Köln – Als der Krieg zu Ende war und die Stadt in Schutt und Asche lag, da erschien es den Überlebenden wie ein Wunder, dass ihr Dom, hoch und dunkel, immer noch stand. Er hatte 262 verheerende Luftangriffe, zuletzt den Granatbeschuss der deutschen Abwehr, vor allem aber Adolf Hitler überlebt. Der Kölner Ehrenbürger hatte versprochen: „Gebt mir zehn Jahre und ihr werdet Deutschland nicht wiedererkennen“.
Am 14. April 1945 führen US-Truppen vor dem Dom das letzte Gefecht im rechtsrheinischen Köln. Ein deutscher Panzer deckt den Rückzug der eigenen Truppen und verteidigt die Festung Köln „bis zur letzten Patrone“. US-Filmaufnahmen lösen noch heute ungläubiges Kopfschütteln aus: Schuttberge und fensterlose Ruinen so weit das Auge sieht, kahle Bäume und zerstörte Straßenbahnen, fast menschenleere Straßen. Die Bahnhofshalle – ein zerschossenes Gerippe; die Hohenzollernbrücke, von deutschen Einheiten gesprengt, liegt wie ein havariertes Wrack im Rhein.
„Das Wahrzeichen Kölns, fast unversehrt“
Doch dann, alles überragend: der Dom. Die „Kamera Rundschau“ vom Juni 1945 erklärt: „Das Wahrzeichen Kölns, fast unversehrt“. Doch nur aus der Weite besehen. „Als wir näher kamen“, erinnert sich der US-Soldat Michelantonio Vaccaro, „konnten wir sofort sehen, dass es massive Schäden gegeben hatte“. Am 3. November 1943 hatte eine Sprengbombe ein zehn Meter hohes Loch in den Nordturm gerissen. „Wie die Domtürme das überstehen konnten ohne einzustürzen, ist mir bis heute unbegreiflich“, so Vaccaro.
Dabei waren die Kölner vor den Gefahren, die dem Dom im Kriegsfalle drohen würden, früh gewarnt worden. Als Mitte des 19. Jahrhunderts die Lage des ersten zentralen Kölner Personenbahnhofs und die der Dombrücke festgelegt werden, gibt Dombaumeister Ernst Friedrich Zwirner zu Bedenken, dass Bahnhof und Brücke in jedem Falle strategische Ziele sein und Angriffe auch den Dom in Mitleidenschaft ziehen würden.
Tatsächlich sollen schon während des Ersten Weltkriegs, als der Bahnhof zur militärischen Drehscheibe wird, die kostbaren mittelalterlichen Domfenster ausgebaut werden. Doch der Versuch wird abgebrochen.
Hauptbahnhof und Hohenzollernbrücke als strategisches Ziel
Der Kölner Historiker Niklas Möring beschreibt in seinem 2011 erschienenen Buch „Der Kölner Dom im Zweiten Weltkrieg“ ausführlich, wie es dem Dom erging und was zu seinem Schutz unternommen wurde. Als die Stadt 1936 noch der Wehrmacht zujubelt, die auf Hitlers Anweisung über die Hohenzollernbrücke ins Rheinland einzieht, lässt Domvikar Max Loosen bereits Kisten für den Domschatz zimmern, so Möring.
Schon in den ersten Kriegstagen 1939 werden Mitarbeiter der Dombauhütte als Brandwachen auf den Dächern postiert. Die mittelalterlichen Fenster werden ausgebaut, Altäre und Steinfiguren mit Holzverschalungen und Sandsäcken verbarrikadiert, ab 1943 im Dombunker unter dem Nordturm eingemauert. Der Dreikönigsschrein und viele der wertvollsten Domschätze begeben sich auf die Reise in die vermeintlich sichere Provinz.
