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Kugeln oder Strohsterne?So schmücken Kölner Familien ihre Weihnachtsbäume

Lesezeit 8 Minuten
Dorothea Breuckmann schiebt einen Einkaufswagen mit einer kleinen Tanne im Topf.

Dorothea Breuckmann ist nach dem Tod ihrer Eltern in diesem Jahr an Heiligabend zum ersten Mal allein – mit einem eigenen kleinen Weihnachtsbaum.

Groß oder klein? Lichterkette oder echte Kerzen? Der Weihnachtsbaum soll an Heiligabend Gemütlichkeit bringen, kann aber zum Reizthema werden.

Wer ihn erfunden hat, den geschmückten und erleuchteten Weihnachtsbaum, ist nicht ganz einwandfrei überliefert. Der weltweit in vielen Kulturen verbreitete Brauch, sich zum Jahreswechsel mit Schmuck aus immergrünen Pflanzen ein Sinnbild des ewigen Lebens ins Haus zu holen und böse Geister zu vertreiben, dürfte dabei eine wichtige Rolle gespielt haben. Deutschland, oder zumindest der Norden Europas mit seinen ausgedehnten Nadelbaumwäldern, gilt als Ursprung des Brauches, der sich im 18. und 19. Jahrhundert in der ganzen Welt verbreitete.

Schon bei Johann Wolfgang von Goethe spielte der Weihnachtsbaum im 1774 erschienenen Briefroman „Die Leiden des jungen Werthers“ eine Rolle. Werther besucht kurz vor Weihnachten die von ihm verehrte Lotte und es ist die Rede von „den Zeiten, da einen die unterwartete Öffnung der Türe und die Erscheinung eines aufgeputzten Baums mit Wachslichtern, Zuckerwerk und Äpfeln in paradiesisches Entzückung setzte“. Goethe beschreibt da eine kollektive Kindheitserinnerung, die viele von uns auch heute noch im Herzen tragen.

Aber wie machen es Kölnerinnen und Kölner an diesem Heiligabend im Jahr 2024? Wie schmücken sie ihren Baum? Wann wird er aufgestellt und wie erleuchtet? Mit wem und wie wird das Fest gefeiert?

Wir haben uns beim Weihnachtsbaumverkauf im Gartencenter der Familie Müller in Weiden umgehört. Das Unternehmen gibt es seit 79 Jahren, Otto Müller hat es von seinen Eltern übernommen. Weihnachtsbäume werden hier seit rund 40 Jahren verkauft. Damals sei man noch am Wochenende „mit ein paar Jungs aus dem Betrieb“ selbst in den Wald gefahren und habe in Absprache mit dem Waldbesitzer Rotfichten gefällt und nach Köln transportiert, erzählt Müller: „Da gab es noch nicht die mono-perfekte Tanne, wie sie heute tausendfach da steht.“

Nordmanntannen aus der Eifel und dem Sauerland

Rotfichten duften sehr gut, verlieren aber im Wohnzimmer auch rasant schnell ihre Nadeln. Deshalb wurde bald die Blautanne zum neuen Lieblings-Weihnachtsbaum. Sie bilde schöne Etagen aus und haben stabile Zweige, das sei vor dem Siegeszug der elektrischen Lichterketten gut für das Anbringen echter Kerzen gewesen, sagt Müller. Allerdings hat die Blautanne besonders pieksige Nadeln, was den Spaß beim Schmücken minimiert. Und so hat sich die Nordmanntanne durchgesetzt.

Müller bezieht seine Nordmanntannen für Weihnachten heute aus der Eifel und dem Sauerland. Sie werden geliefert, selbst muss er die Axt längst nicht mehr schwingen. Die Nordmanntannen nadeln wenig, pieksen kaum und haben einen gleichmäßigen Wuchs. Bekommen sie noch einen mit Wasser gefüllten Weihnachtsbaumständer, sind das beste Voraussetzungen für eine stimmungsvolle Zeit im Wohnzimmer. Bleibt nur noch die Entscheidung, was dran soll an die immergrünen Äste.

Dorothea Breuckmann feiert nach dem Tod der Eltern erstmals allein

Dorothea Breuckmann sucht sich ein kleines Bäumchen aus, das noch einen Ballen Erde um die Wurzeln trägt. So hält es länger, aber draußen einpflanzen kann man es nicht mehr, dafür wurden zu viele der Wurzeln gekappt. Für Breuckmann wird Heiligabend in diesem Jahr sehr besonders sein, sie ist zum ersten Mal allein. Sonst reiste sie immer zu ihren Eltern, schmückte mit ihnen einen Baum und feierte das Fest in trauter Runde. Doch beide sind Ende 2023 und in diesem Jahr innerhalb von sechs Monaten gestorben, beide im Alter von 94 Jahren.

