In unserer Serie „Mein Veedel" begleiten wir Kölner Prominente durch ihre Lieblingsstadtteile.
Heute zeigt die Präsidentin der Kölner Stunksitzung, Biggi Wanninger, ihre Lieblingsorte in Raderthal, wo sie seit mehr als 20 Jahren lebt.
Und sie verrät dabei auch, wie sich ihre Zukunft im 23-köpfigen Stunksitzungsteam vorstellt.
Köln-Raderthal – „Das würde passen“ wusste Biggi Wanninger von dem Augenblick an, als sie vor zwei Jahrzehnten ihre Freunde besuchte, die gerade nach Raderthal gezogen waren. Ein Veedel, das nicht ausgewiesen schön – oder um es mit Wanningers Worten charmanter auszudrücken „so herrlich wenig hochglanzpoliert“ – ist. Das die Präsidentin der Stunksitzung aber wegen seiner vielfältigen Anwohnerschaft und der Tatsache überzeugte, dass hier „Unterschiedlichstes nebeneinander existiert und toleriert wird“. Ein bunter Stadtteil also, passend zu Wanningers Faible für Farben und Lacke, der ihr mit Beginn der Pandemie geholfen hat, sich in der zwangsweise freien Zeit zu beschäftigen. „Ich habe alles abgeschliffen und neu lackiert, was nicht bei fünf auf dem Sperrmüll war“.
Nur nicht im Gesicht und auf dem Kopf. Biggi Wanninger, 66, steht ungeschminkt („In Alicia Keys-Manier“) und mit angegrauter Lockenpracht („Ich hatte keine Lust mehr auf Tönen, ich nenne es Corona-Grau“) vor einem ihrer übrig gebliebenen Lieblingsorte des Viertels, die Happy Happi-Imbissbude an der Ecke Markus-/Schultze-Delitzsch-Straße.
Raderthal hat kaum noch Geschäfte und Treffpunkte
„Es ist inzwischen leider einer unserer wenigen Anlaufpunkte – um sich schnell was zu essen zu besorgen und ein Schwätzchen zu halten. Nebenbei ist das auch die Hofburg des kleinsten Karnevalsumzugs der Stadt“, sagt Wanninger und zeigt nach rechts, ans andere Ende der pittoresken und zum Gros denkmalgeschützten Schultze-Delitzsch-Straße. Dorthin, wo früher einmal in der Hausnummer 108 das Räderscheidt beheimatet war. Hundert Jahre lang, über vier Generationen hinweg, war die Gaststätte das soziale Herz Raderthals – und der Händler, die morgens um 4 Uhr aus der Umgebung zum Großmarkt fuhren, und sich auf dem Weg bei Räderscheidts ein Kölsch oder Korn zu genehmigen.
Biggi Wanninger (21.Mai 1955) ist Ensemblemitglied der Stunksitzung, führte Co-Regie und stand als Schauspielerin auf der Bühne, bevor sie 1999 Präsidentin wurde. Sie arbeitet als Hörfunk- und TV-Sprecherin.
Auf der Bühne stand sie zusammen mit Willy Millowitsch und im Comedia-Theater. In TV-Poduktionen war sie in Haupt- und Nebenrollen zu sehen (z.B. Soko Köln, Tatort, Heimat ).
Kabarettprogramme gehören ebenso zu ihrer Arbeit wie Konzerte mit verschiedenen Formationen (u.a. Atlanta Jazzband.) Als Gastsängerin ist sie auf der CD „50 Jahre Bläck Fööss“ zu hören. (Foto: Alexander Roll)
Als die Traditionsgaststätte vor sechs Jahren ihre Türen schloss, waren Wanninger und Freunde stark daran interessiert, die Gaststätte samt Kegelbahn als Nachbarschaftsprojekt weiterzuführen. „Da hätte mal die eine gebacken, der andere gekocht. Die Einrichtung hätte aus aufpolierten Möbeln bestanden, die alle irgendwo in ihren Kellern hatten. Leider hat es von Seiten der Eigentümer nicht geklappt und aus der ehemaligen Kneipe wurde Wohnraum “, sagt Wanninger und deutet ein paar Häuser weiter auf einen weiteren „Nichtort“ des Veedels: Im Untergeschoss eines Wohnhauses gab es dort einmal einen kleinen Tante Emma-Laden. Auch der ist längst Geschichte.
