So wohnt KölnIm Schlafzimmer gilt Schweigepflicht
Wohngemeinschaften gibt es in Köln wie Sand am Meer, aber in Raderberg gibt es eine ganz besondere. In dieser wohnt Schwester Emmanuela gemeinsam mit 31 Mitschwestern. „Ich lebe unter einem Dach mit vier Generationen, die jüngste Mitbewohnerin ist 22, die Älteste 90 Jahre alt. Wir sind eine Großfamilie und wenn sich jemand einmal entschieden hat, bei uns einzuziehen und die Hausordnung bedingungslos zu akzeptieren, dann bleiben wir ein ganzes Leben lang zusammen.“
Seit über 40 Jahren im Kloster
Das gilt auch für Schwester Emmanuela – sie scheint WG-tauglich zu sein, seit über 40 Jahren wohnt sie in einem imposanten Klinkerbau hinter hohen Mauern, im Kloster der Benediktinerinnen an der Brühlerstraße. Wer ins Kloster möchte, der muss an der Klosterpforte klingeln, von außen gibt es weder ein Schloss noch eine Klinke. Die Tür lässt sich nur von innen öffnen, denn jenseits der Tür beginnt die Klausur, das Abgeschlossene. Dieser Bereich ist für Fremde tabu. Hinter der klinkenlosen Tür betritt man unmittelbar den Kreuzgang, das Kernstück aller Klöster.
„Stellen Sie sich unser Kloster wie eine kleine Stadt vor, alle wichtigen Dinge liegen und enden hier am Kreuzgang. Das ist unsere Hauptverkehrsader, hier münden die Seitenstraßen unserer Wohngemeinschaft. Modern, würde ich sagen, leben wir hier in einer Art Biotop, in einer autonomen, separaten Welt, so wie es sich der Heilige Benedikt, unser Gründervater vorgestellt hat“, erzählt Sr. Emmanuela, die seit elf Jahren als Oberin das Raderberger Kloster leitet.
Weidefläche für Kühe auf dem Gelände
Das gesamte Kloster-Gelände ist rund 10.000 Quadratmeter groß. Wie viel Wohnfläche das Kloster selbst bietet, ist unbekannt, denn die Bauunterlagen aus dem 19.Jahrhundert existieren nicht mehr und niemand scheint das nachzuhalten. Das Kloster hat drei Etagen, einen Aufzug und geschätzt 100 Räume, davon 31 Schlafzimmer für die Schwestern und zehn Gästezimmer.
Hinzu kommen Speiseräume, Küche, Wäscherei, Werkstätten, daneben Büros, eine Bibliothek, Konferenzsäle, Beratungszimmer, eine Krankenstation und natürlich die Kirche, das Herzstück der Wohngemeinschaft. Neben dem Klostergarten, in dem die Schwestern Gemüse, Obst und Kräuter anbauen, gibt es hier auch Weideflächen, auf denen im Sommer bis zu sieben Kühe grasen.
Schwestern sind Selbstversorgerinnen
„Für einen Außenstehenden klingt das gigantisch, aber wir sind weitgehend Selbstversorger, unsere Lebenshaltungskosten sind sehr niedrig. Wir beten nicht nur, dazwischen wird auch hart gearbeitet. Wir haben Bienenstöcke, Obstbäume und Gemüsebeete. Die Kühe sorgen für unsere Fleischrationen. Die Schwestern können zupacken, und auch der Traktor oder die Bohrmaschine sind für sie keine Hexenwerkzeuge“, erklärt die Oberin und öffnet die Tür zum gemeinsamen Wohnzimmer.
Der Raum ist riesig, meterhohe Decken, viele Fenster, aber weit und breit keine Sessel, keine Couchgarnituren, keine Stehlampen. In der Mitte stehen im Kreis angeordnet 31 Tische mit 31 Stühlen. Das Wohnzimmer der Benediktinerinnen wirkt klar und nüchtern, eher wie ein Konferenzraum.
Sprechen ist nur im Wohnzimmer gewünscht
„In unserer WG hat das Schweigen einen hohen Stellenwert, wir sprechen weder bei Tisch noch bei der Arbeit, in diesem Raum aber ist Sprechen ausdrücklich erwünscht. Wir treffen uns hier jeden Abend zum Austausch und erzählen über die Erlebnisse des Tages. Je nach Gesprächsbedarf zwischen einer halben und einer Stunde. Das ist enorm viel, denn welche Familie nimmt sich täglich diese Zeit, sich mit allen zusammen auszutauschen?“ Die Teilnahme ist verpflichtend, und es fällt auch schnell auf, wenn ein Platz frei bleibt.
Jede Schwester hat einen festen Platz, die Sitzkissen sind mit einer persönlichen Stickerei verziert. „Das Kissen mit dem Koalabär gehört beispielsweise Sr. Agnes. Das ist einfach eine nette Tradition. So einen festen Spitzplatz mit bestickten Kissen bekommt man allerdings noch nicht als Novizin, sondern erst bei voller Zugehörigkeit zur Ordensgemeinschaft.“
Kein Privateigentum außer einem Sitzkissen
Das persönlich bestickte Sitzkissen ist neben dem jeweiligen Schlafzimmer, der „Zelle“, die jede Nonne hat, auch schon alles, was jede Einzelne – neben der Kleidung - an Privatsphäre und Eigentum genießt. Ansonsten gehört allen alles. Und auch wer als Krankenschwester, Musik- oder Religionslehrerin außerhalb der Klostermauern arbeitet, der muss seinen Lohn zu 100 Prozent in die Gemeinschaftskasse abgeben. Daraus wird alles finanziert, der Strom, die Heizung, Reparaturen, aber auch mal ein Paar neue Schuhe oder die Zahnbürsten. „Da die Schwestern immer dasselbe anziehen, geben wir im Jahr für Kleidung maximal 3000 Euro für die 31 Frauen aus. Jede von uns hat zwei Habite, eine Sommer- und eine Wintergarnitur. Es ist perfekt, da brauche ich mir morgens nie Gedanken zu machen, was ich anziehe, brauche keinen großen Kleiderschrank und auch keinen Spiegel“, erzählt die 61-jährige Oberin, während sie einen privaten Schlafraum der Nonnen zeigt.