Aufgestellt wird der Baum bei Dorothea Breuckmann erst kurz vor Heiligabend. „Auf dem Tischchen, wo er hin soll, steht jetzt noch der Adventskranz. Deshalb mache ich das erst nach dem vierten Advent“, sagt sie. Geschmückt wird mit alten Kugeln, da hat Breuckmann eine Sammelleidenschaft: „Farblich sind sie eher dezent mit viel Silber.“ Dazu kommen Glasanhänger und Strohsterne. Beleuchtet wird der Baum mit einer Lichterkette. Bei echten Kerzen habe sie „ein bisschen Angst“. Bleiben darf der Baum bis in den Januar: „Mein Vater hatte am 7. Januar Geburtstag, da wurde immer nochmal gefeiert und der Baum stand noch. So würde ich das auch handhaben.“

Familie Gieling schmückt immer anders – diesmal mit bunten Kugeln

Die Größe den Weihnachtsbaumes bietet unter Eheleuten oft Zündstoff, das erlebe er beim Baumverkauf immer wieder, erzählt Otto Müller. Bestes Beispiel an diesem Tag: Josef und Ulrike Gieling. Er steuert zielstrebig auf ein prächtiges Exemplar zu, das ihn selbst deutlich überragt. Der sei zu groß, sagt seine Frau. Nein, der sei super, sagt er, und hantiert mit einem Zollstock. Schließlich ist eine Verkäuferin bei der Vermessung behilflich: knapp 2,50 Meter. „Ehrlich, so viel? Das ist zu groß“, sagt er. „Sage ich doch“, sagt sie.

Josef und Ulrike Gieling stehen zwischen Weihnachtsbäumen.

Josef Gieling möchte einen großen Baum, Ulrike Gieling favorisiert ein kleineres Exemplar. Geschmückt wird mit bunten Kugeln.

Ein ernsthafter Disput folgt immerhin nicht, die Eheleute Gieling einigen sich bald auf ein kleineres Exemplar. Geschmückt wird jedes Jahr anders. Mit Musikinstrumenten, mit Holzanhängern, mit Zitronenscheiben, Filz oder klassischen Kugeln. „Wir wissen es noch nicht“, sagt er. „Wir machen dieses Jahr einen bunten Kugelbaum“, sagt sie. Für den fünfjährigen Enkel. Damit wäre auch das entschieden. Beleuchtet wird elektrisch und mit echten Kerzen. An Heiligabend gehen dann erst alle in St. Georg in die Messe, Josef Gieling spielt dort die Orgel. Zuhause wird im Untergeschoss auch noch musiziert und gesungen, bis das Glöckchen des Christkinds erklingt. Besonders der Enkel wartet immer angestrengt darauf und flitzt dann als erstes nach oben zum Baum.

Für die Vogts tun es auch Tannengrün und ein Weihnachtsstern

Einen Weihnachtsbaum aufstellen und schmücken? Das ist für die Renate Vogt (88) und ihren Mann Willi (90) nicht mehr vorstellbar. „Das ist uns zu lästig geworden, das muss auch nicht sein“, sagt sie. Deshalb besorgt sie einige Tage vor Weihnachten nur ein paar Zweige Tannengrün und einen in schönem Rot leuchtenden Weihnachtsstern. „Früher waren wir immer in unserem Domizil auf Mallorca“, erzählt Renate Vogt. „Aber wir sind zu alt geworden, jetzt bleiben wir zu Hause.“

Renate Gieling hat einen Einkaufskorb in der Hand, darin Tannengrün und ein roter Weihnachtsstern.

Renate Vogt ist 88 Jahre alt, ihr Mann Willi ist 90. Einen Weihnachtsbaum zu besorgen und zu schmücken, ist ihnen im Alter „zu lästig“ geworden.

