Das Kölner Amtsgericht hält die Situation für „unsinnig“, das Verhalten der Straßeneigentümer für „ungerecht“. Im Recht seien sie trotzdem.
Bizarrer WegerechtsstreitKölner Gericht verbietet Paar, Straße zu seinem Haus zu betreten – sonst droht Haft
Wenn Perwin Sakar und Latif Bekiri ihr Haus verlassen und einen Fuß auf die Straße setzen, müssen sie seit dem 3. Januar damit rechnen, wegen „Eigentums- und Besitzstörung“ 250.000 Euro zahlen zu müssen – oder sich für bis zu sechs Wochen im Gefängnis wiederzufinden. So steht es in einem Urteil des Kölner Amtsgerichts – dem vorläufigen Höhepunkt eines Nachbarschaftsstreits, der wohl in ganz Deutschland seinesgleichen sucht. „Ich bin am Rande eines Nervenzusammenbruchs“, sagt Perwin Sakar. „Mein Bruder liegt im Koma im Krankenhaus, er könnte jede Minute sterben, ich fahre jeden Tag zu ihm – und soll jetzt eine Straftäterin sein, sobald in ich mein Haus verlasse? Ich fasse das alles nicht mehr.“
Der Stüttgerhofweg mit seinen stattlichen Anwesen ist in dem Bereich, in dem Perwin Sakar mit ihrem Mann Latif Bekiri lebt, eine Privatstraße. Seit mehr als drei Jahren streitet das beruflich erfolgreiche Kölner Ehepaar mit kurdischer Geschichte mit den Eigentümern der Straße vor Gerichten. Der Weg gehört einer Immobilien- und Verwaltungsgesellschaft, die durch ein Ehepaar vertreten wird, das ebenfalls in der Straße wohnt. Auch die Eltern des Unternehmenschefs haben ein Haus in der Straße. Als das Areal im Jahr 1973 als Bauland erschlossen wurde, übertrug die Gesellschaft die Straße nicht unentgeltlich an die damalige Gemeinde Lövenich – obwohl sie sich vertraglich dazu verpflichtet hatte.
Stadt Köln hat angekündigt, Straße öffentlich zu widmen – das hilft dem Ehepaar momentan aber nicht
Die Stadt Köln ist am Ende des vergangenen Jahres – nachdem der „Kölner Stadt-Anzeiger“ zweimal über den Fall berichtet hatte – zu der Einschätzung gekommen, dass die Eigentümer der Privatstraße verpflichtet seien, die Straße nachträglich öffentlich zu widmen. Das teilte der Leiter des Rechtsamts dem Anwalt von Perwin Sakar und Latif Bekiri mit. Sollten die Eigentümer der öffentlichen Widmung nicht zustimmen, werde die Stadt die Straße auch ohne deren Zustimmung öffentlich widmen, heißt es in der Mail, die dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vorliegt. Die Stadt würde dann auch „die sofortige Vollziehung anordnen“.
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Perwin Sakar und Latif Bekiri waren sehr erleichtert über diese Nachricht – hatten sie doch mehr als drei Jahre der Rechtsstreitigkeiten hinter sich, bei denen es um vom Straßeneigentümer aufgestellte Poller, Handwerksfahrzeuge, angeblich nicht gekehrte Wege oder zu nahe an anderen Grundstücken gepflanzte Bäume und eben das Wegerecht ging. Die Straßeneigentümer hatten versucht, 50 Euro Wegegeld pro Tag gerichtlich durchzusetzen – obwohl sie von den anderen Anwohnern kein Geld für die Nutzung verlangen. Landgericht und Oberlandesgericht hielten dagegen 300 Euro pro Jahr für angemessen.
Für das Urteil des Amtsgerichts war die Ankündigung der Stadt, die Straße öffentlich widmen zu wollen, so wenig relevant wie die 1973 nicht erfolgte Übertragung an die damalige Gemeinde: Es beschied lediglich im zivilrechtlichen Rechtsstreit zwischen Straßeneigentümern und Ehepaar. Und urteilte zugunsten der Eigentümer, obwohl „das Verhalten der Klägerin, sämtlichen Anliegern, nur nicht den Beklagten, das Betreten und Befahren des Straßengrundstücks ohne weiteres zu erlauben, sich als objektiv ungerecht darstellt“. Mehr noch: Es erscheine „in tatsächlicher Hinsicht vollkommen unsinnig, dass die Beklagten ihr Grundstück nicht mehr über die Straße, sondern allenfalls noch über benachbarte Grundstücken betreten dürfen sollen“, heißt es von Seiten des Gerichts. Die Eigentümer müssten indes nach geltender Rechtslage die Nutzer der Straße nicht „gerecht“ oder „gleich“ behandeln.
Amtsgericht Köln: Ehepaar soll ihr Notwegerecht nicht verlangt haben
Die auch dem Grundgesetz zuwiderlaufende Paradoxie, dass Menschen die Straße zu ihrem eigenen Haus nicht betreten dürfen, wird für das Amtsgericht dadurch plausibel, dass Perwin Sakar und Latif Bekiri ihr Notwegerecht nicht geltend gemacht hätten. Das Gericht argumentiert, dass ein Notwegerecht nicht schon bestehe, „wenn einem Grundstück die zur ordnungsgemäßen Benutzung notwendige Verbindung mit einem öffentlichen Weg fehlt“. Das Ehepaar hätte von den Eigentümern der Straße ein Notwegerecht explizit verlangen müssen – das wäre „nicht kompliziert“ gewesen und sei vom Gericht mehrfach so nahegelegt worden, heißt es im Urteil. Nur dadurch habe sich das beklagte Paar in die Verlegenheit gebracht, in diese „unsinnige“ Situation zu kommen.
Der Anwalt von Perwin Sakar und Latif Bekiri sieht das anders: „Dadurch hätten wir unsere Rechtsposition verlassen und meine Mandanten wären verpflichtet gewesen, eine Notwegerente zu zahlen“, sagt er. „Die Erstbesitzer des Grundstücks meiner Mandanten haben aber nachweislich für die Erschließung der Straße bezahlt – insofern besteht kein Anspruch der Eigentümer, nochmal für die Straßennutzung abzukassieren.“ Dieses Argument hätte das Amtsgericht in seiner Urteilsbegründung nicht berücksichtigt – darauf stütze er seine Berufung, so der Anwalt gegenüber dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Für das Gericht spielen historische und öffentlich-rechtliche Belange indes nach eigenem Bekunden keine Rolle.
Die Stadt Köln teilt mit, dass sie den Straßeneigentümern bis Ende Januar Zeit gegeben habe, sich zum Vorhaben zu äußern, die Straße öffentlich zu widmen. Eine Antwort gebe es noch nicht. Vorläufig machen sich Perwin Sakar und Latif Bekiri weiterhin zu Straftätern, sobald sie ihr Haus verlassen.