Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

„Wollen etwas Gutes tun“9200 Schrotträder landen in Kölns ungewöhnlichster Fahrradwerkstatt

Lesezeit 5 Minuten
20.03.2025, Köln: Artuhr Krassmann (43) ist einer der Handwerker auf dem Schrottplatz. Die Schrottrad-Verwerter erwecken auf dem Verwertungshof an der Niehler Straße Schrotträder, die von der AWB eingesammelt wurden zu neuem Leben. Foto: Arton Krasniqi

Arthur Krassmann (43) steht im Quarantäne-Lager der Schrottfahrräder, die im Umweltzentrum Niehl 14 Tage aufbewahrt werden müssen, bevor sie aufgearbeitet oder ausgeschlachtet werden dürfen. Foto: Arton Krasniqi

Im Umweltzentrum in Niehl landen alle Fahrradleichen, die von der Stadt eingesammelt wurden. Im vergangenen Jahr waren es 9172.

Das ist das Todesurteil. „Baumarkt-Fahrrad“, bemerkt Jürgen (50), bevor er das Vehikel nach 14 Tagen Quarantäne zum Ausschlachten freigibt und diesen Vorgang mit ein paar abschätzigen Bemerkungen begleitet. China-Ware, billiges Plastik-Tretlager, Gehäuse und Gewinde kaputt, die Schrauben nicht geschraubt, sondern mit einer Druckluftpistole reingepresst. Null Chance auf ein zweites Leben. „Von diesem Rad kannst Du höchstens den Sattel und Gepäckträger verwerten.“

Auf der Hochbahntrasse an der Niehler Straße donnert ein Zug der Linie 13 entlang, während Arthur (43) an einem Campingtisch das Todesurteil auf seiner Liste bestätigt. Die Felder Eingang, Farbe, Marke, Nummer, Herren oder Damen hat er ausgefüllt, als die Abfallwirtschaftsbetriebe das „Baumarkt-Fahrrad“ vor zwei Wochen bei ihm abgeliefert haben. Abgeflext und eingesammelt am Bahnhof Süd, einem der Hotspots für Schrotträder in Köln.

Nächste Sammelrunde beginnt am Montag

Keines der 9172 Räder, die im vergangenen Jahr auf diesem Weg im Umweltzentrum unter der Hochbahn in Niehl gelandet sind, entkommt dem Akt der Bürokratie. Er ist unvermeidlich, weil es ab und an doch mal vorkommt, dass der Besitzer sich Monate später nach dem Verbleib seines Gefährts erkundigt.

Alles zum Thema AWB

Kein Problem für Jürgen, Arthur und die sieben anderen Kollegen vom Wertstoffhof. Sie haben den Vorgang in ihren Akten. Es kann tröstlich sein zu wissen, dass wenigstens Sattel und Gepäckträger vielleicht noch irgendwo durch Köln fahren.

20.03.2025, Köln: Die Schrottrad-Verwerter. Zwei Enthusiasten erwecken auf dem Verwertungshof an der Niehler Straße Schrotträder, die von der AWB eingesammelt wurden zu neuem Leben. Foto: Arton Krasniqi

Ausladen: Marcel und Angelo von den Abfallwirtschaftsbetrieben kommen mit einer neuen Lieferung vorbei: 25 Schrotträder, die sie in einer Schicht eingesammelt haben. Foto: Arton Krasniqi

In diesen Tagen startet das Ordnungsamt die nächste Runde des Frühjahrsputzes in allen Stadtbezirken. Nach klaren Regeln: Ein Fahrrad gilt als Schrott, wenn es mindestens drei der folgenden Mängel aufweist: platte, deformierte oder fehlende Reifen, defekte Bremsen, verbogener oder fehlender Lenker, ein fehlender Sattel, fehlende Beleuchtung oder beschädigte Ketten. Bei nicht abgeschlossenen Rädern reicht bereits ein Mangel, um es als Schrott zu kennzeichnen. Bei geringeren Mängeln weist ein gelber Zettel auf eine vierwöchige Nachbesserungsfrist hin. An Rädern mit erheblichen Schäden klebt ein blauer Zettel. Das ist die letzte Warnung: Mach fix, sonst kütt die Flex. Schrottfahrräder können auch über die Internetseite sags-uns.stadt-koeln.de melden. Sie werden das gesamte Jahr über gesammelt.

Auch nach fast neun Jahren, die Jürgen mittlerweile auf dem Wertstoffhof arbeitet, wundert er sich noch, was so alles bei ihm landet. Vor einer Woche zum Beispiel ein Babboe-Lastenrad nahezu ohne Mängel, zwar ohne E-Antrieb, aber aus der 3000 Euro-Kategorie. „Vielleicht ist das eins aus der Serie mit Fehlern bei den Schweißnähten. Die wurden in Holland aus dem Verkehr gezogen. Das müssen wir erst prüfen, bevor wir es fahrbereit machen und verkaufen“, sagt er.

20.03.2025, Köln: Eine Sammlung an Ersatzteile am Umweltzentrum an der Niehler Straße. Die AWB sammelt alte Fahrräder in der Stadt ein. Einige werden im Umweltzentrum reperiert und verkauft. Foto: Arton Krasniqi

Felgen und Mäntel werden im Umweltzentrum wie alle anderen Ersatzteile auch einzeln verkauft.

