Erster und einziger in der Stadt32-jähriger Bäckermeister will Brot-Sommelier werden
Sürth – Morgens wabern verlockende Düfte herüber in den kleinen Laden. Es riecht nach frischem Brot. Die Tür zur Backstube steht offen – dort werkelt Jürgen Pistono mit seinen Mitarbeitern und Azubis, auch seine Frau Larissa hilft mit. „Schönen Feierabend“ sagt ein Bäcker. Es ist halb elf Uhr am Vormittag. „Wir fangen um halb drei Uhr an“, sagt Pistono. Die Nachtarbeit ist das Schicksal des Bäckers. Allerdings macht sich der 32-jährige Chef in jüngster Zeit rar in der Backstube, „obwohl mir das Backen unglaublich viel Spaß macht.“
Ausbildung zum Brot-Sommelier
Pistono hat schlichtweg keine Zeit. Da ist die neue Bäckerei samt Café, die er im März in Rodenkirchen in den Räumen der früheren Vollkornbäckerei Merscher eröffnen will. Und da ist vor allem das andere Projekt, das Pistono fordert: Er hat sich wieder auf die Schulbank gesetzt und büffelt, um Brot-Sommelier zu werden. 124 solcher Expertinnen und Experten gibt es in Deutschland, in NRW ungefähr 20. Und in Köln? Nach der bestandenen Prüfung wird Pistono der erste und einzige sein, das bestätigt auch Alexandra Dienst, Geschäftsführerin der Bäcker-Innung Köln/Rhein-Erft-Kreis.
Seit Mai 2020 lernt Jürgen Pistono an der „Akademie Deutsches Bäckerhandwerk“, die seit 2015 im baden-württembergischen Weinheim Brotsommeliers ausbildet. 7500 Euro lässt er sich die einjährige, anspruchsvolle Ausbildung kosten, die mit einer staatlich anerkannten Prüfung bei der Handwerkskammer abgeschlossen wird.
Brot erlebt Renaissance
An drei Tagen in der Woche erfahren die Schülerinnen und Schüler von hochkarätigen Referenten aus Wissenschaft und Praxis neueste Kenntnisse rund ums Brot. Es geht um Brothistorie, um Brauchtum, Inhaltsstoffe, regionale Spezialitäten, ums Schmecken und Riechen und um „Bread-Pairings“ – darum nämlich, welche Brotsorte mit welchem Essen und welchem Getränk harmonisiert. Aber es geht auch um aktuelle Marktzahlen.
„Das handgemachte Brot erlebt derzeit eine Renaissance“, betont Pistono. Bäcker berichten von Umsatzsteigerungen und auch privat wird derzeit viel Brot gebacken. Dennoch hapere es mit der Anerkennung für das gesunde und handgemachte Lebensmittel. „Bei 3,80 Euro für den Kraftprotz dürfte eigentlich keiner meckern“, sagt er und meint damit sein 500 Gramm-Dinkelbrot mit 40 Prozent Dinkelflockenanteil.
Alien-Brot mit grüner Kruste
Die Ausbildung will Jürgen Pistono dazu nutzen, die Wertigkeit von handgemachtem Bäckerbrot zu steigern, die Laibe besser zu vermarkten. Griffige Namen will er sich zum Beispiel ausdenken für die unterschiedlichen Brote und natürlich neue Kreationen. „Ideen habe ich genug“, sagt er. Und einige hat er auch schon umgesetzt. Für das „Alien-Brot“ verwendet er zum Beispiel Kürbispresskuchen, der die Krume grünlich färbt.
Das passt zum „Außerirdischen“, meint er. Das Alien-Schablonenmuster auf der Kruste unterstütze optisch die gruselige Anmutung. Seine Begeisterung für das ursprünglichste aller Grundnahrungsmittel kann der Brot-Experte kaum verbergen. Das knackend-knisternde Geräusch beim Schneiden der Kruste, der Geruch, der Geschmack von erdig bis karamellig – all das fasziniert ihn.
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Pistono schwärmt vom Dinkelbrot, das in der Kühlkammer lange reift, dann aufgearbeitet und erst am dritten Tag gebacken wird. Oder von seinem „Rheinbogen Gourmet-Brot“ mit der haselnussbraunen Kruste, der wattigen Krume und dem mild säuerlichen Geschmack. „Dieses Brot steht für Lebensfreude, ist ein Allrounder, passt zu Käse und Wein, aber auch zur Marmelade beim Frühstück“, erzählt er und rückt gleichzeitig ein Vorurteil zurecht: „Brot allein macht nicht dick, sondern höchstens das, was oben drauf gepackt wird.“
Familienunternehmen, gegründet in Koblenz
Die Bäckerei Pistono ist ein Familienunternehmen, das Vater Thomas zunächst in Koblenz gegründet und dann ab 1993 in Sürth geführt hat. Nach einem Schülerpraktikum war für Sohn Jürgen schon bald klar, dass er auch Bäcker werden will. Als 20-Jähriger hat er die Prüfung zum Bäckermeister und Konditor abgelegt, kurz danach übernahm er im Jahr 2010 die elterliche Bäckerei. Zwanzig Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und Auszubildende sind heute in Voll- und Teilzeit angestellt, die Hälfte in der Backstube. Rund 300 Produkte hat er insgesamt im Angebot, freilich nicht alle gleichzeitig. Den Pflaumenkuchen zum Beispiel gibt es nur im Herbst.
Ein Drittel seines Geschäfts macht der Lieferservice aus. Sein Brot geht an zwei Hotels in Rodenkirchen, an den Campingplatz Berger und eine Wesselinger Bäckerei, die er voraussichtlich ebenfalls übernehmen will. Seine Frau Larissa (28) hat Jürgen Pistono im Jahr 2013 geheiratet. Sie hat sich von der Bäckereiverkäuferin zur Verkaufsleiterin und Konditorin fortgebildet und ist ihm eine große Stütze. Sohn Vincent ist knapp zwei Jahre alt. Gut möglich, dass er die Familientradition weiterführt. In der Backstube fühlt er sich jedenfalls pudelwohl. Und Brot und Brötchen schmecken ihm, am liebsten isst er die ganz frischen, wenn sie noch wohlig warm sind.