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„Wir sind im Dom, er ist in uns“Frank Schätzing über seine Beziehung zum Dom

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Schriftsteller Frank Schätzing.

Köln – Ich bin mit dem Dom aufgewachsen. Für mich ist er das Monument schlechthin, ein spiritueller Raum, obwohl ich Atheist bin. Aber ich habe mich als Kind schon gern im Dom aufgehalten, weil ich das Gefühl hatte: Hier kann ich sein. Dieser ganze Riesenraum ist nur für mich.

Die Idee zu meinem Romanerstling „Tod und Teufel“ kam mir, als der Emons-Verlag seine Köln-Krimi-Reihe um eine historische Linie erweiterte. Die Schauplätze zeitgenössischer Köln-Krimis waren zu der Zeit einigermaßen abgefrühstückt, also fragte mich Jupp Emons, ob ich nicht Lust hätte, einen historischen Krimi zu schreiben?

Der perfekte Thriller-Plot

Ich dachte sofort ans Mittelalter. Der schönste aller Abenteuerspielplätze. Auf keinen Fall wollte ich irgendeine austauschbare Ritter-Schmonzette schreiben, die überall hätte spielen können, also fragte ich mich: Was haben wir in Köln, was kein anderer hat? Wat jitt et wirklich nur en Kölle? Und da drängt sich der Dom natürlich auf. Allerdings stellte ich schnell fest, dass ich über den Dom eigentlich so gut wie nichts wusste. Also stürzte ich mich in die Baugeschichte und stieß auf die ultimative Information. Gerhard von Rile, der allererste Dombaumeister, war nach wenigen Jahren Bauzeit vom Gerüst gefallen und gestorben. Das verhieß den perfekten Thriller-Plot!

„Tod und Teufel“

Der erste Roman des Kölner Bestsellerautors Frank Schätzing (65) spielte im Dom, zuletzt erschien 2021 das Sachbuch „Was, wenn wir einfach die Welt retten?“ bei Kiepenheuer & Witsch.

Ich rief Arnold Wolff an, der war Anfang der Neunziger Kölner Dombaumeister und spezialisiert auf Meister Gerhard. Wolf erzählte mir erstaunliche Dinge: dass dieser Meister Gerhard das ganze Riesending in einem Rutsch konzipiert hatte. Der Dom ist ja eine fünfschiffige Kathedrale. Das macht es kompliziert. Bei einer dreischiffigen Kathedrale kann man Türme, Langschiff und Seitenschiffe notfalls unabhängig voneinander bauen. Aber eine fünfschiffige Kathedrale dieser Größe ist ein statischer Alptraum. Die muss man im Ganzen entwerfen.

Die Legende schreibt den Todessturz dem Teufel zu

Sprich, Gerhard hatte die komplette Kirche schon bis ins Detail zu Ende gedacht, als er sie auf Pergamenten als Zeichnungen anlegte. Baupläne von solcher Exaktheit, dass die Fertigstellung des Doms im 19. Jahrhundert nach eben diesen alten Plänen aus dem 13. Jahrhundert erfolgte. Selbst mit modernen Bautechniken hätte man das kaum besser machen können. In der Spitze der beiden Türme beträgt die Differenz zu Gerhards Plänen nur wenige Zentimeter. Der Mann war ein Genie.

Und dieses Genie war also vom Gerüst gefallen. Die Legende schreibt den Todessturz dem Teufel zu, Pragmatiker gehen von einem Unfall aus, für mich stand sofort fest: Das war Mord! Gerhard war das Opfer einer Intrige geworden.

Aufbau nach dem Krieg

Zu der Zeit bin ich oft auf dem Dach des Doms gewesen. Über die Gerüste gelaufen, in jeden Winkel gekrochen, jeden kleinsten Gang, hab mich auf dem Mitteltürmchen eingenistet. Und mich gefühlt wie im Gebirge. In der Höhe hat der Dom was von den Dolomiten. Das Spannendste aber war zu sehen, was sie nach dem Krieg da oben alles hin gebaut haben. Der Dom ist ja nicht nur eine großartige Kathedrale. In seiner offensichtlichen Unkaputtbarkeit wirkt er geradezu mythisch, überirdisch.

