In zwei Tagen meldete der Ordnungsdienst 1000 neue Fahrradleichen. Die AWB startet eine große Entsorgungsaktion.
„Bisher alle Schlösser aufgekriegt“Immer mehr Schrotträder in Köln – AWB startet Entsorgungsaktion

Carlos Oliveri in Aktion: Der Mitarbeiter der Abfallwirtschaftsbetriebe entfernt mit der Flex ein Schrottrad auf der Neusser Straße in Nippes.
Copyright: Michael Bause
Diese Art des Frühjahrsputzes ist bei den Kölnern äußerst beliebt, weil ihn gleich zwei Kolonnen von Heinzelmännchen erledigen. Zum einen die Kontrolleure des städtischen Ordnungsdiensts, die bei einer Sonderaktion im gesamten Stadtgebiet innerhalb von zwei Tagen 1000 schrottreife Fahrräder aufgespürt haben und zum anderen der Entsorgertrupp der Abfallwirtschaftsbetriebe (AWB), der sie von der Straße holen muss.
Das zu organisieren ist einer der Jobs von Markus Brendgen (43). Der Disponent für Littering im Betriebshof der AWB an der Christian-Sünner-Straße in Kalk hat seine Truppe an diesem Freitag in aller Herrgottsfrühe in den Einsatz geschickt. Die Neusser Straße in Nippes zählt zu den Hotspots für Schrotträder, allein auf dem Abschnitt zwischen der Inneren Kanalstraße und der Hochbahn am Bezirksrathaus sind im Computer 55 registriert.
Alle haben ihren eigenen „Fahrradlebenslauf“, der von den Kontrolleuren auf i-Pads erstellt wurde. „Schrottrad (SR) blau. Vorderrad: platt, Hinterrad: platt, Lenker: in Ordnung, Rahmen: in Ordnung, Sattel: fehlt.“ Nur wenn drei dieser fünf Eigenschaften dieser blauen Kategorie erfüllt sind, dürfen seine Leute die Flex ansetzen und das Rad sofort entfernen. Bei geringeren Mängeln gibt es einen gelben Warnzettel, der dem Besitzer eine Gnadenfrist von vier Wochen gewährt.
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Markus Brendgen, Disponent für Littering bei den Abfallwirtschaftsbetrieben (AWB) an seinem Schreibtisch im Betriebshof Kalk Foto: Peter Berger
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Rund um die Uhr landen die Fahrradleichen in Brendgens Computer. Der Stand am Freitagmorgen, 6.58 Uhr: Innenstadt plus Deutz: 175, Rodenkirchen: 55, Lindenthal: 160, Ehrenfeld: 105, Chorweiler: 0, Porz: 2, Kalk: 35, Mülheim: 15. Für die Ausreißer nach unten gibt es eine simple Erklärung. „In Porz haben wir gerade aufgeräumt, und in Chorweiler stehen vergleichsweise wenig Fahrräder auf der Straße. Und davon werden viele geklaut“, sagt Brendgen.
Auf nach Nippes. Auf der Neusser Straße sind am Freitag gleich zwei Trupps unterwegs. Zwei Fahrer, die mit der Flex die Schlösser durchtrennen, und zwei Lader, die den Schrott in die Lastwagen hieven. Bevor die Geschäfte öffnen und das übliche Verkehrschaos ausbricht, will das Quartett den ruhigeren Teil erreicht haben. Der beginnt hinter der Hochbahn in Weidenpesch. Das große Besteck wird nur bei Sonderaktionen wie dieser ausgepackt. Normalerweise ist nur ein Fahrradleichenwagen unterwegs.
Kein Schloss ist unknackbar. Bisher haben wir noch alle aufgekriegt
Die meisten Schlösser sind für die Flex kein Problem. „Unknackbar ist keins. Bisher haben wir sie noch alle aufgekriegt“, lacht Antonio Lombardo, während sein Kollege Carlos Oliveri ein hellblaues Damenrad in Höhe der Nordstraße in wenigen Sekunden von seiner Kette befreit. Manchmal fliegen ein paar Funken – das war’s.

