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„Absolute Notlage”Wie die freien Theater in Köln auf die Coronakrise reagieren

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Die Theatervorhänge sind derzeit zu.

  1. Wie geht die freie Kölner Theaterszene mit der Coronakrise um? Wir haben Stimmen von Theaterleiterinnen und -leiter gesammelt, die sehr unterschiedlich sind.
  2. Was fast alle fordern: Rechtssicherheit und Solidarität.

Köln – Die Coronakrise hat die die freie Szene fest im Griff. Die Schließung der Theater über mutmaßlich mehrere Wochen trifft die Bühnen, freie wie feste Schauspieler und alle Angestellten sowie die übrigen, oft auch freien Mitarbeiter ins Mark. Viele Mitglieder der freien Szene haben schon vor der Krise am Rande der Existenz gearbeitet, um ihre künstlerische Arbeit zu leisten. Finanzielle Polster oder Absicherungen sind bei ihnen kaum vorhanden.

Wir haben in der Branche herumgefragt, welche Ad-hoc-Maßnahmen vonseiten der Stadt und des Landes jetzt getroffen werden müssen, um aktuell zu helfen und die größte finanzielle Not zu lindern. Gleichzeitig stellt sich Frage, wie die Krise sich langfristig auf die Theater-Szene auswirkt, und welche Maßnahmen getroffen werden können, um einen dauerhaften Schaden zu vermeiden. Die Statements sind als eine aktuelle Zustandsbeschreibung zu verstehen, ausgerichtet auf eine Situation, die sich, wie jeder hautnah mitbekommt, täglich ändert.

„Die Freien Theater in Köln brauchen in der jetzigen Lage dringend Rechtssicherheit vonseiten der Stadt Köln. Das ist in der ersten Phase der Krise, als es um die Schließungen ging, sicherlich nicht optimal verlaufen. Was die Hilfe für die Theater und das Heer der Künstler und Mitarbeiter in allen Bereichen der freien Szene betrifft, sollte großzügig und den Menschen zugewandt gehandelt werden. Ich appelliere da auch an die Solidarität etwa der Vermieter der Theater oder Probehallen, hier ihren unverschuldet in Not geratenen Mietern großzügig entgegen zu kommen. Es ist ja im Interesse aller, wenn die Szene die Krise auch wirtschaftlich überlebt. Ganz wichtig ist hier die Forderung vom NRW-Kulturrat, dass eine monatliche Grundsicherung von 1000 Euro ausgezahlt werden soll, bei niedrigschwelliger Bedürftigkeitsprüfung.“

Dietmar Kobboldt, Leiter der Studiobühne Köln und Vorsitzender der Theaterkonferenz

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„Wir möchten vom Orangerie-Theater alle Produktionen, die ausfallen, nachholen. Dazu setzen wir unserer Fantasie keine Grenzen. Am Ende braucht es vermutlich Geduld und ein konstruktives Miteinander aller Beteiligten, das spüren wir bereits jetzt. Natürlich brauchen wir die Einnahmen, es laufen aber bereits intensive Gespräche mit dem Kulturamt und mit der Politik, welche Handlungsoptionen sich temporär ergeben könnten. Ich wünsche mir, dass insbesondere auch alle Kolleginnen und Kollegen stets besonnen bleiben. Angespannt sind alle, das könnte eher hinderlich sein. Schön wäre, die Presse würde weiterhin alle Theater auflisten, „Bald wieder da!“, dann sind wir in unseren Vorbereitungen noch motivierter. Dazu, statt aktueller Kritiken, ganz viele Lageberichte von freien Häusern und freien Gruppen.

