Veedels-CheckDie Schattenseiten der Rodenkirchener Riviera
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Dieses Veedelsporträt ist Teil unserer großen Stadtteil-Umfrage, an der sich 33.000 Leser beteiligt haben.
Die Ergebnisse des Veedelschecks veröffentlichen wir nach und nach hier auf dieser Seite.
Köln – Wer nach Rodenkirchen kommt, hat den Rhein vor Augen. „Wir haben den schönsten Sand, die idyllischsten Buchten. Kein Architekt könnte sich das schöner ausdenken“, meint Gerda Laufenberg. Die Künstlerin zog drei Monate vor der Eingemeindung Rodenkirchens im Jahre 1975 in ihr heute innig geliebtes Veedel.
Rodenkirchen hat viel zu bieten, auch in Sachen Freizeitgestaltung: das Gelände des Friedenswalds, beliebt bei Joggern und Familien, den Forstbotanischen Garten – ein in den 1960er Jahren angelegtes Pflanzenparadies, das auf einer ehemaligen Ackerfläche Bäume und Sträucher aus vielen Teilen der Welt vereint –, das Naherholungsgebiet des Grüngürtels oder Finkens Garten, den Kindergartengruppen und Familien gerne besuchen.
Nähe zum Wasser ist allgegenwärtig
Und doch ist es vor allem die Nähe zum Wasser, die Rodenkirchen ausmacht. Am Fluss zu sitzen, am Strand oder auf einem der zahlreichen Bootshäuser – das ist nicht nur für Laufenberg etwas Besonderes. „In Rodenkirchen ist man abwärts mit der Nordsee und aufwärts mit der Schweiz verbunden.“
Die Bootshäuser waren in der Vergangenheit zahlreicher. „Früher hatte jeder Verein ein Bootshaus am Steg“, erklärt Dieter Maretzky, Vorsitzender der Bürgervereinigung. Voller Stolz verweist er auf den Stadtachter, der seit 2005 im Vorfeld der Kölner Lichter vom Kölner Ruderverein 1877 aus startet.
Letztes Jahr fuhr der größte Ruderverein der Stadt mit 383 aktiven Ruderern und 565 Mitgliedern insgesamt 172 665 Kilometer. „Wir sind zwar ,nur’ der drittgrößte Verein in NRW. Aber wir haben landesweit die meisten aktiven Ruderer“, berichtet Peter Sepp Schelenz vom KRV. Allein 2017 hat der Verein zehn Medaillen bei Deutschen Jugendmeisterschaften eingefahren. Aber am Rhein wird nicht nur gerudert, sondern auch gepaddelt: Wie aufgereiht liegen Richtung Campingplatz gleich fünf Kanuvereine hintereinander.
Das althergebrachte Rudern ist das eine, als neuer Sport zwischen Kapellchen und Campingplatz aber gilt mittlerweile der PS-Vergleich zu Wasser und zu Lande. Luxuskarossen „flanieren“ entlang der Uferstraße, während auf dem Rhein das Kräftemessen zwischen Motorbooten und Jetskis ausgetragen wird.
Der Hochwasserschutz beschert den Anwohnern seit 2008 nicht nur Schutz vor steigendem Wasser. Die Mauer ist einigen als neue Partymeile ein Dorn im Auge. „Für die Jugend ist das eine Bereicherung, für die Anwohner ein Horror“, äußern sich manche Anlieger. Einige fordern sogar, die Straßen zum Rhein zu schließen. Andere zeigen sich toleranter. „Wer die Aussicht hat, muss sie teilen“, meint etwa Anja Senff, Anwohnerin und Mitglied der Aktionsgemeinschaft. Tatsächlich wird es immer voller, die Riviera hat an Sommertagen auch ihre Schattenseiten. Früher, so Laufenberg, da saß man mal mit Klappstühlen und Kartoffelsalat am Rhein. „Heute kommen mit den ersten Sonnenstrahlen nicht nur Dutzende Sonnenhungrige, sondern mit ihnen auch Müll und Rauchschwaden von Kohlefeuern.“ Dass die Wassertemperaturen im April und Mai viel zu niedrig zum Baden sind, stört nicht. Rodenkirchen – Urlaub in Stadtrandlage.
Ruhe wohlhabender Viertel
An die Rheinlage mit ihren prächtigen Villen schließt sich das Auenviertel an. Hier ist es gleich wesentlich lauschiger und geruhsamer, ebenso wie im Malerviertel. „Die Viertel strahlen eine Ruhe aus, die wohlhabende Quartiere in sich tragen“, meint Laufenberg. Viele Häuser wurden hier im Laufe der Zeit restauriert. Die Preise für Immobilien liegen allerdings auf Rekordniveau – wenn überhaupt etwas veräußert wird.
Es zwickt an einigen Stellen, allerdings weder bei der Kaufkraft noch bei der Ärzteversorgung. Traditionsgaststätten wie das „Treppchen“ erfreuen sich trotz beachtlicher Preise extremer Beliebtheit. Für Kaufkraft sorgen vor allem die Senioren: 3530 Menschen in Rodenkirchen sind 70 Jahre oder älter. Das bringt nicht zuletzt die gute Ärzteversorgung mit sich. Nach Angaben des statistischen Bundesamtes ist die Ärztedichte im Bundesschnitt mit 4,1 Ärzten auf 1000 Einwohner schon hoch. Aber nichts im Vergleich zu Rodenkirchen: Hier liegt sie bei 7,5 Ärzten. Damit liegt Rodenkirchen weltweit gleichauf mit Kuba auf Platz eins. Ausgerechnet hat das der Rodenkirchener Arzt Professor Christian Flügel-Bleienheuft.
