Andrea Radermacher zog vor zehn Jahren in die damals günstige Wohnung in Köln-Immendorf. Eine Warmmiete von 666,80 Euro kann sie nicht nachvollziehen.
„Eine Frechheit“Kölner Mieterin ist sauer über Mieterhöhung in GAG-Siedlung
Andrea Radermacher ist stinksauer. Mit strammen Schritten geht sie mit Hund Whisky entlang der Storm-, Wiechert- und Rilkestraße in Immendorf. Die grauen Häuser mit den angrenzenden Garagenhöfen versprühen den Charme einer heruntergekommenen Arbeitersiedlung. Man hört die Autobahn rauschen, die Objekte liegen nahe dem Betriebsgelände der Firma Shell, für deren Mitarbeiter diese Häuser 1960 gebaut wurden. Ende der 1970er Jahre übernahm die GAG Immobilien AG den Wohnkomplex. Radermacher zog vor zehn Jahren hier ein, als ihre Kinder auszogen und sie sich eine kleinere, günstigere Wohnung suchen musste – und das damals mit einem großen Hund.
„Das war gar nicht so einfach. Fast nirgendwo wird ein Hund toleriert, der mehr als 20 Kilo wiegt und größer als 40 Zentimeter ist. Er war ein Grund, warum ich hier gelandet bin.“ Nachdem vor zwei Monaten die Nebenkosten um 41 Euro angehoben wurden, was die 59-Jährige in der derzeitigen Situation noch völlig in Ordnung findet, bekam sie jetzt eine Mieterhöhung für ihre 59 Quadratmeter große Wohnung. 95 der 110 Mietparteien bekamen eine Mietanpassung. Fast einen Euro soll sie nun monatlich pro Quadratmeter mehr bezahlen. Eine Erhöhung von 408,10 Euro auf 462,60 Nettokaltmiete. Damit kostet ihre Wohnung ab ersten Januar des nächsten Jahres 666,80 warm. „Eine Frechheit“, findet Radermacher.
Kölner Mietspiegel gibt als Oberwert 7,90 Euro für die 1960er Bauklasse an
Die 59-Jährige bezieht eine Erwerbsminderungsrente von monatlich 1050 Euro. 6300 Euro verdient sie sich pro Jahr als Kleinstunternehmerin dazu, indem sie Senioren betreut und Besorgungen übernimmt. Zum Leben bleibt kaum etwas übrig. Was sie an dem Schreiben besonders ärgert, ist nicht der zugrundeliegende Mietspiegel, mit dem die GAG die Erhöhung begründet, sondern deren Einschätzung, dass die Wohnanlage einer „mittleren Wohnlage“ entspräche. Der Kölner Mietspiegel gibt bei einer Bauklasse von 1960 dazu als unteren Wert eine Miete von 6,90 Euro und einen Oberwert von 7,90 Euro an.
In Immendorf soll die Miete nun 7,90 Euro kosten. „Die Wohnlage ist unterste Schublade. Hier gibt es weder einen Supermarkt noch eine gute öffentliche Anbindung, das ist keine mittlere Wohnlage“, sagt Radermacher, die ihr Viertel als einfache Wohnlage ansieht. Sie zeigt auf die Häuserzeile: Es zeigen sich vielerorts Risse in den Fassaden, die notdürftig geflickt wurden. Die weißen Nähte wirken so unnatürlich, als würde damit das Haus zusammengehalten. Die Balkone sind marode, der Putz bröckelt. An den Fenstern sammelt sich Feuchtigkeit. Neue Fenster wurden in die alten Holzrahmen gesetzt.
GAG bestreitet „einfache Wohnlage“ des Kölner Viertels
„Da zieht es durch, eine Dämmung gibt es nicht. Ich habe hier mit Schimmel zu kämpfen, denn die Häuser sind null isoliert. Im Sommer ist es brütend heiß, im Winter eiskalt, weil ich dann eher den Dachboden über mir heize. Wir haben hier alle nicht viel, aber wir kommen eigentlich klar. Aber das geht zu weit“, sagt sie resolut. Die GAG setzt sich gegen die Vorwürfe zur Wehr. Im Zuge der laufenden Instandhaltung seien in den vergangenen Jahren Fassadenschäden beseitigt und Einzelmodernisierungen von Wohnungen zum Zweck der Neuvermietung durchgeführt worden.
„Die Gebäude haben eine dem Gebäudealter entsprechende Grundbausubstanz, es sind Altbauten, in denen Mieter seit teilweise über 60 Jahren gut, sicher und günstig wohnen“, schreibt Jörg Fleischer, Pressesprecher der GAG. Auch die „einfache Wohnlage“ sieht die GAG nicht und bezieht sich auf die Definition der rheinischen Immobilienbörse. Danach müsste es andauernde Beeinträchtigungen durch Geräusche oder Gerüche geben – und das sei in Immendorf nicht der Fall. „Seitdem ich hier wohne, ist bei mir im Haus nichts gemacht worden“, hält Radermacher dagegen.
Der feurige Brief der Kölnerin blieb bisher ohne Antwort
Mit einem feurigen Brief hat sie sich beim Aufsichtsratsvorsitzenden der GAG, Mike Homann, Luft gemacht. Geantwortet hat er noch nicht. Überall in den Hauseingängen hat sie Handzettel aufgehängt, auch eine Whatsapp-Gruppe hat sie gegründet. „Stimmt der Mieterhöhung nicht zu“, fleht sie förmlich. Für viele langjährige Mieter wäre ein Wegzug ein Graus. „Was soll ich denn in Zollstock oder woanders?“, ruft eine ältere Dame von ihrem maroden Balkon, die von Beginn an hier mit ihrem Mann wohnt, der früher bei Shell gearbeitet hat. Auch für Radermacher ist der Wegzug keine Option. Vor einem Jahr starb ihr Sohn mit 24 Jahren bei einem Verkehrsunfall.
„Mir fehlt die Kraft. Ich lebe hier in meiner Trauerhöhle“, sagt sie und kann dann doch ihre Tränen nicht zurückhalten. Die Frage, warum ein so ungünstiger Zeitpunkt für eine Mietanpassung gewählt wurde, beantwortet die GAG mit einer Gegenfrage: „Gibt es einen geeigneten Zeitpunkt für Mietanpassungen? Ein späterer Zeitpunkt hätte in der derzeitigen Situation ebenfalls die Formulierung „ausgerechnet“ provoziert“, schreibt die GAG. Stattdessen habe man sich erst jetzt entschlossen, auf die bereits seit Monaten andauernde Kosten-Entwicklung zu reagieren.