Tausende BagatellfälleWie die Kölner Notaufnahmen entlastet werden sollen
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Tausende Bagatellfälle überlasten die Notfallambulanzen und Notdienstpraxen in Köln. Um das zu verhindern und für echte Notfälle genug Kapazitäten zu haben, sollen die Patientenströme künftig gezielt gesteuert werden – mithilfe eines Modellprojekts.
Doch woher wissen Kölner, die akut erkranken, ob sie ein Notfall sind? Und welche Notfallpraxen in den Kölner Stadtteilen sind von den jüngsten Schließungen betroffen – und welche nicht?
Wir haben mit medizinischen Experten gesprochen und beantworten die wichtigsten Fragen zum Thema Kölner Notfallpraxen.
Köln – Bin ich ein medizinischer Notfall?
Die Antwort lautet: Ja, wenn ich das Gefühl habe, ich falle gleich um. Weil ich mich schwer verletzt habe und eventuell stark blute. Unter Atemnot oder heftigen Brust- oder Herzschmerzen leide. Oder plötzlich Seh- und Sprachstörungen, Lähmungserscheinungen, Schwindel und Taubheitsgefühle feststelle. Bei lebensbedrohlichen Verletzungen, dem Verdacht auf Herzinfarkt oder Schlaganfall ist der Fall klar. Sofort die Notaufnahme eines Krankenhauses aufsuchen oder über die Telefon 112 den Rettungsdienst der Feuerwehr anrufen. Und ansonsten?
Bei allen anderen, nicht lebensbedrohlichen Beschwerden wie Husten, Schnupfen, Fieber oder Bauchschmerzen sind die Patienten beim Hausarzt oder beim ärztlichen Bereitschaftsdienst an der richtigen Adresse.
Der ärztliche Notdienst ist seit Anfang des Jahres in Köln rund um die Uhr über die Arztrufzentrale unter Telefon 116 117 zu erreichen. Anlaufstelle sind die ambulanten Notfallpraxen. Davon gibt es in Köln viele.
Zum Vergleich: Düsseldorf hat eine, Berlin zwei, München drei, Köln hat acht ambulante Notfallpraxen. „In keiner anderen Stadt in Deutschland, ja sogar in Europa, gibt es eine derartige Dichte“, sagt Jürgen Zastrow, Vorsitzender der Kreisstelle Köln der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KVNO) und niedergelassener Facharzt für Hals-, Nasen- und Ohrenerkrankungen. Der Bereitschaftsdienst wird über die KV organisiert. Die niedergelassenen Ärzte sind zum Notdienst verpflichtet.
Rechnet man die drei für kinderärztliche Akutfälle zuständigen Praxen dazu, erhöht sich die Zahl auf elf. Bis Ende 2018 waren es sogar noch mehr. Da gab es stadtweit 13 Notfallpraxen. Drei Einrichtungen wurden geschlossen: in Weiden sowie am Evangelischen Klinikum Weyertal und am Krankenhaus der Augustinnerinnen, dem Severinsklösterchen. Dafür ist die Praxis auf dem Campus der Uniklinik neu dazugekommen. Mit Ausnahme der von privaten Vereinen betriebenen Notdienstpraxen in Chorweiler und in Mülheim sind alle Praxen an ein Krankenhaus angeschlossen.
Zuständig für den ärztlichen Bereitschaftsdienst sind die etwa 3230 in Köln niedergelassenen Kassenärzte. Personal, Ausstattung und Miete der Notfallpraxen bezahlen die Ärzte aus ihrem Gesamtbudget, nicht die Krankenkassen. Die übernehmen nur die Behandlungskosten. In den ärztlichen Notdienstpraxen werden pro Jahr etwa 118 000 Notfälle behandelt.
Seit Jahresbeginn liegt Köln nicht nur bei der Zahl der Notfallpraxen an der Spitze. Am 1. Januar wurde ein Modellprojekt der KV Nordrhein und der Leitstelle der Berufsfeuerwehr der Stadt Köln gestartet, bei dem die Rettungsleitstelle (112) und der Notdienst der niedergelassenen Ärzte (116 117) kooperieren. Das bedeutet: Die Arztrufzentrale ist telefonisch rund um die Uhr erreichbar, statt wie zuvor nur abends, nachts und am Wochenende.
Was sich durch die Rufnummer 116117 ändert
Die Zentrale und die Rettungsleitstelle können sich bei Bedarf gegenseitig Anrufer durchstellen und sie dorthin lotsen, wo sie aufgrund ihrer gesundheitlichen Beschwerden am besten aufgehoben sind. Entweder in der ambulanten oder in der stationären Versorgung. Ziel ist die bessere Patientensteuerung im Notdienst, „auch, um den Rettungsdienst von sogenannten Bagatellfällen zu entlasten“, wie es Frank Bergmann, Vorsitzender der KV Nordrhein bei der Vorstellung des Projektes formulierte.
