Sie ist im Klösterchen geboren, im Agnes-Viertel aufgewachsen und hatte mit ihrem Mann und ihrem Sohn ein eigenes Haus in Seeberg.
Eines Tages war Sylvia Fugo gezwungen, „ihr Familienleben abzuwickeln”, wie sie sagt.
Seit 16 Jahren lebt sie am Kölnberg. Und hat uns in ihrer 40-Quadratmeter-Wohnung in der zehnten Etage empfangen.
Meschenich – „Es ist herrlich hier, ich genieße den Ausblick. Was meinen Sie, wie schön das ist, wenn die Flugzeuge zum Greifen nah vorbeifliegen. Dieses Panorama ist ein Grund nicht wegzuziehen. Auch meine Blumen fühlen sich hier sehr wohl“, schwärmt Sylvia Fuso, die seit 16 Jahren auf dem Kölnberg wohnt, einer Hochhaussiedlung im Kölner Süden, die seit Jahren ein Synonym für Verbrechen, Gewalt und Perspektivlosigkeit ist.
Die Adresse hat einen Makel, das bekommt Fuso häufig zu spüren. Egal ob auf dem Amt oder beim Taxifahrer, selbst Freunde seien erstaunt, wenn sie erfahren, wo sie wohnt, könnten es nicht begreifen.
„Ich sage es Ihnen ganz ehrlich, es sind Menschen, die noch nie hier gewesen sind und niemanden vom Kölnberg persönlich kennen. Wir sind fast 4000 Menschen, der Anteil von Prostituierten und Drogendealern liegt bei maximal 100 Leuten. Dann gibt es noch den anderen Teil, der ein wenig asi ist. Da vorne am Kiosk sitzen sie herum und haben nichts zu tun. Menschen, die im Leben keine Chance bekommen haben“, sagt Fuso, macht eine kurze Pause und erzählt weiter von den Menschen, die in ihrer Nachbarschaft leben: Asylanten etwa – „die sprechen besser Deutsch als manche Türken, die hier in der dritten Generation wohnen“. Oder Iraner – „die darf man nicht unterschätzen, nicht degradieren, nur weil sie auf dem Kölnberg wohnen.“
Geboren im Klösterchen, aufgewachsen im Agnesviertel
Die 67-Jährige ist Kölnerin, geboren im Severinsklösterchen, aufgewachsen im Agnesviertel, ihr Vater spielte Violine im WDR-Orchester. Mit ihrem Ehemann, einem Italiener, hat sie Anfang der 90er Jahre ein Haus in Blumenberg gebaut. „Wir waren eine glückliche Familie, doch dann kam das böse Erwachen; mein Mann verfiel der Spielsucht, mein Sohn geriet auf die schiefe Bahn. Ich musste alles verkaufen und unser Familienleben quasi abwickeln“, erzählt die gelernte Rechtsanwaltsgehilfin, die auf der Suche nach einer bezahlbaren Wohnung in der ärmsten Gegend Kölns landete.
Auf einer Etage mit fünf Nationen am Kölnberg
Neun Hochhäuser mit bis zu 26 Etagen, ein Schmelztiegel der Nationen, neun von zehn Einwohnern kommen ursprünglich nicht aus Deutschland. Sylvia Fuso schon. Sie wohnt in Haus 3, zehnte Etage, zahlt für 40 Quadratmeter 456 Euro warm, ein Preis, den sie von ihrer kleinen Rente gerade so stemmen kann. Ihr Balkon ist einer der wenigen, der mit Geranien geschmückt ist. „Auf meiner Etage sind zehn Wohnungen, in denen drei Roma-Familien mit mehreren Kindern leben, Kroaten und Türken, Syrer, eine deutsche Familie und ich, insgesamt über 20 Personen. Meine Etage ist sauber und ruhig. Man kann eben nicht, wie oft geschieht, alle Roma über einen Kamm scheren, es gibt solche und solche, wie es auch unter Deutschen Voll-Asis gibt.“
Wer überfällt schon den Nachbarn?
