Bei einem Festakt in Köln wird Gründer Osman Okkan am Sonntag (29. Oktober) als Vorstandsvorsitzender verabschiedet.
30 Jahre Kölner Kulturforum Türkei-DeutschlandStachel im Fleisch von Erdogan und anderen Nationalisten
Dass sich bekannte Kulturschaffende aus Deutschland und der Türkei seit 30 Jahren über das in Köln ansässige Kulturforum Deutschland-Türkei für Verständigung, Versöhnung, Menschenrechte und Toleranz einsetzen, liegt maßgeblich an Osman Okkan. Der Filmemacher und Publizist hatte im Gründungsjahr 1993 mit Yasar Kemal und Günter Grass zwei der bedeutendsten Schriftsteller aus der Türkei und Deutschland als Ehrenvorsitzende gewonnen, die halfen, dem Verein einen Namen zu machen. Kemal und Grass standen gleichermaßen für die Macht der Erinnerung wie für die politische Machtlosigkeit der Kultur.
Cem Özdemir, Can Dündar und Günter Wallraff kommen zum Festakt
Am kommenden Sonntag, wenn das Kulturforum am 100. Jahrestag der Gründung der Republik Türkei im großen Sendesaal des WDR sein 30-jähriges Bestehen feiert, wird Okkan als Vorstandsvorsitzender und Vordenker des Vereins abtreten. „Es ist an der Zeit, die Geschicke des Vereins in jüngere Hände zu geben“, sagt der 76-Jährige. Dass dies in Zeiten geschehe, da der autokratische türkische Präsident Erdogan seine Macht zementiert hat und sich als Friedensvermittler inszeniert, derweil er in seinem Land weiterhin willkürlich Regimegegner inhaftieren lässt, da türkische Islamverbände in Deutschland weiterhin von der Türkei aus gesteuert werden und die deutsche Politik eher gleichgültig zusieht, sei „leider wohl höchstens langfristig zu ändern. Aber daran arbeiten wir natürlich weiter“. So viel zur Ohnmacht der Kultur.
Dass das Kulturforum dem türkischen Staat trotzdem äußerst lästig ist und viele seiner Unterstützer von Nationalisten immer wieder bedroht werden, liegt auch daran, dass es beharrlich versucht, die türkische Erinnerungskultur von nationalen Mythen, Helden- und Kriegsrhetorik zu befreien. Publizisten wie Okkan oder der inzwischen verstorbene Kölner Schriftsteller Dogan Akhanli zählten zu den ersten Türkeistämmigen in Deutschland, die den Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich beim Namen nannten.
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So machten sie sich einerseits mächtige Feinde und trugen andererseits maßgeblich zu einem Diskurs bei, der in Deutschland zur Anerkennung der Gräueltaten der vom Deutschen Reich unterstützten Osmanen als Genozid durch den Deutschen Bundestag führten.
Den Umgang der Türkei mit Kurden, Jesiden oder Christen hat das Kulturforum ähnlich offensiv thematisiert wie den Rassismus in der deutschen Mehrheitsgesellschaft, die mangelhafte Aufarbeitung der rechtsextremen NSU-Anschläge oder die Interessenkonflikte der deutschen Politik bei Deals wie dem Flüchtlingsabkommen mit der Türkei.
Für politische verfolgte türkische Kulturschaffende riefen Okkan und seine Mitstreiter einen Rechtshilfefonds ins Leben und gewann prominente Unterstützer wie Günter Wallraff, Navid Kermani, Cem Özdemir oder Oliver Welke.
„Die Literatur hat nicht die Kraft, die Probleme zu lösen, die Gesellschaften selbst nicht in den Griff bekommen.“ Diesen jüngst von Salman Rushdie auf der jüngsten Frankfurter Buchmesse geäußerten Satz würde Osman Okkan zwar unterschreiben – er hat aber immer versucht, die gedankliche Wucht der Literatur mit der Macht der Medien zusammenzubringen und die Gesellschaft dadurch doch ein bisschen zu verändern. So stand er Günter Wallraff für dessen Rolle als Gastarbeiter Ali und den späteren Weltbestseller „Ganz unten“ beratend zur Seite, stellte Verbindungen zur türkischen Community her – und übersetzte das Buch schließlich ins Türkische.
Geheimtreffen mit Salman Rushdie und Aziz Nesin in Köln
Im Sommer 1993 war Okkan der einzige Journalist bei einem ein Geheimtreffen mit Salman Rushdie, Aziz Nesin und Wallraff. Er vermittelte in einem Streit zwischen Rushdie und dem türkischen Großschriftsteller Nesin. Der von islamischen Fundamentalisten mit dem Tode bedrohte Rushdie hatte Nesin zuvor vorgeworfen, er habe Auszüge aus seinem Roman „Die satanischen Verse“ ohne sein Einverständnis veröffentlicht – was nicht stimmte, ein Missverständnis. Nesin war von radikalen Islamisten mit dem Tode bedroht worden, als er Rushdies Buch in der Türkei veröffentlichen wollte – in der Folge hatte es bei einer Kulturveranstaltung ein Massaker mit 37 Toten gegeben, bei dem Nesin fast gelyncht worden war. Wallraff brachte die Weltliteraten zusammen, Okkan half, sie zu versöhnen.
Osman Okkan, der Filme über viele der wichtigsten türkischen Romanciers drehte, wurde zwar selbst mehrfach für seine Filme ausgezeichnet, arbeitete aber vor allem im Hintergrund an seinem weit verästelten Netzwerk in die türkische, deutsche und internationale Kulturszene. Statt im Rampenlicht zu stehen, gab er Publizisten wie Can Dündar oder der Schriftstellerin Asli Erdogan eine Stimme, die sie als politisch Verfolgte in der Türkei verloren hatten.
Noch wenige Karten für Festakt am Sonntag, 29. Oktober, in Köln
Beim Festakt am Sonntag geben sich viele Kritikerinnen und Kritiker des autokratischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan auch Okkans Lebenswerk zu Ehren ein Stelldichein: Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Die Grünen) wird den Abend eröffnen, erwartet werden unter anderen Can Dündar, Günter Wallraff und Deniz Yücel, die türkischen Autoren Hasan Cemal und Oya Baydar, die frühere Kölner Bundestagsabgeordnete Lale Akgün (SPD), Schauspielerin Renan Demirkan sowie die Kölner Landtagsabgeordnete Berivan Aymaz (Die Grünen).
Ganz abtreten werde er noch nicht, sondern zumindest bis zum kommenden Frühjahr die neue Spitze des Kulturforums begleiten, sagt Osman Okkan. „Wenn ich im Hintergrund noch ein wenig zu Dialog und Verständigung beitragen kann, bin ich gern dabei - sofern das meine Gesundheit zulässt.“
Für die Veranstaltung 100 Jahre Republik Türkei – 30 Jahre Kulturforum im Großen Saal des WDR-Funkhauses am kommenden Sonntag, 29. Oktober, sind noch Restkarten über eventim.de und an der Abendkasse erhältlich.