Die letzte Fahrt: Ben Schumacher wuchtet das Rad in den Lkw. Es wird im Umweltzentrum Niehl landen und dort je nach Zustand aufgearbeitet oder ausgeschlachtet. Foto: Michael Bause
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Am Montag vor Karneval, bei der Räumungsaktion auf der Feiermeile Zülpicher Straße, wäre Lombardo zum ersten Mal nach vielen Jahren fast gescheitert. „Sechs Trennscheiben mussten dran glauben, aber dann war auch das Bügelschloss hinüber.“
Natürlich könnte die Truppe jede Menge Tipps zu Radschlössern geben, welches man kaufen und von welchem man besser die Finger lassen sollte. Das mache aber keinen Sinn, wenn keins der Schlösser unknackbar ist. „Bei Bügelschlössern in U-Form haben wir mehr Arbeit“, sagt Benjamin Schumacher. „Weil wir auf beiden Seiten flexen müssen.“
Nicht mal einen Meter weiter muss Oliveri ein zweites Damenrad einfach nur aus der Lücke zerren. „Nicht abgeschlossen. Und noch ganz gut in Schuss. Das kommt häufiger vor, als man denkt.“ Die Ladeflächen der beiden Lkw füllen sich, eine Passantin mit ihrem Kind auf dem Arm bedankt sich bei den Männern. „Hier steht häufig so viel Schrott rum, dass wir mit unseren Rädern gar keinen Platz mehr finden.“

Was vom Fahrrad übrig blieb: Auch Einzelteile müssen die Männer der AWB von den Radständern entfernen.
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Es komme auch vor, dass Passanten Schrotträder vom Lastwagen kaufen wollen. „Die bieten Dir dann 20 Euro und glauben, sie könnten es einfach mitnehmen. Das geht natürlich nicht“, sagt Oliveri.
Einmal gründlich aufräumen. Was jeder vom Frühjahrsputz erwartet, dürfen die Männer aus rechtlichen Gründen gar nicht leisten. Immer wieder zuckt es in der Flex, aber Schrotträder mit kleineren Mängeln, deren gelber Schein mit der Gnadenfrist noch nicht abgelaufen ist, dürfen sie nicht einsammeln.
„Natürlich würde uns das die Arbeit erleichtern, wenn wir alles auf einmal abräumen könnten“, sagt Disponent Brendgen. „Die Stadt hat das mal angedacht und vor vielen Jahren einen Test gemacht. Da haben sich prompt viele Menschen beschwert. Wo ist mein Fahrrad? Ich habe doch vier Wochen Zeit es wegzuräumen. Deshalb gibt es eine Nachkontrolle. Ist nach Ablauf der Frist nichts passiert, nehmen wir es in unsere Liste zur Entsorgung auf.“
Seit einem Jahr werden die Daten für jedes einzelne Fahrrad digital erfasst und gespeichert. Auch die Entsorger haben die komplette Dokumentation mit allen Daten auf ihren Dienst-Tablets und aktualisieren den Bestand nach jeder Flex-Aktion. „Früher war das viel mehr Papierkram. Die Zeiten sind zum Glück vorbei“, sagt Oliveri, bevor die Truppe weiterzieht.
Alle Schrotträder landen auf dem Wertstoffhof im Umweltzentrum Niehl, der größte Teil wird zerlegt, um brauchbare Ersatzteile zu verwerten, ein kleinerer wieder fahrbereit gemacht und verkauft.
2024 hat die AWB mehr als 9700 Räder im Stadtgebiet eingesammelt. Tendenz steigend. Pro Tag schaffen die Sammler in der Spitze bis zu 100 Räder. Brendgen ist sicher, dass die 10.000er-Marke in diesem Jahr fallen wird. „Mitte März waren wir schon bei 1800.“ Eine genaue Erklärung dafür hat er nicht, vermutet aber, dass der Boom bei den E-Bikes eine Rolle spielen könnte. „Da wird das alte Fahrrad, das noch draußen auf der Straße steht, irgendwann vergessen.“ Die Zahl der Pedelecs, an die ein gelber Zettel geklebt werden musste, hält sich in Grenzen. „Ein einziges hatten wir bisher.“