Sylvia Fuso pflegt zwar keinen freundschaftlichen Kontakt zu ihren Nachbarn, aber sie grüßt alle im Aufzug und viele bitten sie auch ab und an um Hilfe in amtlichen Belangen. Noch nie sei sie belästigt worden, auch nicht, wenn sie mal spätabends nach Hause kam. „Ich fühle mich hier sicher, die Mitbewohner lässt man halt in Ruhe. Wer überfällt schon den Nachbarn? Die sich untereinander abstechen und überfallen, das sind die Clans, Auseinandersetzungen in der Drogenszene und so was.“
Spazieren geht Sylvia Fuso aber nicht auf dem Kölnberg, denn „der Zustand der Außenanlage ist eine Katastrophe. Die Grünflächen um die Hochhäuser sind dreckig und voller Rattenlöcher.“ Zwar fielen nicht mehr – wie in den 90er Jahren – die Fernseher und Waschmaschinen aus den Fenstern, aber ständig volle Müllsäcke. Und die bieten beste Nahrung für die Ratten.
Der Wunsch: Mehr Fürsorge von der Stadt Köln
„Ich wünsche mir von der Stadt mehr Kontrolle und Fürsorge. Vor allem sollte man der Verwaltung stärker auf die Finger schauen, an wen hier vermietet wird. In 40-Quadratmeter-Wohnungen ist nicht selten eine Person gemeldet, dann ziehen aber zehn Leute ein, das geht doch nicht. Vor kurzem ist eine Wohnung geräumt worden, 500 Fahrräder waren darin.“
Der Kölnberg, so Fuso, sei ein vergessenes Viertel, für die Kinder gäbe es keine intakten Spielplätze, überall Rattenlöcher. Innerhalb von Meschenich fehle außerdem jegliche Infrastruktur, gerade mal zwei Supermärkte gibt es, eine Apotheke und nur einen Bus, der zwar bis zum Hauptbahnhof fährt, dafür aber rund eine Stunde braucht. Dass hier viel im Argen liege, sei auch von den Behörden selbst verschuldet.
Enttäuscht von der Kölner Polizei
Anrufe bei der Polizei würden nicht ernstgenommen. „Vor kurzen habe ich nachts die 110 gewählt, weil ein Hund über eine Stunde lang ununterbrochen gebellt hat und ich mir Sorgen machte, dass etwas Ernstes passiert ist.
Da sagte mir der Polizist: »Hunde bellen eben, rufen Sie in einer Stunde wieder an.« Ein Unding – und nur, weil ich als Adresse Kölnberg genannt habe. Hätten die Leute aus dem Dorf angerufen, wäre die Streife sofort gekommen“, echauffiert sich Fugo – und redet sich weiter in Rage: Früher, da seien die Polizisten echte Ansprechpartner gewesen, menschlich. Heute aber würden sie oft arrogant auftreten. Die Menschen, sagt sie, hätten nur Respekt vor den Uniformen, aber im Grunde verachteten sie Beamten, keine gute Entwicklung sei das.
Die Stadtoberen, allen voran Frau Reker, sollten sich endlich kümmern und nicht weggucken. „Schauen Sie sich die Ergebnisse der Kommunalwahl an, hier wählen die Leute die AfD. Ich bin entsetzt.“
Panorama-Poster von Köln und Heimweh nach dem Agnes-Viertel
Trotz allem: Sylvia Fuso bleibt dem Kölnberg treu. Auch wenn sie oft Heimweh nach dem Agnesviertel hat. Wohl auch ein Grund, warum an der Wand ihres kleinen Wohnzimmers ein sehr großes Panorama-Poster von Köln hängt. „Ich bin allein, aber nicht einsam. Wenn ich hier oben bin, vergesse ich die Umgebung. Ich schaue direkt in den Himmel und genieße das Panorama“, sagt Fuso und fügt an: „Ich schäme mich nicht. Wenn mich jemand danach beurteilt, wo ich wohne, brauche ich denjenigen in meinem Leben nicht. Auf dem Kölnberg wohnen auch ordentliche Leute. Ich war mal oben, dann ganz unten und habe mich aus der Tiefe hochgearbeitet.“