Ruf des Besonderen in Gefahr?
Aber daneben lockt auch die Lage im Kölner Süden die Investoren an. Das einstige Zentrum zwischen Nibelungenweg, Wilhelm-, Adam- und Mittelstraße hat sich verlagert und verändert. In den 1950er Jahren war der Maternusplatz noch eine Wiese, dann ein Parkfläche, seit vielen Jahren ist er ein weitläufiger Platz, auf dem die Aktionsgemeinschaft kostenfreie Liegestühle aufgestellt hat.
Alleine auf dem Sürther Feld leben seit Ende letzten Jahres 1435 Menschen. Die Diakonie Michaelshoven hofft dadurch auf einen besseren Anschluss. „Rodenkirchen muss aufpassen, dass es den Ruf des Besonderen nicht verliert“, sorgt sich nicht nur Laufenberg. Der alte Bahnhof wurde aufgegeben, hier stehen moderne Wohnhäuser, auch an der Ringstraße wurde die letzte Baulücke – das ehemalige Gelände der Freiwilligen Feuerwehr – geschlossen. Laufenberg selbst wohnt heute in einem Neubau, dort, wo früher das Hotel Bellevue stand. Alte Rodenkirchener erzählen, dass Romy Schneider hier einen guten Teil ihrer Kindheit verbracht haben soll. Die Kammeroper hatte mit fünf Jahren nur ein kurzes Gastspiel, die Jugendkunstschule musste ebenso weichen wie die Erziehungsberatungsstelle. Was Rodenkirchen fehlt, ist eine eigene Kulturinstitution wie ein Theater.
Als die Stadtteilbibliothek geschlossen werden sollte, setzte sich Laufenberg als Vorsitzende des Vereins „Literamus“ mit einigen Mitstreitern erfolgreich für ihren Erhalt ein. Seitdem organisiert der Verein kulturelle Veranstaltungen. „Das Kulturprogramm wird von privater Seite, von den Schulen und Kirchen gestemmt“, ergänzt Maretzky. Der Kulturfrühling wird mittlerweile vom Bürgerverein gemeinsam mit der Aktionsgemeinschaft organisiert. Gebaut und geplant wird weiter. Neben dem Sürther Feld gilt der Neubau des Bezirksrathauses als nächste Großbaustelle. Ein Platz für Kultur ist hier allerdings auch nicht vorgesehen.
Offene Baustellen
Schon die U3-Betreuung ist ein Sorgenkind. Die Quote ist mit 25 Prozent für Kinder unter drei Jahren deutlich zu niedrig. Die Turnhalle des Rodenkirchener Gymnasiums ist marode, der Neubau einer neuen Zweifachturnhalle wurde zurückgestellt. Der Fokus der Stadt liegt auf Schulneubauten, auch das einzige Gymnasium vor Ort platzt aus allen Nähten. Richten soll’s das „Auslaufmodell Gemeinschaftshauptschule“ auf der anderen Straßenseite. „Den Luxus, die Räumlichkeiten nicht zu nutzen, können wir uns nicht leisten“, sagte Schuldezernentin Dr. Agnes Klein dazu Ende März.Sorgen macht auch die Grundschulversorgung. Die Nachbarschulen in Weiß und Sürth rüsten ab Sommer Klassenzüge für die Kinder vom Sürther Feld auf. Seit Jahren soll hier die Ernst-Moritz-Arndt-Schule (EMA) gebaut werden, nach Aussage von Schuldezernentin Dr. Agnes Klein ist damit vor 2022 nicht zu rechnen. Neben der EMA und einem Nahversorgungszentrum fehlt hier auch die Busanbindung. Geplant ist sie zum nächsten Fahrplanwechsel. An vielen Stellen kommt es zum Verkehrskollaps, besonders schlimm sieht es in Industrie- und Wattigniestraße aus. Platz gibt es auch nicht für die Freiwillige Feuerwehr und einen zweiten Rettungswagen. Der kommt im Notfall oft aus Wesseling.
Blick zurück
Römische Funde zeugen von einer frühen Besiedlung. Erstmals wird der Ort 989 in einer Schenkungsurkunde erwähnt: Erzbischof Evergerus übergab das Gut „Rodenkirchhof“ an das Stift Sankt Martin. Im 13. Jahrhundert ist der Name Rodenkirchen schon geläufig. In dieser Zeit durften Kaufleute nach dem Stapelrecht zwischen Köln und Rodenkirchen Handel betreiben. Aus Nächstenliebe, wie es heißt, errichtete Köln 1582 ein Siechenhaus, um die Stadt vor Lepra zu schützen.
Rodenkirchen lebte im 19. Jahrhundert – der Ort gehörte zum Gebiet der Bürgermeisterei Rondorf – von Weinbau, Fischfang und Landwirtschaft. In dieser Zeit siedelte sich die erste Industrie an, die ab 1905 durch die Rheinuferbahn einen regelrechten Aufschwung erfuhr und damit auch das Ortsbild veränderte. Villen wurden am Rhein und entlang der Hauptstraße gebaut, die Bebauung wurde städtischer. Für die Mater- nuskapelle, das geliebte Wahrzeichen,des Ortes wurde 1867 an der Hauptstraße eine neue Kirche errichtet; ihr gegenüber steht das alte Rathaus.
Von 1961 bis zur Eingemeindung 1975 war Rodenkirchen Zentrum der Gemeinden Godorf, Hahnwald, Immendorf, Meschenich, Rondorf, Sürth und Weiß. Seit 1975 ist der Stadtteil Namensgeber für den Bezirkund Sitz der Bezirksvertretung.