals hatte ich gerade das Haus hier gekauft und kleine Kinder.“
Anders als in München ist in Elsdorf alles beschaulich. Hier blüht noch die Maibaum-Tradition, hier kann sich die CDU noch der absoluten Mehrheit sicher sein. Auf dem Spielplatz mit Bolzplatz liegen weder Flaschen noch Kippen. Cullmann ist seit vielen Jahren Spielplatzpate. „Ein leichter Job, im Vergleich zu einem Spielplatz in Kalk.“
Der 62-Jährige zeigt noch ein Kapellchen im Feld, das der Bürgerverein weiß und blassgelb gestrichen hat. Der Blick fällt auf die Glasfabrik der Firma Saint-Gobain, „die einzige von drei Porzer Glasfabriken, die übrig geblieben ist. Früher hieß sie Germania“. Der Mann kennt sich aus in Porz, es ist sein Viertel, irgendwie auch seine Stadt. Ganz haben die Porzer die Eingemeindung nach Köln nie verwunden. „Aber das ist vielleicht ein bisschen lächerlich. Alle reden vom vereinten Europa, und wir kämpfen für ein vereintes Porz. Aber Porz wird eben von der Stadt oft vergessen. Und das tut weh.“ Er wird das später erklären.
Ganze Familie lebt in Porz
Auf dem Rückweg vom Kapellchen geht es vorbei am Haus seiner Schwester; schräg gegenüber wohnt seine Mutter, ein paar Hundert Meter weiter Sohn Carsten, der auch als Profi beim FC spielte, inzwischen Trainer ist und nächstes Jahr die U-15-Mannschaft des FC übernehmen soll. Cullmanns Tochter Claudia ist in die weite Welt ausgezogen – sie wohnt mit ihrer Familie in Porz-Eil.
Der Spaziergang wird jetzt, auch weil Cullmann zwei künstliche Kniegelenke hat, zur Spazierfahrt. Hinter der Handbremse liegen Sammelbilder zur Fußball-Europameisterschaft. „Drei Enkelkinder sammeln, diese Bilder sind eine Gelddruckmaschine.“ Sein Handy klingelt, es klingelt ständig. Cullmann ignoriert das und erzählt, wie er „Profi auf dem zweiten Bildungsweg“ wurde. Es war sein Spezi Wolfgang Weber, der den Landesliga-Mittelstürmer Cullmann dem FC empfahl. 1969 wechselte er zu den Amateuren der Geißböcke. „Ein Jahr später war ich Profi.“ Sein erstes Bruttogehalt: 500 Mark im Monat. Zwanzig Jahre später verdienten die Amateurkicker seiner Porzer Sportvereinigung das Dreifache.
Laufbahn begann mit zehn Jahren
Er parkt den Mittelklassewagen an der alten Aschenkampfbahn an der Humboldtstraße. Der Lebensweg von Bernhard Cullmann führt von diesem Aschenplatz zum Geißbockheim des 1. Fußballclubs Köln und zurück. An der Humboldtstraße begann mit zehn Jahren seine Laufbahn, am Geißbockheim kam sie zur Blüte. Mit dem FC gewann Cullmann Deutsche Meisterschaft und DFB-Pokal, wurde Nationalspieler, gewann WM (1974) und EM (1980), am Geißbockheim arbeitete er im Vorstand und als Manager; bevor Cullmann in den FC-Vorstand aufstieg, war er viele Jahre Vorsitzender der Sportvereinigung Porz. „Zweimal Vorstand ging nicht. Da habe ich mich für den FC entschieden.“ Bis heute fährt er mit seiner Frau und Wolfgang Weber zu jedem FC-Heimspiel.
Sonntags guckt er – auf der Suche nach Talenten – die Spiele der FC-Junioren. Gelegentlich fährt er zur neuen Anlage der Sportvereinigung Porz an der Brucknerstraße und guckt Bezirksliga. Als die erste Mannschaft in der Bezirksliga zuletzt des öfteren mit 0:10 oder 1:16 verlor, griff er mit Wolfgang Weber ein – ein Großteil der Spieler wurde ausgetauscht. „Wir mussten die Reißleine ziehen, auch wenn der Abstieg nicht zu verhindern war“, sagt Cullmann. Immerhin habe die Sportvereinigung Tradition: Weber, Herbert Neumann, er selbst und sein Sohn haben hier das Kicken gelernt.
Hat die Stadt Porz vergessen?
Vor der Aschenbahn an der Humboldtstraße fragt der Gärtner, wer das denn sei, der da fotografiert werde? „Ah, der Cullmann. Ihren Sohn kenn’ ich aus der Zeitung.“ Cullmann lacht. Er zählt nicht zu jenen Weltstars von einst, die sich noch Jahrzehnte später im Boulevard zu Wort melden, um die Ruhmesflamme am Flackern zu halten. Er fährt keinen Sportwagen, sondern am liebsten mit dem Rad – jedes Jahr nimmt er mit Sohn Carsten als radelnder Clown am Porzer Karnevalszug teil.
Von der Aschenbahn geht es zum Rhein. Unter der Bahnhofsunterführung schüttelt Cullmann den Kopf: „Keine Fahrradabstellplätze, kein Aufzug, was für eine Fehlplanung dieser Bahnhof ist.“ Am Fluss hellt sich seine Miene nicht auf. Die Wiese ist nicht gemäht, die Hecke nicht geschnitten. „In Rodenkirchen wäre das undenkbar.“ Und dann das beschmierte Kriegerdenkmal mit der kaputten Treppe, gesperrt seit Jahren. Lange konnte sich die Stadt nicht durchringen, eine Sanierung zu finanzieren. „Das meine ich damit, dass die Stadt Porz vergessen hat.“ Er wolle sein Porz nicht schlechtreden, er liebe Porz. Also schnell zu einer Oase, der Freizeitinsel Groov in Zündorf, regelmäßiges Ziel von Radtouren der Cullmanns, ihrer Kinder und Enkel.
Ruhig, diszipliniert, ohne Allüren
An der Minigolfanlage empfängt ihn Manfred Zimmer. Zimmer ist sieben Jahre älter als Cullmann, er war rechter Läufer bei der Sportvereinigung und einer von Bernds ersten Trainern. „Wenn Manfred sonntags mit der ersten Mannschaft gespielt hat, standen wir am Spielfeldrand, das war normal“, erinnert sich Cullmann, der in Zündorf mit den Enkeln Minigolf spielt und anschließend im Eiscafé La Veranda einen ausgibt. „Der Bernd“, sagt Zimmer, „war ein super Junge. Ruhig, diszipliniert, ohne Allüren.“ „Für uns gab es nur Fußball“, sagt Cullmann. „Wenn ich mir die Jungs heute mit ihren Möglichkeiten angucke, mit ihren Smartphones und sehe, wie sie nach ein paar Erfolgen hochgejubelt werden, dann möchte ich nicht tauschen.“
Cullmann sagt, er seinie das ganz große Talent gewesen. Trotzdem ist er Deutscher Meister, Europa- und Weltmeister geworden. Vielleicht auch deswegen, weil er sein Handy ab und an klingeln lässt. Und daran, dass er immer Porzer geblieben ist. Cullmann sagt: „Ich will, dass es dem FC gut geht, und dass es Porz gut geht.“