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„Schwer, nicht bei der Familie zu sein“Weihnachten im Gefängnis – Wie Seelsorge in der JVA Köln funktioniert

Lesezeit 4 Minuten
Dorothee Wortelkamp-M'Baye sitzt auf einer Treppenstufe vor dem Altar der Gefängniskirche.

Dorothee Wortelkamp-M'Baye habe keine Angst im Gefängnis, leicht sei die Arbeit als Seelsorgerin aber nicht.

Dorothee Wortelkamp-M'Baye arbeitet als Gefängnisseelsorgerin. Sie erzählt, warum die Inhaftierten ihr vertrauen und wie Weihnachten im Gefängnis funktioniert.

Weihnachten ist eine Zeit der Besinnung – auch in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Köln. „Es ist eine besondere Zeit hier“, sagt Dorothee Wortelkamp-M'Baye, die seit 2007 als katholische Pastoralreferentin in der JVA Köln als Gefängnisseelsorgerin tätig ist.

Die 61-Jährige hat bereits 17 Adventszeiten hinter Gittern erlebt und kennt die gemischten Gefühle der Inhaftierten: „Für manche ist es schwer, nicht bei der Familie zu sein. Andere wiederum erleben hier das schönste Weihnachtsfest ihres Lebens. Eine Inhaftierte sagte einmal, es sei das schönste Weihnachtsfest, das sie je hatte.“ Nicht jeder, der einsitzt, feiert sonst Weihnachten mit einem Dach über dem Kopf.

Festliche Stimmung trotz harter Regeln in der JVA

Die katholischen und evangelischen Seelsorger der JVA versuchen, eine festliche Atmosphäre zu schaffen. Neben Weihnachtsgottesdiensten gibt es für bedürftige Gefangene Geschenktüten mit Gebäck, Tee, Kaffee und manchmal auch Tabak. Päckchen von außen sind verboten, um Drogenschmuggel zu verhindern.

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Ein geschmückter Weihnachtsbaum steht im Zellengang.

Sorgen für ein bisschen festliche Stimmung: die Nordmanntannen in den Gängen.

Vom ersten Advent bis zum 7. Januar dürfen die Inhaftierten Kerzen in ihren Zellen anzünden. Vereinzelt wird mit Insassen Weihnachtsdeko gebastelt und in allen Hafthäusern werden Weihnachtsbäume geschmückt. Trotz der weihnachtlichen Grün-, Rot- und Goldtöne bleibt der Ort ein Gefängnis.

„Die Farbwahl hier an vielen Wänden – überwiegend beige und grau – kann die Inhaftierten herunterziehen“, sagt Wortelkamp-M'Baye. Sie selbst versuche Farbe und Wärme in den Alltag der Gefangenen zu bringen: „Ich bin ein positiver Mensch, immer freundlich und mit einem offenen Ohr für alle – auch für die Bediensteten.“

Gebastelte Weihnachtsdeko an der Wand.

Die gebastelte Weihnachtsdekoration heben die Bediensteten oft für das nächste Jahr auf.

Die Seelsorge sei für viele Inhaftierte ein wichtiger Halt, mit Wortelkamp-M'Baye können sie vertraulich sprechen. „Alles, was mir aus dem Kernbereich der Persönlichkeit anvertraut wird, bleibt geheim – das ist durch das Seelsorgegeheimnis, abgeleitet vom Beichtgeheimnis, und die Strafprozessordnung abgesichert.“

Dazu zählen auch Einzelheiten zu den Straftaten. Für Wortelkamp-M'Baye ist klar: „Strafverfolgung ist nicht meine Aufgabe, dafür sind Gerichte zuständig. Ich weiß von Dingen, die nie bekannt geworden sind. Umgekehrt kenne ich Menschen, über die, meiner Meinung nach, ein Fehlurteil gesprochen wurde.“

Menschen, die in der Seelsorge arbeiten, würden immer wieder mal am Rechtsstaat zweifeln, denn bei Gericht komme nicht immer die Wahrheit heraus, so die Gefängnisseelsorgerin. „Wir sagen dann betroffenen Inhaftierten oft, dass es absolute Wahrheit und Gerechtigkeit nur bei Gott gäbe. Opfern von Straftaten muss man das auch manchmal sagen.“

Ein Schreibtisch mit vielen Büchern.

