- Wie reagieren Menschen, was erzählen sie, wenn man sie auf der Straße anspricht und zum Kaffee einlädt? Dieser Frage geht Susanne Hengesbach regelmäßig nach.
- Heute trifft sie einen Gastronom aus dem Agnesviertel, dem die Einhaltung von Menschenrechten wichtiger sind, als sein persönlicher Umsatz.
- Hans Pfannschmidt ist normalerweise ein glühender Fußball-und FC-Fan, aber in diesem Jahr sagt er ganz klar: „WM - nein, danke!“
Köln – Üblicherweise beginnt nach Karneval die Fastenzeit. Der Mann, mit dem ich heute zusammensitze, wird jedoch schon im November Enthaltsamkeit üben. Nicht nur er allein, auch seine große Familie, wie der Kölner seine Gäste nennt, werde auf das verzichten, was in der Vergangenheit immer ganz groß geschrieben wurde: Die WM. Sich jede Übertragung zu verkneifen, ist für den glühenden Fußball-Fan in etwa so hart, wie für einen Hardcore-Raucher eine vierwöchige Nikotin-Pause. Aber Hans Pfannschmidt findet es wichtig, „ein kleines Zeichen zu setzen“.
Ich treffe diesen Kölner im Agnesviertel, wo ich heute auf meiner Suche nach einem Gesprächspartner unterwegs bin. Der 64-Jährige schlägt vor, dass wir uns vor die „Coffee Gang“ setzen. Erstens, findet er, sei der Cappuccino wohl nirgends besser, und zweitens freut ihn das Engagement seiner Nachbarn auf der Neusser Straße, die sich genau wie er auch in der Ukraine-Hilfe engagieren. Darüber reden wir später noch ausführlicher. Als erstes berichtet Pfannschmidt, dass er gerade in Sachen WM-Boykott unterwegs gewesen war. Er habe schon vor Wochen T-Shirts für seine Gäste mit entsprechender Aufschrift drucken lassen, die jedoch so schnell vergriffen waren, dass er welche nachordern musste.
Kölner boykottiert WM: „Ich mache das aus einem inneren Antrieb heraus“
Dieses Mal nicht vor dem Fernseher mitzufiebern, ist für den Kölner eigentlich unvorstellbar. „Die WM war bei uns immer das absolute Highlight. Da war die Bude rappelvoll, zumal wir auch Außengastronomie haben“, sagt der Wirt, dessen Kneipe in Sichtweite zur Agneskirche an der Neusser Straße liegt. Wann er den Entschluss gefasst habe auszusetzen, frage ich. „Schon ganz früh! Eigentlich schon als rauskam, unter welch menschenunwürdigen Bedingungen auf den WM-Baustellen in Katar gearbeitet wird“, betont der Kölner und fügt hinzu, dass er die Art und Weise, wie in dem Land mit Frauen umgegangen werde, ebenfalls nicht gutheißen könne. „Ich mache das nicht, um mich zu profilieren. Ich mache das aus einem inneren Antrieb heraus, auch wenn ich dadurch viel Umsatz verliere.“
„Wie haben die Gäste reagiert?“ – „Durchweg positiv. Die ziehen mit.“ Und das, obwohl die alle fußballjeck seien. Er sei im Agnesviertel groß geworden, erzählt der Kölner. Seine Eltern hätten früher die Agnesklause betrieben, wo er sich bereits als 15-Jähriger sein Taschengeld verdient hätte. „Mit Leute zu tun zu haben“, sei immer sein Wunsch gewesen, betont der Gastronom.
Kölner Gastronom richtet Flüchtlingstreff für Ukrainer ein
Pfannschmidt ist, wie ich erfahre, mit fünf Geschwistern aufgewachsen. Die Familie habe für ihn immer einen großen Stellenwert gehabt, füreinander da zu sein, sei so wichtig. Deshalb habe er auch nicht tatenlos zusehen können, als im Februar die ersten Bilder vom Ukraine-Krieg um die Welt gingen und wenig später die ersten Flüchtlinge in Köln eintrafen. „Da muss man doch was tun!“, dachte er und machte zunächst einen Spendenaufruf. Nachdem der von ihm und seiner Mannschaft organisierte Transporter mit Hilfsgütern auf dem Rückweg drei Mütter und deren Kinder zu Verwandten in Polen gebracht hatte, dachte der Gastronom über die Situation der in Köln gelandeten Frauen nach und richtete in seiner Gaststätte einen Flüchtlingstreff ein.
Seit mehr als einem halben Jahr, erzählt er, treffen sich immer sonntags bei ihm ukrainische Frauen mit ihren Kindern und tauschen sich aus. Für die Kleinen wurde eine Spielecke eingerichtet, und weil er nicht nur großartige Gäste, sondern auch Nachbarn wie The Coffee Gang oder das Brauhaus Stüsser hätte, konnten inzwischen etliche Aktionen durchgeführt werden. Von gemeinsamen Essen angefangen bis hin zu Ausflügen. „Wir waren auf einem Reiterhof, haben eine Schiffstour gemacht, sind Seilbahn gefahren, waren im Schwimmbad und im Eisstadion. Und demnächst gehen wir in den Zoo.“
Berührt von der Dankbarkeit der Geflüchteten
Lässt das Engagement, weil der Krieg schon Monate dauert, allmählich nach? „Bei unseren Ehrenamtlern ist das Gegenteil der Fall“, erwidert Pfannschmidt und berichtet von seinen Stammgästen, die sonntags schon früh in seine Kneipe kämen, um das Buffet vorzubereiten und so berührt wären von der Dankbarkeit der Menschen, die ihre Heimat verlassen mussten. „Was die Spenden betrifft, merkt man natürlich schon, dass die Leute ihr Geld ein bisschen mehr zusammenhalten, was ja auch verständlich ist.“
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„Haben Sie persönliche Verbindungen zur Ukraine?“, frage ich. „Nein, überhaupt nicht. Ich wusste anfangs gar nicht genau, wo das liegt.“ Pfannschmidt lacht. Wir wissen natürlich alle nicht, wie dieser Krieg weitergehen wird, sagt er dann wieder ernst, „aber wir helfen weiter. Und wir werden das länger durchziehen, als der Putin.