Dies geschieht vor dem Hintergrund, dass der Not- und Rettungsdienst seit Jahren immer häufiger in Anspruch genommen wird. So sei die Zahl der ambulanten Behandlungsfälle im Notdienst im Rheinland seit 2010 um gut 300 000 Fälle auf zuletzt 2,7 Millionen Fälle im Jahr gestiegen. Dieser Anstieg beruhe, so Bergmann, zu einem erheblichen Teil darauf, dass „Patienten, die aus medizinischer Sicht keine akuten Notfälle sind, dennoch die Rettungsleitstellen und Kliniken konsultieren“.
Diese „Fehlentwicklung“ solle gebremst werden. Zastrow fügt hinzu: „40 Prozent aller Kölner Notfälle, die im Krankenhaus betreut werden, kommen tagsüber zu den normalen Öffnungszeiten der Hausarztpraxen. Sie gehören also nicht in die Notaufnahme der Klinik.“ Fortgeschickt würden sie aber nicht, sie müssten behandelt werden. „Und schon sind sie in der Notfallstatistik der Klinik.“
So läuft das Verfahren für die Patienten
Der Kontakt mit der Arztrufzentrale könnte exemplarisch folgendermaßen aussehen: Der Patient fühlt sich nicht wohl, erreicht seinen Hausarzt nicht und ruft die 116 117 an. Nun gibt es drei Pfade, die beschritten werden können.
Erstens: Die Zentrale versucht, den Hausarzt über dessen Mobilfunknummer zu erreichen. Gelingt das nicht, wird der Vertreter oder ein Arzt in einer von 42 Partnerpraxen kontaktiert. „Dieses System der Partnerpraxen gibt es nur in Köln. Kollegen aus allen Fachbereichen stehen für Notfälle ebenfalls bereit, zum Beispiel während der Mittagszeit von 13 bis 15 Uhr“, sagt Zastrow.
Zweitens: Der Anruf kommt außerhalb der Sprechzeit und der Patient kann laufen, dann wird er an die nächstliegende Notfallpraxis verwiesen. Oder es wird ein Fahrdienst oder ein Hausbesuch organisiert.
Drittens: Der Patient kann nicht laufen, ist zusammengebrochen oder ohnmächtig, dann wird das Gespräch weitergeleitet an die Leitstelle der Feuerwehr und der Rettungsdienst alarmiert. Der Rettungswagen bringt den Patienten entweder in die Krankenhausambulanz oder zum Hausarzt oder in eine der Partnerpraxen. Letzteres falls sich die Situation vor Ort entspannt. „Das ist neu. Bei einer derartigen Situation darf der Patient auch in die Hausarztpraxis gebracht werden.“
Modellprojekt wird derzeit ausgewertet
Die Erfahrungen mit dem Modell werden derzeit ausgewertet. Schon jetzt ist die Rede davon, dass als Ergebnis der Kooperation die Notdienstpraxen beziehungsweise die Partnerpraxen von der Feuerwehr etwa 60 Patienten pro Tag übernehmen. Basis der Vernetzung zwischen Arztrufzentrale und Feuerwehrleitstelle ist das einheitliche Bewertungssystem SmED, ein softwaregestütztes Ersteinschätzungsverfahren. Das in Köln bereits eingesetzte Verfahren soll laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung ab 2020 bundesweit zur Verfügung stehen. SmED heißt: strukturierte medizinische Ersteinschätzung in Deutschland. Abgefragt werden Daten wie Geschlecht und Alter, chronische Krankheiten, Vorerkrankungen und Medikation, Leitsymptome und Begleitbeschwerden. Das Ergebnis ist eine Einschätzung, wohin der Patient weitergeleitet werden muss.
Notfall-Hotlines
Die kassenärztlichen Notdienstpraxen:
St.-Antonius-Krankenhaus; St.-Franziskus-Hospital; St.-Vinzenz-Hospital; Krankenhaus Porz am Rhein; Ev. Krankenhaus Kalk; Universität-Klinik. Dazu kommt die Notdienstpraxis Köln-Nord-Ost in Mülheim und die Notdienstpraxis des Kölner Nordens in Chorweiler.
Die kinderärztlichen Notfallpraxen:
Kinderkrankenhaus Amsterdamer Straße in Riehl; Uniklinik, Joseph-Stelzmann-Straße 9 (Lindenthal); Gebäude 26, Zugang über den Eingang Gleueler Straße 115; Krankenhaus Porz am Rhein, Urbacher Weg 19
Notfall-Telefonnummern:
Bei Vergiftungen: Vergiftungszentrale Uniklinik Bonn (Telefon: 0228/192 40). Auskünfte gibt es bei der Info-Zentrale gegen Vergiftungen/Giftzentrale Bonn. www.gizbonn.de
Bei ambulanten augenärztlichen Notfällen und psychiatrischen Krisenfällen gilt die Telefonnummer 116 117.