Das Büro von Seelsorgerin Dorothee Wortelkamp-M'Baye ist bunt. Damit möchte sie etwas Farbe in den Alltag bringen. Am liebsten mag sie blau.

Die Gespräche drehen sich oft um Schuld und Vergebung. „Viele kommen mit ihren Taten nicht klar und zerbrechen daran. Manche erwarten gar nicht, dass ihnen jemals vergeben wird. Ich versuche ihnen zu vermitteln, dass Gott ihnen vergeben kann“, erklärt die Seelsorgerin. Dabei interessiere sie nicht zuerst, was die Menschen getan haben, sondern der einzelne Mensch stehe bei ihr im Mittelpunkt: „Ich urteile nicht. Ich will, dass sie sich weiterentwickeln können.“

Es fehlt an Personal

Neben Einzelgesprächen organisiert sie Wortgottesdienste und bietet Gruppenangebote wie eine LGBTQI+-Gruppe an. Manchmal erfüllt sie aber auch karitative Aufgaben wie einen Zuschuss für eine Zahnbehandlung, den sie aus dem Etat des Erzbistums Köln zahlt. „Wenn es im Supermarkt Lesebrillen im Sonderangebot gibt, dann schlagen wir zu. Im Strafvollzug gibt es immer Menschen, denen eine solche Brille fehlt.“

Ein reichlich geschmückter Weihnachtsbaum.

Die Werkstatt ist weihnachtlich geschmückt. Hier können Inhaftierte töpfern, malen und stricken.

Allerdings ist ihre Arbeit durch Personalmangel oft auf Notfälle begrenzt: „Wir haben viel zu wenige Ressourcen. Es ist häufig nur Notfallseelsorge.“ Gut 800 Menschen sind in der JVA Köln inhaftiert. Anderthalb Stellen sind von katholischer Seite besetzt, eine volle Stelle und zwei halbe Stellen von evangelischer.

Die Kirche im Gefängnis ist weihnachtlich geschmückt.

In der Kirche sind die Decken höher als im Rest der JVA. Sonnenstrahlen kommen im Sommer durch die bunten Fenster.

Eine neue Herausforderung

Bevor sie ins Gefängnis gekommen ist, hat sie zehn Jahre in einer katholischen Gemeinde in Köln-Rodenkirchen gearbeitet. Als sie nach Umstrukturierungen die Jugendarbeit abgeben musste, sei ihr klar gewesen, dass sie eine neue Herausforderung braucht. Routine sei nichts für sie.

Bestärkt habe sie beim Wechsel in die Gefängnisseelsorge ihre vorherige Arbeit in der Notfallseelsorge: „Das ist wirklich Seelsorge am Schmerzpunkt. Wenn man Menschen eine Todesnachricht überbringen muss, dann trifft man auf Lebensschicksale, die gravierend sind. Da habe ich festgestellt, dass ich gut mit Extremsituationen klarkomme.“

Ein langer Gang mit Zellen. Die Wände sind gelb und beige.

Mit Kunstwerken an der Wand wurde versucht die trübe Stimmung in den Gängen aufzuwerten.

Extreme Situationen und schwere Schicksale gebe es genug im Gefängnis: „Aber ich darf mich nicht darin verlieren, sonst wäre ich irgendwann nicht mehr arbeitsfähig.“ Gewalt gibt es im Gefängnis und Wut oder Verzweiflung erlebt sie regelmäßig, doch Angst habe sie keine. „Wer Angst hat, kann hier nicht arbeiten.“ Ein Personennotrufgerät trägt sie immer bei sich – gebraucht habe sie es noch nie.

Die inhaftierten Männer und Frauen können mit ihr weinen, verzweifeln oder mit ihr lachen. Eine Grenze würde sie ziehen, wenn sie beleidigt werden würde – oder wenn Sexualstraftäter anfangen würden, ihr zu erzählen, was sie mit Kindern im kleinsten Detail gemacht hätten. Das gehöre vor Gericht und nicht in ihr Büro: „Ich muss auch darauf achten, dass ich damit klarkomme.“

Auch wenn ihre Arbeit oft schwer sei, empfinde sie sie als sinnstiftend. „Ich fühle mich gesandt an diesen Ort. Häufig bin ich genau zur richtigen Zeit an der richtigen Zellentür.“