Vor dem Gang in die Werkstatt gilt es noch einen anderen Bürokratie-Vorgang zu klären. Jedes Rad, und das sind immerhin 250 pro Jahr, das Jürgen und Arthur aufarbeiten wollen, wird zuvor bei der Polizei mit allen Daten durchgecheckt, ob es als gestohlen gemeldet ist.

Die Kooperation des Umweltzentrums mit dem Ordnungsamt und den Abfallwirtschaftsbetrieben hat eine ungewöhnliche Vorgeschichte. „Vor allem im Univiertel hat es früher immer wieder Ärger gegeben“, sagt Johannes Friedrichs, Geschäftsführer des Umweltzentrums. „Vor allem Jurastudenten haben sich einen Spaß daraus gemacht, die Stadt zu verklagen, weil ihr Rad verschwunden war. Deshalb haben wir angeboten, bringt uns die Räder, wir dokumentieren sauber, fotografieren alles. Wenn heute jemand zum Ordnungsamt kommt und behauptet, mein Rad ist weg, obwohl da gar nichts kaputt war, können wir ihm das Gegenteil beweisen. Und wenn er innerhalb von 14 Tagen kommt, kann er es sogar wieder mitnehmen. Erst nach Ablauf dieser Frist wird es aufgearbeitet oder ausgeschlachtet.“

20.03.2025, Köln: Artuhr Krassmann (43) ist einer der Handwerker auf dem Schrottplatz. Die Schrottrad-Verwerter erwecken auf dem Verwertungshof an der Niehler Straße Schrotträder, die von der AWB eingesammelt wurden zu neuem Leben. Foto: Arton Krasniqi

Letzte Handgriffe an einem geretteten Rad: Arthur Krassmann baut das Hinterrad mit der Nabenschaltung wieder ein.

Es ist die ungewöhnlichste Fahrradwerkstatt von Köln. Wenn man Jürgen auf dem Hof nicht glauben wollte, dass er und sein Kompagnon Arthur die Fahrrad-Experten schlechthin sind, hier treten sie den Beweis an. Alles wird hier sortiert, gelagert, wiederverwendet oder dem Recycling zugeführt. Auf dem Boden stehen fünf Plastikkisten mit Fahrradspeichen, unter ihnen auch die der Baumarkt-Räder, die so billig sind, dass sie wie Salzstangen zerknicken, wenn man sie mal richtig rannimmt. Die Regale sind voll mit Mänteln, Schläuchen, Lenkern, Bremsen, Tretlagern, Pedalen, Felgen mit und ohne Nabendynamo, Gepäckträger. Das alles hat Jürgen maßgeblich mitaufgebaut. Unsere Bitte nach einem Foto lehnt er ab. Man solle nicht soviel Aufhebens um ihn machen.

„Wenn wir Räder aufbauen, dann nur mit eigenen Teilen, neu gekauft wird nichts“, sagt Jürgen. Bei Kinderrädern und den Rennrädern aus den 1970er und 80er Jahren, kann es deshalb schon mal länger dauern, bis die wieder auf die Straße kommen, weil die Teile fehlen. „Schau Dir das hier mal an“, sagt Jürgen und zeigt auf ein altes Peugeot-Rennrad mit Rahmenschaltung. „Das würde ich niemals ausschlachten. Das wird irgendwann aufgearbeitet. Dazu bin ich zu sehr Fahrrad-Freak.“

20.03.2025, Köln: Eine Sammlung an Ersatzteile am Umweltzentrum an der Niehler Straße. Die AWB sammelt alte Fahrräder in der Stadt ein. Einige werden im Umweltzentrum reperiert und verkauft. Foto: Arton Krasniqi

Blick in die Werkstatt des Umweltzentrums

Alexander (35) greift ins Regal und zieht seine Schatzkiste hervor – voller Ledersättel der englischen Edelmarke Brooks, für die Enthusiasten teilweise mehr als 150 Euro hinblättern, die sich in einem teilweise erbärmlichen Zustand befinden. „Die werden regelmäßig gefettet und irgendwann auf eines der Räder montiert, die wir aufgearbeitet haben. Die kann man zum Teil gar nicht mehr kaufen.“

Draußen unter der Hochbahn, am Eingang zum Umweltzentrum, stehen die Exemplare, die das bereits hinter sich haben, zum Verkauf. „Bei den Preisen orientieren wir uns an den Ebay-Kleinanzeigen und kalkulieren dann ungefähr mit der Hälfte“, sagt der Mitarbeiter, der den Verkauf organisiert. Gehandelt wird nicht. Es sei denn, es kommen Menschen, die wenig Geld haben. Los geht es bei 40 Euro, gute Räder können auch mal 260 Euro kosten. „Bei Sozialhilfeempfänger machen wir schon Ausnahmen“, sagt Jürgen, der selbst lange arbeitslos war, bevor er den Job auf dem Wertstoffhof bekam und das Aufarbeiten von Alt-Rädern in Angriff nahm. „Wir wollen hier schließlich etwas Gutes tun.“