Nah am Grün und in der Ruhe
Ebenso wie die ehemalige Sparkassen-Filiale auf der Markusstraße die, was Wanninger „zu Tode ärgert“, nur noch aus einem Automaten besteht, der auch nicht immer funktioniert. „Außerdem kann ich an dem keine Überweisungen erledigen. Da erfüllt die Sparkasse ihren Versorgungsauftrag eher mangelhaft“, rügt die gelernte Bankkauffrau. Für Bankgeschäfte, wie für so vieles, müssen Raderthalerinnen und -thaler in die benachbarten Veedel fahren. „Fußläufig ist hier fast nichts mehr zu erreichen. Schnell im Supermarkt Vergessenes besorgen? Schwierig! „Dafür haben wir hier auf dem kurzen Stück Markusstraße gleich drei Friseurläden - wobei ich nichts gegen das haarschneidende Gewerbe habe – und, immerhin: einen Pflegedienst und den Markushof mit seinen leckeren Steaks“, sagt Wanninger und kommt auf dem Spaziergang Richtung Englische Siedlung auch wieder auf die anderen Seiten ihres Veedels zu sprechen.
Eben die, die sie vor 21 Jahren dazu bewogen, hierhin zu ziehen. Nah ans Grün, hinein in die Ruhe. Der größte Pluspunkt für Biggi Wanninger ist allerdings die Straße, in der sie lebt, und es sich anfühlt, „wie in einer erweiterten Wohngemeinschaft“: Die Haustüren stehen offen, Kinder spielen auf der Straße, jede hilft jedem und die abendlichen Zusammenkünfte auf der Straße und in den Vorgärten ersetzen den Kneipen-Stammtisch. „Nachdem ich Jahrzehnte an verschiedenen Orten in der Innenstadt gewohnt habe, bin ich wieder da gelandet, wo ich herkomme: In einer Dorfstraße, nur eben in einer Millionenstadt.“
Mit 19 von Balkhausen nach Köln
Biggi Wanninger wächst in Balkhausen bei Kerpen auf, absolviert die Handelsschule und lässt sich bei der Stadtsparkasse zur Bankkauffrau ausbilden. Das Wirtschaftsabitur folgt und die Erkenntnis, „dass die ganzen Modelle, wie die Marktwirtschaft funktionieren soll, nicht meine Baustelle sind.“ Mit 19 Jahren zieht sie nach Köln, entscheidet sich für den zweiten
Bildungsweg und absolviert das Abitur am Köln-Kolleg um anschließend Kunst- und Musikerziehung zu studieren. „Während des Studiums beschränkte ich meinen Studienplan auf die praktischen Seminare und gönnte mir am Theater im Keller noch eine Schauspielausbildung.“
Während Wanninger einige Stationen ihrer beruflichen Laufbahn aufzählt, und sich dabei immer wieder selbst wundert, „was ich schon alles gemacht habe? Ich habe an so vielen Dingen Spaß, habe dabei nie einen Plan verfolgt, wusste aber immer, was ich nicht wollte“, schlendern wir zwischen Militärring und Gürtel an den Gegensätzen Raderthals vorbei, von denen Biggi Wanninger anfangs sprach: An einer viel befahrenen Ein- und Ausfallstraße, kleinen Gassen, einer Kaserne und dem Kunstauktionshaus Van Ham, an viel Asphalt und noch mehr Grün. Immerhin nimmt der äußere Grüngürtel flächenmäßig etwa die Hälfte Raderthals ein.
