In der Fußball-Kneipe Lotta in der Kölner Südstadt erzählt der Autor Dietrich Schulze-Marmeling von der Boykottbewegung gegen die Fußball-WM in Katar.
WM-Boykott in Kölner Kneipe„Deutschland könnte etwas verändern“
Parallel zum dritten Spieltag der umstrittenen Fußball-Weltmeisterschaft in Katar erzählte der Autor Dietrich Schulze-Marmeling auf der Bühne der Fußballkneipe Lotta in der Kölner Südstadt von der Boykottbewegung. Seit mehr als zwei Jahren arbeitet er mit vielen Fan-Vereinigungen, Einzelpersonen und auch Vereinen zusammen unter dem Motto „Boycott Qatar 2022“ an dem, was im Moment passiert.
Gründe dafür sind unter anderem die korrupte Vergabe und die Menschenrechtsverletzungen im Emirat. Er ist sich sicher: Die Fifa in ihrer heutigen Form ist nicht mehr zu retten, wenn Menschenrechte wichtig sein sollen. Es laufe auf drei Optionen hinaus: Reformieren, Zerschlagen oder Ignorieren.
Die letzte Option, die sich im Boykott, den historisch schlechten Fernsehquoten und Veranstaltungen wie in der Lotta ausdrücken, habe seiner Meinung nach jedoch wenig echtes Veränderungspotenzial. Eine Zerschlagung sei leider utopisch. Bleibt also nur die Reform. Hier müsse Deutschland eine führende Rolle einnehmen, fordert Schulze-Marmeling.
Schulze-Marmeling kritisiert korrupte Funktionäre in Deutschland
Nur seien auch hier viele korrupte Funktionäre bereits zu tief in das System der Fifa verstrickt. „Man denke nur an Franz Beckenbauer oder Uli Hoeneß, dessen Verein Bayern München Quatar Airways als Hauptsponsor hat“, sagt er. „Aber auch in der Politik gibt es wenig Veränderungswillen, das zeigen ja die Kommentare von Sigmar Gabriel.“
Deutschland, oder genauer gesagt der DFB könne jedoch als großer Fifa-Verband viel zu einer positiven Veränderung beitragen. Der Wille zu strategischen Allianzen fehle jedoch bislang völlig. Schulze-Marmeling, der unter anderem ein Buch über die Geschichte der Fußball-Weltmeisterschaften geschrieben hat, erinnert an vergangene Zeiten, die doch noch relevant für das Verständnis der heutigen Zeit sind.
Die WM 1978 fand in Argentinien statt, als damals die Militärjunta schlimmste Menschenrechtsverletzungen beging. Das Problem ist nicht neu. Der damalige DFB-Präsident Herrmann Neuberger sah damals kein Problem. „Wenigstens wird heute diskutiert, eine so unruhige WM gab es noch nie“, sagt Schulze-Marmeling und es klingt ein wenig so, als wolle er den mehr als 50 Zuhörenden wenigstens irgendetwas Konstruktives mitgeben.
Kneipe Lotta in der Kölner Südstadt boykottiert WM mit Alternativprogramm
Die Kneipe Lotta trägt ihren Teil dazu bei, dass diese WM unruhiger ist. Wegen des Boykotts und des Alternativprogramms, das mit Schulze-Marmelings Vortrag beginnt, seien schon japanische und portugiesische Kamerateams da gewesen. Die Kneipe wird im Kollektiv geleitet, 14 Menschen entschieden schon bei der erwiesenermaßen korrupten WM-Vergabe den Boykott.
In der Lotta ist man generell skeptisch gegenüber den kommerzialisierten Strukturen im Fußball. Champions League läuft hier nicht, dafür aber der 1. FC Köln und St. Pauli. „Auf der Ebene der Vereine sehen wir sehr viele positive Entwicklungen“, sagt Schulze-Marmeling. Vor allem die vielen Protestaktionen in den Stadien zeigen, dass es unzählige Vorbereitungen gab, die unabhängig von seiner Initiative liefen.
Die deutschen Vereine und Fans setzen ein Zeichen, auch über Rivalitäten hinweg. Schulze-Marmeling ist selbst BVB-Mitglied und gründete die Initiative „Boycott Qatar 22“ unter anderem mit Susanne Franke von einer Schalker Faninitiative. Nach dem Vortrag forderte sie alle Fans auf, „ihren Vereinen auf den Sack zu gehen“. Man könne auf politischer Ebene auch den lokalen Abgeordneten schreiben, ergänzt Schulze-Marmeling. Aber wirklich überzeugt klingen beide nicht, dass sich so etwas verändert.
Autokratische Regime sind laut Schulze-Marmeling besser für große Sportveranstaltungen geeignet
Autokratische Regime passen einfach zu gut zur Struktur der Fifa und großen Sportereignissen. Das habe drei Gründe: Erstens können reiche Länder wie Katar die „Fifa-Gigantomanie“ besser befriedigen. Zweitens sei die WM für umstrittene Länder ein politisches Imageprojekt, also „Sportwashing“. Und drittens seien autokratische Regimes besser geeignet für große Turniere.
Rücksichtnahme und viele Entscheiderinnen und Entscheider seien eher hinderlich, will man ein sportliches Großereignis organisieren – so zitiert der Autor verschiedene Fifa-Funktionäre. Schulze-Marmeling geht während seines Vortrags weit in der Geschichte zurück und erinnert auch an die Olympischen Spiele 1936 in Nazi-Deutschland. Sportereignisse hätten nie einen Wandel hervorgerufen.
Die vergangenen Jahre zeigen das deutlich auch bei den Weltmeisterschaften. Die WM in Brasilien 2014 wurde wegen Umsiedelungen von Protesten begleitet. 2018 fand die WM in Russland statt. „Wir leben heute in einer Welt, in der der WM-Gastgeber von 2018 den EM-Gastgeber von 2012 überfällt“, sagt Schulze-Marmeling. „Und der Gastgeber von 2022 profitiert davon.“