Im Dormitorium, dem Zellengang, liegen die Schlafzellen eng nebeneinander. Die Zimmer sind winzig, ein Bett, ein kleiner Kleiderschrank, Tisch, Stuhl und ein Waschtisch mit Schüssel und Kanne sind die Standardeinrichtung. Fließend Wasser in den Zimmern ist schon ein absoluter Luxus. Die Sanitäranlagen liegen auf dem Flur und werden von den Klosterbewohnerinnen gemeinsam genutzt. Diese Zelle ist allerdings nur eine Art Eigentum auf Zeit, ein privater Rückzugsraum, ein Schlaf- und Schweigeraum. Gegenseitige Besuche sind strengstens verboten, niemand darf das Zimmer der anderen, außer im Krankheitsfall, betreten.
Die Benediktinerinnen von Raderberg
Das Kloster der Kölner Benediktinerinnen stammt aus dem Jahre 1895 und gehört zu einer der vollständigsten Klosteranlagen im norddeutschen Raum. Priorin ist Schwester Emmanuela. Als 20-Jährige trat sie in den Orden ein, promovierte in Musikwissenschaften und absolvierte den Masterstudiengang Supervision, Coaching und Beratung in der Arbeitswelt. Während Ihrer elfjährigen Amtszeit als Oberin konnte, das Kölner Kloster personell expandieren. Die Kölner Benediktinerin wurde durch ihre kritische Haltung zu den Vorgängen in der katholischen Kirche über die Grenzen Kölns hinaus bekannt.
Näheres über die Gottesdienste, die Öffnungszeiten des Klosterladens und Wohnen auf Zeit finden Sie hier.
„An diese Regel halten wir uns eisern. Deshalb kann ich in meiner Zelle auch alles offen liegen lassen, und es gibt keine Schlösser oder Schlüssel. Die persönlichen Begegnungen finden in der Kirche, zu den Mahlzeiten, beim abendlichen Zusammentreffen oder bei der Arbeit statt“, sagt die Priorin, die in Musikwissenschaft promoviert hat und öffnet eine schwere Eisentür.
Gästezimmer für Bürgerliche
Der Rundgang durch den Klausurbereich ist beendet. Sofort wird die Umgebung gemütlicher. Wir kommen in den Gästetrakt. Auf den Fluren gibt es Weihnachtsschmuck, in den Gästezimmern Sofas, Waschbecken oder auch Badezimmer, die Wohnzimmer laden zum Verweilen ein. In diesem Klosterflügel treffen sich die Nonnen mit ihren Verwandten oder gönnen sich während ihres Urlaubs, falls sie nicht verreisen, etwas Luxus.
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Hier kann sich jeder, der möchte, einmieten, um zu entschleunigen. Zu einem Leben hinter Klostermauern gehöre eine hohe Bereitschaft, sich auf etwas Neues einzulassen. Nur dann kann eine solche Wohngemeinschaft auch auf Dauer funktionieren betont die Oberin.
Tag beginnt um 6 Uhr mit der Laudes
„Wir haben keine Angst vor Stille und Alleinsein und wir haben eine feste Tagesstruktur, das hilft.“ Insgesamt beten wir gemeinsam vier Stunden über den Tag verteilt. Los geht es um 6 Uhr mit der Laudes, dem Morgengebet, um 7.30 folgt die Eucharistiefeier, dann um 8.15 das gemeinsame Frühstück, um 11.40 die Sext, das Mittagsgebet, um 12 Uhr Mittagessen, um 17 Uhr folgt die Vesper und um 19 Uhr schließlich die Komplet, das Nachtgebet. „Dazwischen arbeiten wir.“
Vielleicht hat gerade diese feste Tagesstruktur die Nonnen-WG während der Pandemie nicht aus der Bahn geworfen, im Gegensatz zu vielen Menschen, deren Leben durch Homeoffice, Lockdown und Quarantäne zu einer täglichen Herausforderung geworden ist. Die Schwestern leben zwar hinter Klostermauern, aber bei Straßenfesten, in der Advents- und Weihnachtszeit sind sie auch gerne Gastgeber für die bürgerliche Nachbarschaft und brechen gerne ihr Schweigen – auch für Tipps, wie ein harmonisches Miteinander in einer WG funktionieren kann.
Mehrgenerationen-Wohnen
„Das Leben mit mehreren Generationen unter einem Dach, das ist für mich eine Bereicherung. Ich finde es so bedauerlich, dass die Alten in unserer Gesellschaft immer mehr an den Rand gedrängt und ausgeschlossen werden. Unsere alten Nonnen sind erstaunlich vital, voll dabei, und sie sind ihr Leben lang mittendrin, wir pflegen sie im Hause, ein Altenheim kommt nicht in Frage. Das Miteinander der jungen Mitbewohnerinnen mit den Alten funktioniert gut. Dieses wäre ein wünschenswertes Wohnmodell für die Zukunft.“