Es gibt dieses berühmte Foto von 1945, auf dem er als einziges Bauwerk in der Innenstadt noch steht. Als hätte eine höhere Macht die Hand darüber gehalten, während drum herum alles in Schutt und Asche versank. Später hieß es dann, die Alliierten hätten ihn beim Bombardement bewusst geschont, aber die Wahrheit ist wohl eher, dass sie ihn verfehlt haben – muss man erst mal schaffen bei den Dimensionen.

FC-Spieler und nackte Madämchen auf dem Kölner Dom

Tatsächlich hatte der Dom durchaus was abgekommen. Jede Menge Zuckerwerk war abgebröckelt, die ganzen kleinen Figürchen hier und dort. Heerscharen von Steinmetzen gingen daran, sie wiederherzustellen, offenbar sah ihnen keiner so genau auf die Finger, also machten einige, was sie wollten. Darum begegnet man da oben jetzt steinernen FC-Spielern und nackten Madämchen.

All das habe ich damals aufgesogen, dadurch ist der Dom für mich nochmal zu etwas ganz Besonderem geworden, sehr stark verbunden mit meiner eigenen Geschichte.

Der Dom bringt Einklang mit unserem eigentlichen Sein

Man muss nicht an Gott glauben, um die Bedeutsamkeit dieses Gebäudes für die innere Balance zu empfinden. Wir fühlen uns getrieben, mehr denn je, von Krisen und Katastrophen, tatsächlichen und heraufbeschworenen. Sehnen uns nach Ruhe. Nach einer inneren Kathedrale der Stille, in die wir uns zurückziehen können. Und im Dom entdecken wir ihn plötzlich, den geschützten inneren Raum. Die Grenzen verschwimmen. Wir sind im Dom, er ist in uns.

Das bringt uns in Einklang mit unserem eigentlichen Sein. Was vielleicht daran liegt, dass die Architektur des Doms auf geheimnisvolle Weise kongruent ist zu unserer inneren Architektur. Man kann den Dom als Glaubensgebäude betrachten. So ist er auch gemeint. Für mich hat er nichts Religiöses. Er ist perfekte, prachtvolle Leere, in der wir einfach nur wir selbst sein dürfen.

Und ja, stimmt, ich vergleiche den Dom mitunter gerne mit dem Brauhaus Päffgen. Nicht eins zu eins! Aber das Päffgen ist gewissermaßen der Dom der Trinker. Beide Institutionen sind absolut egalitär. Tritt man durch die Dompforte, durch die Holztür in der Friesenstraße, sind sofort alle Standesunterschiede aufgehoben. Dann ist es egal, ob du arm bist oder reich, alt oder jung, versehrt oder unversehrt. Im Dom wie im Päffgen bist du ein Mensch und basta.

Köln hat eine coole Szene, aber Ambitionen werden weggeschunkelt

Leider hat Köln es nie geschafft, dem Dom etwas Gleichwertiges entgegen zu setzen. Sicher, wir haben die schönsten romanischen Kirchen, aber fast alles Sehenswerte entstammt der Geschichte. Kontemporäre Architektur auf Weltstadt-Niveau sucht man vergebens. Von einer Elphi sind wir Lichtjahre entfernt. Was hätte man alleine aus dem Rudolfplatz machen können, als der alte Klotz abgerissen wurde. Stattdessen hat man einen nicht minder freudlosen neuen Klotz darauf gesetzt, als wären die Neunziger nie zu Ende gegangen.

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Ich als Kölner erkläre anderen immer, dass ich die Stadt vor allem für das liebe, was sie sein könnte. Hier wurde und wird unfassbar viel Potenzial verschenkt. Köln hat Kreative, Freigeister, ist weltoffen, divers, integrativ, hat eine coole Szene – aber wenn es um Kultur ging, endet alles beim Karneval. Alle Ambitionen werden weggeschunkelt.

Trotzdem ist Köln auf seine Weise einzigartig, und ganz klar spielt der Dom da eine Rolle. In der Trümmerwüste wurde er Symbol dafür, dass Köln sich nicht unterkriegen lässt. Diese ikonische Bedeutung hat er weit über die Stadt hinaus. Einfach ein unfassbar beeindruckendes Bauwerk. Das wäre er auch in der Antarktis, wäre er mitten in New York. Selbst wenn wir ihn mit architektonischen Wundern umgeben würden: Er wäre und bliebe ein Wunder in sich.

Aufgezeichnet von Christian Hümmeler