Marko Berger, Leiter Orangerie-Theater

„Unsere neue Produktion JEDER:JEDERZEIT war gerade hervorragend angelaufen, durch die Veranstaltungsabsage – die wir grundsätzlich richtig und sinnvoll finden – fallen jetzt vier ausverkaufte Aufführungen in Köln und drei Aufführungen in Mülheim an der Ruhr aus. Festivals und potenzielle Förderpartner können die Produktion nicht sichten, wodurch vielleicht der größte, unsichtbare und nicht genau zu belegende Schaden entsteht. Trotz der schwierigen Lage sehen wir in der Krisensituation die große Chance zur Neujustierung auf das Wesentliche, für einen neuen gesellschaftlichen Konsens und steigende Solidarität sowie die Chance für die schnelle Erprobung neuer Konzepte – Stichwort: Bedingungsloses Grundeinkommen –, die uns durch diese schwierige Zeit, aber auch die kommenden Umwälzungen im Zuge der Digitalisierung tragen werden.“

Jörg Fürst, A.Tonal-Theater

„Schlimmstenfalls droht eine verkorkste Schrumpfsaison. Nicht spielen bedeutet im Augenblick nicht weniger Arbeit, sondern mehr Arbeit. Stichworte Kartenstornierungen, Anträge auf Kurzarbeitergeld. Auch die nächste Spielzeit will weiter vorbereitet werden. Die wirtschaftlichen Auswirkungen für die Häuser liegen auf der Hand: Ein Monat ohne Vorstellungen bedeutet einen Einnahmeausfall von 10000 Euro und mehr. Nicht zu vergessen sind die Auswirkungen auf alle, die am FWT arbeiten. Wir arbeiten in diesen Tagen daran, die Auswirkungen der Krise für unsere gut 20 Gastschauspielerinnen und -schauspieler, aber auch für zehn weitere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu mildern. In dieser Situation ist es zentral, dass die öffentlichen Zuschüsse weiter fließen. Auch weitere Hilfen sind nötig, zuallererst für die Kolleginnen und Kollegen aus den freien Gruppen, deren Projekte wegbrechen.

Gerhard Seidel, Freies Werkstatt Theater

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Gerhard Seidel

„Wir kämpfen auch mit den immensen Folgekosten der Stornierung des aktuellen Stückes. Weil alle Ensembles in der gleichen Situation unter Zeitdruck geraten und ab einem bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft wieder anfangen zu proben, führt das zu Engpässen in der Infrastruktur, wie Probenräumen, Aufführungsorten, und auch zu Engpässen beim Personal wie Techniker und natürlich auch bei den Künstlern, die ja in der Regel in mehreren Produktionen sind und sich dann entscheiden werden müssen. Dies bedeutet aber einen erhöhten organisatorischen und logistischen Aufwand, also auch höhere Kosten. Ein Problem ist die Erhaltung der Publikumsbindung. Wie können wir den Kontakt zum Publikum halten, wenn selbst wir in häuslicher Quarantäne beziehungsweise mit eingeschränkter Bewegungsfreiheit agieren müssen? Kunst braucht sein Publikum, gerade wenn es wie das Theater und insbesondere das WEHR51 aktuelle soziale und gesellschaftspolitische Themen reflektiert. Daher müssen wir in dieser Krise nach Wegen suchen, die Menschen trotzdem zu erreichen. Ganz sicher sind hier die neuen Medien eine Chance, in Kontakt zu bleiben. Doch nicht alle sind darauf vorbereitet beziehungsweise haben das technische Know-how. Natürlich liegt in der Krise auch eine Chance, die Chance Solidarität aufzubauen und zu beweisen – innerhalb der künstlerischen Teams, der freien Ensembles, der Häuser, der Kulturverwaltung, der Kulturpolitik und dem Publikum. Transparente Vermittlung zwischen allen Beteiligten wäre da der erste Schritt.“

Rosi Ulrich vom Theatergemeinschaftsprojekt wehr51

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Rosi Ulrich

„Wir haben jetzt Kurzarbeit angemeldet, um die schlimmsten Folgen für alle Beteiligten abzuwenden. So werden wir den Schauspielern zumindest die Hälfte ihrer Gagen und Probepauschalen weiterzahlen, damit sie halbwegs über die Runden kommen. Die Proben zu unserer nächsten Premiere „Der Zauberer von Oz“ haben wir abgebrochen. Es macht zurzeit keinen Sinn weiter zu proben, da natürlich auch die Spannung nicht mehr da ist. Neben allen dramatischen Auswirkungen ist jetzt aber auch die Zeit, um innezuhalten und Dinge zu überdenken, die beim alltäglichen Stress der Arbeit zu kurz kommen. In diesem Sinne bieten die Krise und die dadurch entstehende Entschleunigung auch Möglichkeiten, sich neu zu ordnen. Das Eis schmilzt, und wir alle müssen jetzt schwimmen lernen.“

