Jochen Oberlack dokumentiert die Musikszene im Städtedreieck Köln, Düsseldorf und Mönchengladbach.
Visionäre, Ausbrecher, Spinner„Rübenrock“ erzählt die Entstehung der Rock-Szene am Rhein
Es ist nach wie vor ein und derselbe Traum: mit Musik berühmt zu werden. Zig Jugendliche wollen „The Voice of Germany“ werden. Riskieren, sich von Dieter Bohlen zur Schnecke machen zu lassen oder nehmen an anderen Casting-Shows teil.
Bei Jochen Oberlack gestaltete sich das Vorhaben insofern anders, als dass die medialen Möglichkeiten begrenzt waren. Ende der 60er Jahre gab es drei Fernsehprogramme und seine Heimat Rommerskirchen schien damals so weit entfernt vom Rock'n'Roll-Zirkus wie der 1. FC Köln heute von der Champions League. Doch als der 17-Jährige Marc Bolan von der Gruppe „T.Rex“ auf der Mattscheibe sah, den die Mädchen anhimmelten, stand sein Entschluss fest: „Genau das mache ich auch, nur besser!“
„Rübenrock“: Als im Rheinland die Rockmusik blühte
Was daraus geworden ist, können Musikinteressierte ab sofort in Oberlacks Buch „Rübenrock“ nachlesen. Es ist die erste Dokumentation der Musikszene zwischen den späten Sechziger- und frühen Achtzigerjahren im Städtedreieck zwischen Köln, Düsseldorf und Mönchengladbach. Oberlack erzählt verrückte Geschichten von Träumern, Talenten, Visionären und Spinnern, die sich mit ihren Bands in den Proberäumen probierten.
„Jugendliche Mittelklasse-Versager konnten exakt aus zwei Möglichkeiten wählen, um die Damenwelt zu beeindrucken“, blickt Oberlack zurück und meint dabei den Sport- oder Schützenverein. Die dritte Möglichkeit offenbarte dann der Blick in die „Bravo“: „Überall rebellierten plötzlich schüchterne Außenseiter und gründeten eine Band.“ Doch nicht jeder wurde ein Wolfgang Niedecken oder legte eine Karriere wie Kraftwerk hin. Zwar kommen viele späteren Berühmtheiten wie etwa Helmut Zerlett auch in dem Buch vor, aber in erster Linie sind es Namen wie Jürgen „Purzel“ Beck, der mit Zerlett in der Band „Syringa“ spielte.
„Beck war eine ganz zentrale Figur damals und spielte später auch mit Purple Schulz zusammen“, sagt Herausgeber und Verleger Frank Steffan, der mit dem Buch „Kölsch-Rock“ die Kölner Szene Anfang der 80er thematisiert hatte. Höchst kurzweilig und unterhaltsam geschrieben, erfährt der Leser von „Purzel“ Becks Versuch, den damals schon berühmten Can-Schlagzeuger Jaki Liebezeit im Kölner Café „La Strada“ von seinen Gitarrenkünsten zu überzeugen.
Doch selbst die Jimi-Hendrix-Einlage zeigte keine Wirkung. Liebezeit sei einfach aufgestanden. „Ich höre Dich nicht“, habe er zu Beck gesagt. „Du kopierst ja nur. Versuch lieber, Deiner eigenen Stimme zu folgen. Ich fand das total bescheuert, aber natürlich hatte er Recht“, sagt Beck, den Oberlack im Rahmen seiner Recherchen ausfindig gemacht hatte.
2020 habe er mit dem Werk angefangen, sagt Oberlack. 100 Interviews und ein paar Tausend Autobahnkilometer später sei das Werk vollendet gewesen. „Die Recherche war deshalb schwierig, weil man ja aus der damaligen Zeit nichts googeln konnte.“ Auch darin liegt der Reiz des Buchs: Zwar kennt man die Geschichten von der Zeltingerband, als mit dem „Müngersdorfer Stadion“ im Kölner Roxy eine Naturgewalt losbrach, aber das Gros der Anekdoten handelt von heute unbekannten „Rübenrockern“.
Auch Detlef Kowalewski kommt zu Wort, der zum Clubbesitzer aufstieg, Drogen-König wurde, aus dem Klingelpütz ausbrach und für den selbst der „sicherste Knast Europas“ in Amsterdam nicht sicher genug war. Zwischendurch begegnet man immer wieder bekannten Namen wie Gastro-Kritiker Jürgen Dollase, der Gründer der Krautrock-Gruppe Wallenstein ist, BAP-Bassist Werner Kopal, Scorpions-Produzent Dieter Dierks sowie Bandnamen wie Grobschnitt, Kraan, Kratoga oder Birth Control.
„Dieses Buch ist kein Almanach, keine Werkschau und kein Musiklexikon“, betont Oberlack. Es sei vielmehr eine Hommage an all die „Verrückten“, die damals im Proberaum die Gründerjahre der deutschen Rockmusik bestritten haben. Oberlack selbst ist der Musik treu geblieben, betreibt ein eigenes Plattenlabel „Bellerophon“ – aber legte dennoch eine bürgerliche Bilderbuchkarriere hin: als Banker.
Rübenrock, Jochen Oberlack, 440 Seiten, 24,90 Euro, Edition Steffan