Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Nachruf auf Carl-Ludwig CremerKeine Angst vor Dummse Tünn und Schäfers Nas

Lesezeit 4 Minuten

Für Filmaufnahmen mit den Bläck Fööss (r. Bandmitglied Peter Schütten) verkleidete sich Ghandi auch mal als Pfarrer.

Köln – Als Kind war Carl-Ludwig Cremer wegen seines Asthmas ein schmächtiges Kerlchen, weshalb er Ghandi genannt wurde. Wer ihn in den 1960er Jahren kennen lernte, wird sich über diesen Spitznamen gewundert haben. Aus dem schmalen Jungen war ein athletischer Mann geworden, der eine Roth-Händle nach der anderen rauchte, gern feierte und sich spürbar zu wehren wusste, wenn ihm jemand ans Zeug wollte. Vom Asketen Ghandi keine Spur.

Carl-Ludwig Cremer hatte seine große Zeit, als die Unterweltgrößen Dummse Tünn oder Schäfers Nas hießen und Köln wegen seiner enormen Kriminalitätsrate den Beinamen Chicago am Rhein trug. Dort, wo es am brisantesten war, an den Ringen, betrieb Cremer in den 1960er und 1970er Jahren die meisten seiner Lokale: die Diskothek Panoptikum, die Kneipe Omas Schnapshaus und das Café Santa Marlena. Drumherum gingen Zuhälter, Schutzgelderpresser und sonstige windige Gestalten ihren Geschäften nach. „Es war ziemlich gefährlich auf den Ringen, da wurde auch geschossen“, sagt Marlene Cremer, die 1960 ihren Carl-Ludwig geheiratet hatte und später gemeinsam mit ihm die Lokale führte. Ihr Mann habe alles daran gesetzt, seine Etablissements vom Sumpf drumherum fernzuhalten. Ajax und Dr. Bozzi, Ghandis treue Boxerrüden, halfen ihm zuweilen, sich unliebsame Zeitgenossen vom Hals zu halten.

Stammplatz für Peter Scholl-Latour

Begonnen hatte das schillernde Gastronomenleben des Carl-Ludwig Cremer in den 1950er Jahren an der Zülpicher Straße, wo seine Eltern das Kino „Die Lupe“ betrieben. Ghandi und seine Schwester kümmerten sich um das Programm, später, als Carl-Ludwig Cremer die Höhere Handelsschule abgeschlossen hatte, eröffnete er im Kinogebäude das Kintopp-Saloon, eine Jazz-Kneipe im Western-Stil. Es sollte eine Institution werden. Alles, was im Jazz Rang und Namen hatte, trat auf – Oscar Peterson, Ray Brown, das Modern Jazz Quartet, Saxophonist Gerd Dudek und Trompeter Manfred Schoof. Jaki Liebezeit und Holger Czukay, die später mit der Gruppe Can weltberühmt wurden, waren zu Gast und auch Journalist Peter Scholl-Latour hatte seinen Stammplatz. Die Konzerte im Kintopp-Saloon brachten internationales Flair in das vom Krieg noch arg gezeichnete Köln. Und viele Stars waren mit den Cremers befreundet. „Für uns war Jazz das einzig Richtige“, sagt Marlene Cremer, die Ghandi schon kannte, als beide noch Kinder waren und die Zülpicher Straße in Trümmern lag. Die Musik aus Amerika stand für die neue Freiheit nach dem Zweiten Weltkrieg und hatte nichts mit der düsteren Ideologie der Nazis oder dem Mief der jungen Bundesrepublik zu tun. „Wir waren Kriegskinder“, sagt Marlene Cremer: „Wir wollten endlich was erleben.“ Genau wie die jungen Leute, die nun scharenweise die Ringe mit ihren Bars und Diskos bevölkerten.

„Er war ein besonderer Typ, er machte immer nur Blödsinn“, sagt Theo Becker, viele Jahre Stammgast in Cremers Kneipen. Als es galt, das alte Klavier aus dem Kintopp-Saloon zu entsorgen, band Ghandi, ganz Freigeist und Lebemann, es hinter sein Auto und fuhr damit über die Zülpicher Straße. Er bog in die Roonstraße ein, das Instrument allerdings nicht: es machte sich selbstständig und krachte in ein anderes Auto. Langeweile war in diesem Leben ein Tabu.

Nicht jeder war im Party-Imperium willkommen

Später erweiterten Ghandi und seine Frau ihr Reich und boten dem Partyvolk immer mehr Anlaufstellen. Gleichzeitig entfaltete Karl-Ludwig Cremer seine gestalterischen Talente. Als Innenarchitekt richtete er Gaststätten und Diskotheken ein und war Spezialist in Sachen Schallschutz. Abends kümmerte er sich um seine Gaststätten, war Entertainer und Schutzpatron. In seinem Bemühen, seine Lokale von kriminellen Gestalten freizuhalten, konnte Carl-Ludwig Cremer auch die Fäuste sprechen lassen. Nicht jeder war willkommen in seinem Party-Imperium.

Bei dem jungen Mann, der aus dem Café Santa Marlena geworfen wurde, weil sein Erscheinungsbild die Angestellten an einen Zuhälter erinnerte, musste sich Cremer allerdings entschuldigen. Es war Schlagersänger Howard Carpendale, den die Aufforderung, das Lokal zu verlassen, derart auf die Palme brachte, dass Dr. Bozzi bedrohlich zu knurren begann. Anschließend habe sich Carpendale per Anwalt über die Angelegenheit beschwert, erinnern sich Theo Becker und Marlene Cremer mit Genuss. Ghandi habe auf seine Art reagiert: Der Hund, der sonst über gute Menschenkenntnisse verfüge, sei irrtümlicherweise nervös geworden, habe er schriftlich geantwortet. Carpendale habe gehen müssen, um vor dem Tier geschützt zu sein. Als Wiedergutmachung bot Cremer ihm einen Kaffee ohne Milch an.

„Er war ein sehr sportlicher und intelligenter Mensch“, erzählt Marlene Cremer über ihren Mann. Aber er habe auch gerne mal einen über den Durst getrunken. Dass ihm das nicht bekam, habe er erst spät realisiert. Hinzu kamen Anfang der 1970er Jahre finanzielle Probleme: Als herauskam, dass Mitarbeiter des Santa Marlena über Jahre hinweg insgesamt 250 000 D-Mark aus der Kasse gestohlen hatten, das Finanzamt zudem Steuernachzahlungen forderte und auch der Konkurs der Herstatt-Bank ins Kontor schlug, waren die Cremers pleite. Die Kneipen am Ring mussten sie verkaufen, besonders zum Leidwesen von Carl-Ludwig Cremer. „Er trauerte der Zeit nach“, sagt seine Frau. Und er trank zu viel. Erst nach Jahren habe er sich wieder aufgerafft und sich neuen Aufgaben gewidmet. Im November 2014 endete Ghandis „wildbewegtes Leben“ nach langer Krankheit. Er wurde 82 Jahre alt.