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„Sounding Situations“Kölns Straßen werden zur Bühne – Passanten lachen, schimpfen und hupen

Lesezeit 3 Minuten
Von St. Aposteln am Neumarkt aus bewegt sich das Musiktheater durch die Kölner Straßen und sucht dabei Orte auf, an denen sich Alltägliches und Politisches begegnen und miteinander verschmelzen.

Von St. Aposteln am Neumarkt aus bewegt sich das Musiktheater durch die Kölner Straßen und sucht Orte auf, an denen sich Alltägliches und Politisches begegnen und miteinander verschmelzen.

Das Kollektiv führt eine mobile Musiktheateraufführung auf, bei der Künstler und Publikum gemeinsam die Stadt erkunden.

Vier Personen in weißen Anzügen laufen durch die engen Straßen Kölns. Eine von ihnen hat eine Trompete in der Hand und kratzt sie über den Boden, eine andere blickt verträumt in den Himmel und spielt das Akkordeon. Hinter ihnen läuft eine Traube Menschen, allesamt mit großen Kopfhörern auf den Ohren und blicken auf die Künstler. Umherstehende Passanten drehen den Kopf. Manche lachen, andere schimpfen und diejenigen, die im Auto vorbeifahren, hupen.

Stück passt sich der Umgebung an

Das Kollektiv „Sounding Situations“ veranstaltete am Dienstag und Mittwoch (14. und 15. Mai) im Rahmen des „Sommerblut-Festivals“ ein mobiles Musiktheater: Künstler und Publikum laufen dabei gemeinsam durch die Stadt und erleben ihre Umwelt musikalisch. Das Stück „Near my ears“ führt von der Basilika St. Aposteln am Neumarkt zum Roncalliplatz.

Der Trompeter Rochus Aust, die Akkordeonspielerin Dorrit Bauerecker, die Sprecherin Milena Kipfmüller und der Künstler Klaus Janek führen gemeinsam ein Stück auf, das sich mit der Umgebung anpasst. Sie lassen den Text der Schriftstellerin Etel Adnan zusammen mit Geräuschen wie Kratzen, Rauschen oder Piepsen mit ihrer Stimme verschmelzen. Die Teilnehmer gehen auf einen einstündigen Spaziergang, bei dem die verschiedenen Töne und Stimmen miteinander vermischt werden.

Interaktion zwischen den Künstlern und der Umwelt

Die Besonderheit des Freilufttheaters sei die Interaktion zwischen den Künstlern und der Umwelt, so Kipfmüller. „Audiowalks sind in der Regel zuvor produziert worden. Wir aber interagieren live mit unserer Umwelt“, sagt die Sprecherin weiter. Ihr Partner Janek fügt hinzu: „Adnans Stück ist ein Versuch, die Ohnmacht zu verarbeiten, die wir spüren, wenn wir mit Krieg in Kontakt kommen, gleichzeitig aber in einem behüteten Umfeld leben.“

Adnan war eine libanesisch-US-amerikanische Künstlerin, die zu Zeiten des Irakkriegs in den USA lebte. Die Ohnmacht, die sie damals spürte, dem Krieg zuzusehen, während es ihr selbst gut geht, könne man laut Kipfmüller auch auf heutige Situationen wie etwa den Ukrainekrieg übertragen. „Adnan hat uns die Aufgabe gegeben, das Leben genießen zu dürfen. Sie will uns also nicht dafür bestrafen, dass wir es gut haben“, sagt Kipfmüller.

Autofahrer reagieren mit Hupen

Die Künstlergruppe „Sounding Situations“ traf sich zwei Jahre vor dem Tod der Schriftstellerin Adnan mit ihr in Paris. Bei diesem Besuch sprach sie den Text für den Audiowalk ein. Rochus Austs Aufgabe ist es, beim Spaziergang diesen Text mit den Tönen seiner Trompete zu verbinden. Als die Gruppe an einer Kreuzung ankommt, geht er über die rote Ampel und steht noch auf der Straße, als die Autos losfahren wollen.

„Das Instrument ist eine Stütze, mit der überfährt dich keiner“, sagt er vor dem Walk in einem Gespräch. Die Autofahrer reagieren mit lautem Hupen, welche Janek direkt in das Stück mit einbaut. Aust erklärt seine Rolle als Künstler in dieser Aufführung so: „Wir müssen auf das, was uns umgibt, reagieren. Wenn wir durch die Stadt als Gruppe laufen, dann sind wir ein eigener Raum, unser eigener Raum im öffentlichen Raum – das ist, auf was wir in unserer Aufführung reagieren wollen.“

Die Reaktionen der Passanten sind gemischt. Die meisten blicken verwirrt und lachen, doch einige schimpfen – und die Gruppe erntet giftige Blicke. „In der Gruppe fühlt man sich wohl. Wenn wir nur fünf Personen gewesen wären, dann hätte ich mich vielleicht unwohl gefühlt. Wir laufen gemeinsam und tauchen in eine andere Welt ab, da sind die Blicke anderer gar nicht relevant“, beschreibt die Teilnehmerin Nora Zimmermann.