Heinz Simon Keller, Theater Der Keller

„Durch die Einstellung des Spielbetriebes entfällt uns die Einnahmequelle, die ca. 45 Prozent unseres Gesamthaushaltes ausmacht. Dadurch können wir die Honorare der bei uns spielenden Künstler*innen nicht mehr bezahlen. Zudem decken die Förderung von Stadt und Land und weitere Drittmittel die festen Gehälter, Mieten und sonstige Strukturkosten nur zum Teil ab. Auch zur Deckung dieser Lücke sind wir auf Einnahmen aus dem Spielbetrieb angewiesen. Mit jedem Schließtag wird sie dementsprechend größer. Über verschiedene Maßnahmen versuchen wir eine zumindest teilweise Kompensation der Einnahmeausfälle für das Theater und unserer Künstler*innen zu erreichen: Kurzarbeitergeld, die Umwidmung von Drittmitteln und Spendenaufrufe durch Einführung unseres Quarantänetheaters (bei Instagram und Facebook) sowie die persönliche Ansprache aller Ticketkäufer von ausgefallenen Vorstellungen. Es gibt in der Kölner freien Szene auch Theater, die anders als das Bauturm-Theater keine Förderung von Stadt und Land erhalten. Diese Theater sind durch den Vorstellungsausfall noch unmittelbarer in ihrer Existenz bedroht, da ihnen nun ihre einzige Einnahmequelle entgeht. Das darf nicht vergessen werden!

Bernd Schlenkrich, Theater im Bauturm

„Wir sind ein relativ junges Theater - wir haben im November 2017 in Ehrenfeld eröffnet und haben innerhalb dieser zweieinhalb Jahre sehr, sehr hart gearbeitet, um das Urania-Theater beim Publikum zu etablieren und Aufmerksamkeit in der Bevölkerung zu erreichen. Wir mussten natürlich auch Kredite aufnehmen und haben noch keinerlei Rücklagen. Für ein Privattheater sind wir ein recht großes Haus. Wir haben fast 200 Spielplätze, das bedeutet natürlich auch dementsprechende Ausgaben. Die Coronakrise kommt für uns zu einem ganz schlechten Zeitpunkt. Gerade war bei uns der Aufschwung zu spüren, wir sind sehr erfolgreich gewesen, haben das Haus in Richtung Varieté geführt: Das Sherlock-Musical war beispielsweise fast immer ausverkauft. Der russische Clown Denis Klopov hatte eine Veranstaltungsreihe, wir hatten Musicals, Sprechtheater, Jugendtheater und auch Konzertreihen. Ein vielfältiges und weitgefächertes Angebot, das auch sehr gut angenommen wurde.

Doch jetzt sind wir wirklich in einer absoluten Notlage. Denn wir sind ein Verein und fallen deswegen momentan durch das Raster der Hilfsmaßnahmen. Das heißt, die Krise trifft uns noch härter als andere freie Theater. Und wir haben drei fest angestellte Mitarbeiter, denen wir Gehalt zahlen müssen. Wir haben einen Spendenaufruf gemacht an unsere treuen Fans und unser Publikum. Da ist auch schon ein bisschen Geld rein gekommen, aber das reicht natürlich bei Weitem nicht. Weil wir von staatlicher Seite überhaupt keine Unterstützung bekommen.

Richard Bargel, Urania-Theater

Daniel Schüssler vom Analog-Theater muss zurzeit damit umgehen, dass die geplante Theater-Tournee des mit dem Kölner-Theaterpreis 2019 prämierten Stückes „Nur Utopien sind noch realistisch“ nach Finnland im Mai abgesagt wurde. Zwei Jahre Vorbereitung, darunter die Übersetzung des Stückes ins Finnische durch das Goethe-Institut, sind nun hinfällig. Flugtickets für 13 Tournee-Mitglieder waren schon gekauft, die Schauspieler hatten die Zeit im Mai fest eingeplant. Um trotzdem positiv in die Zukunft zu blicken, bietet das Analog-Theater Videostreams an.

Gesammelt von Kerstin Meier und Norbert Raffelsiefen