Dom dient als Orientierung für alliierte Piloten – Kollateralschäden
Tatsächlich sind Hauptbahnhof und Brücke strategisches Ziel, um den deutschen Nachschub zu stören. Der Dom dient den alliierten Piloten zur Orientierung – bei klarer Sicht. Deshalb erleidet er Kollateralschäden – Treffer, die eigentlich den Bahnanlagen zugedacht sind. Er sei weder ausdrückliches Ziel von Angriffen gewesen, noch habe es eine belegbare Anweisung gegeben, ihn zu schonen, schreibt Möring.
Eine solche Anweisung wäre auch unsinnig gewesen, denn die Piloten seien bei schlechter Wetterlage schon froh gewesen, Köln überhaupt zu finden. Zu den Navigationsproblemen kam die fehlende Treffsicherheit. Die Piloten konnten ihre Abwürfe kaum berechnen.
Das Schlimmste haben vermutlich Meister Gerhard und sein später Nachfolger Zwirner verhindern helfen. Gerhards gotisches Strebewerk mit den riesigen Fensterflächen bot den Druckwellen der Luftminen kaum Widerstand. Und der preußische Dombaumeister ließ – gegen den Widerstand der Kölner Traditionalisten – einen stählernen Dachstuhl auf den Chor setzen. Ein hölzerner Dachstuhl hätte – so wie bei Kölns romanischen Kirchen – den Dom in Brand gesetzt.
Wächter retten Dom mehr als 70 Mal vor Brandbomben
Und doch treffen Brandbomben mehr als 70 Mal – und werden von meist älteren, dann blutjungen Brandwächtern gelöscht. Nacht für Nacht halten sie Wache, auch während des verheerenden 1000-Bomber-Angriffs am 31. Mai 1942. Die völlig überlastete städtische Feuerwehr, so Möring, kann nicht helfen, Strom- und Wasserleitungen versagen. Die Helfer löschen mit primitivsten Mitteln, unter Einsatz ihres Lebens.
Auch am 29. Juni 1943. Im Peter-und-Paul-Bombardement sterben 4400 Menschen. Ende 1943 wird endlich ein vom öffentlichen Wassernetz unabhängiges Feuerlöschsystem installiert: Fünf Löschwasserkessel, die jeweils 2000 Liter Rheinwasser fassen, werden im Dach eingebaut.
Die ausführliche Schadensbilanz würde Kirchenbücher füllen. Nur fünf Chorgewölbe aus dem Mittelalter bleiben unversehrt. „Ganze Gewölbeteile des Langhauses waren eingestürzt, große Teile des nördlichen Querhauses lagen am Boden. Die Orgel aus dem 16. Jahrhundert war zerstört“, erklärt Dombaumeister Peter Füssenich. Dazu schwere Schäden an Wänden, Portalen, Fenstern, Dächern. Dramatisch das rund zehn Meter große Loch im Eckpfeiler des Nordturms. Es wird noch im Krieg mit einer Ziegelstein-Plombe verfüllt, unter anderen von Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen.
Dom wird zum Hoffnungsträger
Im April 1945 sind über 90 Prozent der Kölner Altstadt eingeebnet. Für die Rückkehrenden wird der Dom zum Hoffnungsträger, auch wenn der Eintritt wegen Einsturzgefahr verboten ist. Adenauer plant den Wiederaufbau der Stadt auf der grünen Wiese. Er soll den Plan, wird erzählt, erst aufgegeben haben, als man ihn fragte, wie man denn den Dom dorthin verlegen könne. Angesichts der massiven Schäden ist die Wiederherstellung des Doms das eigentliche Wunder. Nach nur drei Jahren wird er anlässlich der 700-Jahrfeier der Grundsteinlegung für die Allgemeinheit wieder geöffnet.
Auch wenn die größte Wunde (die Domplombe) inzwischen geschlossen ist und die Dombauhütte bis heute Vieles restauriert, die Kriegspuren – Einschusslöcher, Aussprengungen, verstümmelte Figuren – werden am UNESCO-Weltkulturerbe immer lesbar bleiben.