An Heiligabend und am ersten Weihnachtstag wird bei der Tochter gefeiert, dann geht es nach Hause. „Da sind wir alleine, ich backe einen Kuchen, und dann ist es das“, erzählt Vogt. Sie hat es eilig: „Ich muss mich auf die Socken machen. Mein Mann wartet auf mich.“

Vater und Tochter suchen den Baum aus und überraschen die Mutter

Martin Reiff-Lennartz und seine erwachsene Tochter Edith sind früh dran in diesem Jahr, sechs Tage vor Weihnachten ziehen sie normalerweise noch nicht los, um einen Weihnachtsbaum zu kaufen. Aber sie gehen immer zusammen, und immer ohne die Mutter, die mit dem jeweiligen Exemplar überrascht wird. Vater und Tochter sind sich schnell einig, ein recht großer, dicht gewachsener Baum darf mit zu ihnen nach Hause. „Uns ist immer wichtig, dass möglichst viel dran passt, dass man viel aufhängen kann“, sagt Edith. Die Größe sei zweitrangig.

Martin und Edith Reiff-Lennartz mit einem dicht gewachsenen Weihnachtsbaum.

Martin und Edith Reiff-Lennartz werden schnell fündig, sie wählen immer einen Baum, an dem sie viel aufhängen können.

Geschmückt wird der Baum erst an Heiligabend selbst, zumindest war das in Ediths Kindheit so. Ob sie das jetzt noch immer so handhaben, scheint nicht ganz sicher. Auf jeden Fall darf der Baum länger bleiben als nur bis zum 6. Januar. „Oft steht der im Februar noch“, sagt Edith. Behängt wird er mit „viel Holz und Stroh“, Kugeln gibt es nur vereinzelt. Ein paar geschenkte Exemplare, von Udo Lindenberg bemalte „Wohltätigkeits-Kugeln“, dürfen dazu. Beleuchtet wird elektrisch. Hoffentlich. „Es kam auch schon vor, dass uns an Heiligabend die Lichterkette kaputtgegangen ist“, erzählt Martin. Also Daumendrücken. Und anders als in vielen anderen Familien wird bei den Reiff-Lennartz' zunächst gemeinsam gekocht und gegessen – erst dann folgt die Bescherung.

Imposanter als der Baum ist die Krippenlandschaft darunter

Die Müllers hatten in diesem Jahr 1500 Weihnachtsbäume in ihrem Gartencenter im Verkauf, eine Woche vor Weihnachten sind nur noch rund 100 übrig. Der eigene ist da zu Hause in der Eifel längst aufgestellt, er steht auf der Terrasse, von drinnen durch eine große Fensterfront gut zu bestaunen. Viel imposanter als der Baum ist allerdings die Krippe darunter, eine mit Naturmaterialien kunstvoll gestaltete Szenerie. Inklusive „Zweitwohnsitz für Maria und Joseph“, wie Agnes Müller scherzt. Bei der Wahl des Baumes sei er nicht besonders pingelig, sagt Otto Müller: „Jeder Baum ist schön und es macht ja enorm viel aus, wie er am Ende geschmückt wird.“ Nur groß müsse sein Exemplar sein, mindestens zweieinhalb Meter hoch. „Er soll schon was darstellen.“

Familie Müller verkauft seit 40 Jahren Weihnachtsbäume: Otto (r.) und und seine Frau Agnes (2. v. l.) mit den Söhnen Sebastian (l.) und Janek (2. v. r.) und Sebastians Freundin Elena (3. v. l.).

Familie Müller verkauft seit 40 Jahren Weihnachtsbäume: Otto (r.) und und seine Frau Agnes (2. v. l.) mit den Söhnen Sebastian (l.) und Janek (2. v. r.) und Sebastians Freundin Elena (3. v. l.).

Beim Baumschmuck favorisiert Müller Rot: rote Kugeln, rote Materialien. An weiße Weihnachtsbäume mit pinken Kugeln könne er sich nicht gewöhnen. Die gibt es im Laden, aber nicht bei ihm zu Hause. „Ich bin da ein bisschen konservativ.“ Dafür komme das Kind in ihm hervor, wenn er an der Krippe bastelt. „Da geht die Fantasie auch mal mit mir durch.“ Beleuchtet wird der Baum der Familie mit einer Lichterkette, echte Kerzen funktionieren draußen im Wind nicht. Aber auch für drinnen empfiehlt Müller, auf Kerzen zu verzichten: „Wenn so ein Baum nach zwei Wochen in der Wohnung trocken ist und dann Feuer fängt, dann hat man keine Chance, das macht Whuff und der explodiert.“

An Heiligabend haben die Müllers erst noch ihr Geschäft geöffnet, dann wird nicht nur mit den beiden Söhnen Sebastian und Janek gefeiert, sondern mit möglichst vielen Verwandten. Die Bescherung wird gestreckt, zwischendurch gibt es Kaffee und Kuchen und mehrere Gänge des Festmahls. Müller betont: „Wir ziehen das Fest über mehrere Stunden.“