Biggi Wanningers Vielleicht-Tage
„Vielleicht-Tage“ spielen in Wanningers Alltag seit dem Tod ihres Vaters vor drei Jahren eine wichtige Rolle. „An diesen Tagen“, sagt sie „mache ich vielleicht was oder auch nicht. Kein Druck. In vielleicht steckt ja auch das Wort leicht“. An manchen dieser Vielleicht-Tage erkundet Wanninger die Umgebung zu Fuß oder mit dem Rad. Ihre zwei Lieblingsstrecken führen durch die Englische Siedlung bis zum Kalscheurer Weiher, via Vorgebirgspark zurück – und am Rhein entlang nach Sürth mit der Fähre rüber nach Zündorf, über die Rodenkirchener Autobahnbrücke wieder nach Hause. Vielleicht wäre aber ein Baumarkt-Besuch eine Alternative? Um neue Lacke zu besorgen, mit denen sie ihre Garten-Garnitur nach der Behandlung im ersten Lockdown auffrischen könnte. Oder doch lieber mit dem Nachbarskind eine Limonade trinken?
Fehlender Support für Kunstschaffende
Diese „Vielleicht-Tage“ empfindet Biggi Wanninger als Privileg. Ebenso wie die Tatsache, dass sie im Gegensatz zu vielen anderen, die in ihrer Branche arbeiten, finanziell ganz gut durch diese Krise kommt. „Viele Künstlerinnen und Künstler und andere in der Veranstaltungsbranche Arbeitende sind durch das Raster der Hilfs- und Fördermaßnahmen gefallen. Die sind ja ein einziger Flickenteppich. Kunstschaffende in anderen europäischen Ländern haben durchgehend ein monatliches Entgelt bekommen – quasi ein Kurzarbeitergeld. Das hätte ich mir hier auch gewünscht“, sagt Wanninger, „das wäre doch mal eine angemessene Wertschätzung gewesen.“
Lieblingsorte
Happy Happi, Griechischer Imbiss, Schulze-Delitzsch-Straße 1, 50968 Köln, Mo bis Fr 11-22 Uhr, Sa 12-22 Uhr, So 13-22 Uhrwww.facebook.com/Gyrosmeister
Markushof, Markusstraße 46, 50968 Köln, Di bis Fr, 12-14/17-20 Uhr, Sa, 17-20 Uhr, So 12-20 Uhrwww.facebook.com/MarkushofKoeln
Englische Siedlung (eigentlich Siedlung Volkspark) ist zwischen 1949 und 1951 erbaut und steht unter Denkmalschutz; sie ist umgeben vom Fritz-Encke-Volkspark und wird im Westen von der Brühler Straße und im Norden von der Urfelder Straße begrenzt.
Eine Sache, die Biggi Wanninger schon seit jeher zelebriert, nicht nur an „Vielleicht-Tagen“, ist den Herbst mit Kastaniensammeln in der Englischen Siedlung einzuläuten. Sie mag die spezielle, abgeschiedene Atmosphäre, die dort herrscht, die funktionale Architektur, umgeben von Fritz Enckes Parkanlagen.
Wanningers Zukunft bei der Kölner Stunksitzung
Bleibt der Rückweg in die Markusstraße – und die Frage nach Wanningers Zukunft im 23-köpfigen Stunksitzungsteam. Mit 66 Jahren, hört da das jecke Leben auf? „Das entscheide ich von Jahr zu Jahr, aber ich habe in dieser, doch sehr verrückten Zeit, geübt, wie ein Leben ohne Bühne aussehen könnte. Und, ich muss gestehen, ich habe keine Angst mehr davor, in ein komplettes Loch zu fallen“, sagt Wanninger – und verspricht: „Aber wir gehen bald alle wieder gemeinsam auf die Bühne.“ Wie oft, das bleibt ungewiss. Außerdem gebe es da neben der Bühne noch viele andere Einsatzmöglichkeiten. Als Co-Regisseurin, Merchandising-Stand-Betreuerin oder Karten-Abreißerin. „Da würde ich auch Spaß dran haben.“